Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Altomünster:Schatzkammern des Volkswissens

Das Museum Altomünster zeigt in seiner neuen Ausstellung Bücher der Universitätsbibliothek Augsburg über Heilpflanzen, die ältesten stammen noch aus dem 16. Jahrhundert. Die prächtig illustrierten Folianten geben einen Einblick, welche Pflanzen im Laufe der Zeit zu Linderung und Heilung genutzt wurden.

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Das sonst so beschauliche Klostermuseum Altomünster könnte in den kommenden Wochen zum Hotspot für bibliophile Menschen und Heilpflanzen-Fans werden. Denn dort sind zur Zeit exquisite Exponate zu bestaunen: seltene und alte Heilpflanzenbücher der Universitätsbibliothek Augsburg. Damit hat der Museumsverein wohl einen Nerv getroffen, selten sah man so viele Menschen bei einer Vernissage wie am vergangenen Sonntag. Sie hatten sich teilweise bereits vor der offiziellen Ausstellungseröffnung mit dem außerordentlich informativen Katalog ausgerüstet. Aus gutem Grund. Ist doch dieser Katalog eine wahre Fundgrube mit schier unendlichen Details zu den einzelnen Büchern, ihren Autoren und deren zeitlichem Umfeld.

Zusammengetragen hat dieses Kompendium Peter Stoll, stellvertretender Direktor der Augsburger Universitätsbibliothek. Ergänzt wird diese "Bücherschau in Katalogform" durch Beiträge des Mediävisten Klaus Wolf, von Apotheker Peter Schultes und von Biologin Regina Schüffner. Letztere hat eine umfangreiche Liste von Heilpflanzen zusammengestellt. Sie dürfte jedes Herz erfreuen, das für die Naturheilkunde schlägt.

So gestaltete sich auch die Vernissage zu einer informativen Lehrstunde über den Stellenwert der Kräuterheilkunde und der dazu publizierten Werke vom Mittelalter bis in die Neuzeit - und zu einem Ausflug in die Geschichte der "alten Bücher in der jungen Universität Augsburg", wie Peter Stoll sagte. Sie zeigt auf, wie die über Jahrhunderte gewachsene Bibliothek der Fürsten von Oettingen-Wallerstein mit ihren unersetzbaren Handschriften, Inkunabeln (Bücher, die zwischen 1454 und 1500 gedruckt worden sind) und weiteren wertvollen Beständen auf verschlungenen Wegen vor dem inneren und äußerlichen Verfall gerettet werden konnte.

Die Professoren sahen in den Kräuterfrauen eine Konkurrenz

Wie sich die Kräutermedizin vom auf langer Erfahrung beruhenden Wissen heilkundiger Frauen zum geldbringenden Gebiet Wiener Medizinprofessoren entwickelte, schilderte der Augsburger Professor Klaus Wolf. Demnach trieb "Brotneid" die Herren Professoren dazu, die Kräuterfrauen, zu denen durchaus auch reiche Bürgerinnen und Patrizierinnen zählten, zu diffamieren.

Für Apotheker Schultes sind die Kräuterbücher "wunderbare und wundersame Schatzkammern arzneilicher Erfahrungen und Volkswissens". Womöglich hätte auch er nur zu gerne in den ausgestellten 31 Kostbarkeiten im Museumsforum geblättert. Doch sicherheitshalber sind sie in verschlossenen Vitrinen ausgestellt. Könnte man in ihnen schmökern, würde man einerseits diverse Kuriositäten belächeln, andererseits aus etlichen Werken immer noch viel Wissen saugen.

Zu den eher amüsanten Details gehört sicherlich, dass Leonhart Fuchs, nach dem übrigens die Fuchsie benannt ist, in der deutschsprachigen Ausgabe seines Kräuterbuchs von 1543 befürchtet, der "gemein man(n)" könne das Kompendium zur Selbstmedikation nutzen. Ob ihn die Sorge vor gefährlichen Nebenwirkungen bei falscher Anwendung umtrieb oder die Angst vor Einnahmeverlusten der approbierten Ärzte, bleibt sein Geheimnis.

Ganz andere Motive bewegten das Kaiserliche Gesundheitsamt 1918 zur Herausgabe seiner "Arzneipflanzen-Merkblätter". Die preußische Behörde fürchtete eine Arzneimittelknappheit, die nun wahrlich kein neues Phänomen ist, und wollte mit akribischen Beschreibungen der Pflanzen auch medizinische Laien zum Kräutersammeln animieren. So spannt sich ein weiter Bogen vom seit der Antike tradierten Wissen über die sogenannte Volksmedizin und über Medizinpflanzen als "Notlösung" bis hin zur fundierten Kenntnis über den Einsatz einzelner Pflanzen.

Dass die heilkundliche Anwendung ganz unterschiedliche Intentionen haben konnte, zeigen zwei Beispiele. Da ist zum einen die "Medicina pauperum oder Armen-Apotheck" von Johann Samuel Carl aus dem Jahr 1719. Der pietistisch geprägte Mediziner wollte mit seinem "kürtzlich und einfältig", also knapp und leicht verständlichen Werk "Dorff-Priestern / wie auch Heb-Ammen / Krancken-Wärtern / Chirurgis aufm Land" eine probate Anleitung an die Hand geben, "damit sie auf dem Nothfall einen verständlichen Rath und Hüllfe denen verlassenen Armen leisten".

Der menschenfreundliche Mediziner hat übrigens selbst ein aufregendes Leben geführt, er machte Karriere am dänischen Hof, fiel in Ungnade und lebte danach eine Zeitlang bei seiner Tochter Marie Dorothee und deren Mann Adam Struensee. Ihr Sohn, Johann Friedrich Graf von Struensee, wurde in Dänemark zum mächtigsten Mann im Staat sowie Liebhaber von Königin Caroline Mathilde - und 1772 gestürzt und hingerichtet.

Von ganz anderem Zuschnitt ist das Pracht- und Prunkstück "Hortus Eystettensis", der in mehreren Auflagen und Ausgaben erschienen ist. So waren etwa die farbig kolorierten Kupferstiche ausschließlich Käufern sogenannter Vorzugsausgaben vorbehalten. Erstmals erschienen ist der Hortus 1613 auf Initiative des Nürnberger Apothekers Basilius Besler, der den fürstbischöflichen Garten in Freising gestaltet hatte. Auf insgesamt 367 Kupferstichen werden rund 1100 Pflanzen vorgestellt. Ein echtes Prachtstück im Großformat, gewissermaßen die Rose dieser sehenswerten Ausstellung, in der alle Kräuterbücher zum genauen Hinschauen einladen.

Die Ausstellung kann zu den regulären Öffnungszeiten, donnerstags bis samstags von 13 bis 16 Uhr und sonntags von 13 bis 17 Uhr besucht werden. Zu sehen bis 23. April.

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