Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Dachau:Zwielichtige Zwerge

Das Bezirksmuseum widmet sich dem Thema "Hell und Dunkel in Märchen" mit vielen prächtigen Buchillustrationen. Leider kommt die aufklärerische Kraft des Märchens in der Ausstellung dabei ein bisschen zu kurz

Von Gregor Schiegl, Dachau

Um ins Reich der Märchen zu gelangen, muss man erst durch einen schwarzen Vorhang schlüpfen. Auf der anderen Seite erwartet einen ein schummriger Raum, in dem ein stationäres Glühbirnengehänge orangefarben irrlichtert, ein bisschen gruselig ist's, aber nicht zu sehr. Eher staunt man, Eduard Hörls Stimme aus den Wänden zu hören, wo man den Hörl Edi doch gerade erst am Kassentresen des Bezirksmuseums hat sitzen sehen. Jetzt hört man ihn in seinem wunderschönen Bairisch erzählen, wie der Künhauserbauer aus Günzenhausen sich noch vor dem Morgengrauen mit seinem "Troad auf Minga aufi" macht, also mit seinem Planwagen Richtung München zuckelt, um sein Getreide zu verkaufen - als ihm ein feuriges Licht erscheint, das ihm einen Höllenschrecken einjagt. So ergeht es auch den anderen Bauern, weshalb die Route bald gemieden wird, man nimmt lieber den Weg über Eching. So entstand eine der ersten Umgehungsstraßen der Region.

"Von Elfen und Zwergen, Lichtgeistern und anderen Spukgestalten" handelt die neue Ausstellung im Bezirksmuseum Dachau, wobei man das mit den Elfen und Zwergen eher als Sinnbild nehmen sollte; allzu viele Spitzohren und Zipfelmützenträger bekommt man hier nicht zu sehen, darauf kommt es aber auch gar nicht an. In der Sonderausstellung geht es um das Märchen als Spiegel der menschlichen Seele, in der gegensätzliche Kräfte walten - Hell und Dunkel, Gut und Böse. Das ist ein schönes Thema, das vielerlei Anknüpfungspunkte bietet: volkskundliche, tiefenpsychologische, literarische, geistes- und kulturgeschichtliche, natürlich auch pädagogische. Ein Thema für groß und klein.

Museumsleiterin Ursula Nauderer stellt meisterliche Illustrationen von Märchenmotiven und Erzählfiguren in den Mittelpunkt der Schau. Das verbreitet märchenhafte Atmosphäre und verzaubert auch ein Publikum, das den Kinderschuhen längst entwachsen ist. Zu nennen sind hier etwa die sehr zarten, aber kontrastreichen Arbeiten der österreichischen Kinderbuchillustratorin Lisbeth Zwerger; Highlight sind aber zweifellos die großformatigen Bilder der Landshuter Künstlerin Marlene Reidel (1923-2014) zu den Märchen der Gebrüder Grimm. Ihre Bilder sind stimmungsvolle szenische Kompositionen, die in aufwendiger Mischtechnik gestaltet sind und mit spielerischer Leichtigkeit Gegenständlichkeit und ornamentale Abstraktion verbinden. Das ist trotz des naiven Stils alles andere als Kinderkram.

Gleiches gilt für "Die Abenteuer des Prinzen Achmed", einen Meilenstein der Filmgeschichte aus dem Jahr 1926. Darin entwickelte die Berliner Avantgardistin Lotte Reiniger (1899-1891) die Ästhetik des Silhouettenfilms zu einer Perfektion, die einen heute noch niederknien lässt. Der Stummfilm läuft in Dauerschleife im Museum, ein Durchgang dauert 66 Minuten: Es war der erste abendfüllende Animationsfilm der Welt, noch lange vor Disney, der Märchenstoffe, kitschig verzuckert zu biederer Kinderunterhaltung degradierte.

Diesen Vorwurf kann man der liebevoll gestalteten Ausstellung im Bezirksmuseum nicht machen. "Das kalte Herz" aus Wilhelm Hauffs Märchenalmanach wird sogar in Gestalt eines herzförmigen Kieselbrockens in einer Vitrine präsentiert, was keinen echten Erkenntnisgewinn bringt, aber eine hübsche Idee ist. Zugleich illustriert dieses kalte Herz auch das Problem dieser Ausstellung: Sie ist schön, aber oft auch von dekorativer Oberflächlichkeit. Die Auseinandersetzung mit Relevanz und Aktualität des Märchens kommt leider oft etwas zu kurz, was auch an manchen Unschärfen in den Texten der Informationstafeln liegt. "Nach der langen Phase der Aufklärung, die den Verstand betont und dem Intellekt gehuldigt hatte, schenkte man ab Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt dem Gefühlseben und dem Irrationalen seine Aufmerksamkeit", heißt es da. "Mit dem Beginn der Epoche der Romantik wurde auch den Märchen und Sagen eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil."

Hinter der Auseinandersetzung mit den Volksmärchen stand in Deutschland aber auch das Bestreben, eine nationale Identität und aus dem Kuddelmuddel der Dialekte eine gemeinsame Kultur- und Volkssprache zu schaffen. Man darf nicht vergessen, dass die Gebrüder Grimm nicht nur Märchenonkels waren, sondern die Begründer der wissenschaftlichen Linguistik. E.T.A. Hoffmann schrieb tatsächlich düstere, verstörende Märchen, man denke nur an den "Sandmann", aber das sind Kunstmärchen, und die haben mit den Volksmärchen in etwa so viel zu tun wie "Der Herr der Ringe". Das Märchen in den Gegensatz zur Aufklärung zu setzen, perpetuiert nur das alte und grundfalsche Vorurteil vom Märchen als Lügengeschichte. "Es hat seinen tiefen historischen Sinn, dass Tausendundeine Nacht den Weg gerade in das Frankreich der Aufklärung fand, dass die Vernunft des 18. Jahrhunderts die Vernunft der Märchen als ihresgleichen erkannte, schreibt der Geschichtsphilosoph Siegfried Kracauer in seinem Essayband "Das Ornament der Masse". Märchen mögen fantastisch sein, irrational sind sie nicht. In der Neuen Zürcher Zeitung dröselte Ralf Konersmann vor kurzem in einem ganzseitigen Artikel auf, wie aktuell die Gesellschaftskritik und Systemkritik von Märchen heutzutage noch immer sind, man denke nur an das Märchen vom Brei, der quillt und quillt. Besser kann man das Zerstörerische einer manischen Überflussgesellschaft kaum darstellen.

Landpartie

Vor 25 Jahren wurde der Museumsverbund "Landpartie - Museen rund um München gegründet". Dies ist Anlass für die beteiligten Museen, das Jubiläum 2021 mit einer Ausstellungsreihe zu begehen. Im inzwischen siebten gemeinsamen Projekt wird "Hell & Dunkel" als Gegensatzpaar aus anthropologischer, naturkundlicher und gesellschaftlicher Sicht ausgeleuchtet und zu regionalen beziehungsweise lokalen Gegebenheiten und Entwicklungen in Beziehung gesetzt. Auch Dachauer Museen machen mit: Während das Bezirksmuseum in seiner aktuellen Ausstellung Hell und Dunkel in Märchen und Sagen thematisiert, zeigt die Neue Galerie Dachau unter dem Titel "Schwarz // Weiß" zeitgenössische Papierschnitte - künstlerische Arbeiten, bei denen der Kontrast und die Spiel von Licht und Schatten im Vordergrund steht. Das komplette Programm der Landpartie ist zu finden auf www.landpartie-museen-muenchen.de. gsl

Dass das Märchen diese Kraft immer noch hat, kann man in einem Raum nachvollziehen, in dem Zuwanderer auf Video Märchen aus ihrem Kulturraum erzählen. Der in Petershausen wohnhafte Hillary Owiny erzählt mit Trommel in der Hand die Geschichte vom "Hasen und der Hyäne" aus seiner Heimat Uganda: Der Hase überredet die Hyäne zu einem gemeinsamen Landwirtschaftsprojekt, das beide reich machen soll. "Mein Freund ist ein Arbeiter, ich bin sein Berater, "singt der Hase. "Er arbeitet wie ein Traktor, ich bin sein Manager." Es ist klar, wer bei diesem Modell die Mühen hat und wer den Profit. Als die Hyäne wütend wird, haut der Hase ab. Das ist Kolonialgeschichte in einer Nussschale und auf vier Pfoten. Klingt schräg, ist aber eine sehr wahre Geschichte. Leider.

Von Elfen und Zwergen, Lichtgeistern und anderen Spukgestalten. Hell und Dunkel in Märchen und Sagen. Bezirksmuseum Dachau. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 11 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertag 13 bis 17 Uhr. Noch zu sehen bis 23. Januar 2022.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2021
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