Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Abbild des Grauens

Der Häftling Georg Tauber dokumentierte den Alltag im KZ Dachau. Vor Gericht dienten die Zeichnungen als Beweise. Jetzt zeigt die Gedenkstätte die Prügelszenen und Leichenberge in einer Sonderausstellung. Eine späte Anerkennung

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Es war ein Schlag ins Gesicht für Georg Tauber. Am 8. Februar 1946 erschien in einer Münchner Zeitung ein Artikel mit dem Titel "Ausbeutung des Jammers". Tauber, so der Vorwurf des Autors, wolle bloß Profit schlagen aus dem, was er erlebt hatte. Der hatte der Zeitung angeboten, seine Zeichnungen zur Veröffentlichung bereit zu stellen. Zeichnungen der unfassbaren Gräuel, die er als Häftling im Konzentrationslager Dachau erlebt hatte. Bilder vom Alltag im KZ, von der Befreiung durch die amerikanischen Truppen und der Zeit danach. Doch was Tauber zu sagen hatte, interessierte niemanden. Als er wenige Jahre später starb, gingen seine Erinnerungen mit ihm verloren. Der Großteil seiner Zeichnungen war seitdem verschollen. Lange Zeit wusste niemand, wo sie verblieben waren. Bis vor fünf Jahren. Zufällig entdeckten die Enkelinnen sie im Nachlass ihres Großvaters Anton Hofer, einem ehemaligen Mithäftling von Tauber. Jetzt werden sie zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert.

"Beweise für die Nachwelt" heißt die Sonderausstellung in der KZ-Gedenkstätte Dachau, in der sie von nun an für alle Besucher zu sehen sind. Sie bewegt sich gleich auf drei Ebenen. Sie erzählt die Biografie des Werbezeichners, der 1940 wegen seiner Morphinsucht als "Asozialer" ins KZ deportiert wurde, zeichnet anhand seiner Bilder die Entwicklung des Lagers bis in die Tage nach der Befreiung nach und beschäftigt sich zugleich mit der Häftlingsgruppe der "Asozialen", die bis heute nur wenig erforscht ist. Möglich ist das nur aufgrund der großen Breite, die Taubers Zeichnung umfasst. "Er hat sich als zeichnerischer Chronist verstanden", sagt Andrea Riedle, Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung an der Gedenkstätte. Fotos aus der Zeit des Konzentrationslagers existieren kaum. Fast nur auf den Aufnahmen, die die Amerikaner bei der Befreiung Ende April 1945 und in der Zeit danach machten, ist das Grauen bildlich festgehalten. Die Zeichnungen von Georg Tauber geben Einblick in den unvorstellbaren Alltag der Menschen im KZ: Ein gefesselter Häftling wird im Lagergefängnis verprügelt. Häftlinge werden für Arbeitskommandos selektiert. Kurz vor der Befreiung müssen sie sich auf dem Appellplatz versammeln und zum Todesmarsch aufbrechen.

Gemalt hat Tauber die Bilder erst nach der Befreiung. Manches hat er selbst erlebt. Anderes hat er sich wohl von ehemaligen Mithäftlingen erzählen lassen. Auch die medizinischen Versuche, die Ärzte im Lager machten, hat er dokumentiert. Zum Teil hat er sie selbst beobachtet. In den Dachauer Prozessen sagte er als Zeuge aus, seine Zeichnungen dienten auch in den Nürnberger Ärzteprozessen als Beweise. Bloß bei fünf Aquarellen ist sicher, dass sie aus der Zeit vor der Befreiung stammen: Stadtansichten und Landschaften, die der Zivilarbeiter Rudi Felsner aus dem Lager geschmuggelt hatte. 60 Jahre lang hingen sie an der Wohnzimmerwand von Bekannten Felsners. 2013 übergab der Sohn der Bekannten die Aquarelle an die Gedenkstätte. Doch Tauber zeichnete nicht nur Szenen aus der Zeit vor der Befreiung, sondern auch von danach. Amerikanische Soldaten, Leichenberge im Krematorium, eine Gedenkfeier für die Opfer in der Pfarrkirche St. Jakob im Mai 1945. "Es ist selten, dass man so viele Zeichnungen auf einmal mit so einem breiten Spektrum erhält", sagt Stefanie Pilzweger. Ein Jahr lang hat die wissenschaftliche Volontärin der Gedenkstätte Archive in aller Welt über Tauber durchforstet. Gefunden hat sie nicht nur einiges über sein Leben.

Dank der Zeichnungen haben die Forscher an der Gedenkstätte auch neue Details über das Lager gelernt und über die Häftlingsgruppe der "Asozialen" und "Berufsverbrecher". "Die Überlieferungslage ist katastrophal, wir haben kein einziges Interview aus dieser Gruppe", sagt Riedle. "Insofern betreten wir mit der Ausstellung Neuland." 10 000 Häftlinge mit dem schwarzen Winkel, die als "Asoziale" inhaftiert waren, und 6500 mit grünem Winkel als "Berufsverbrecher" stigmatisierte litten im KZ Dachau. Dort standen sie in der Rangordnung weit unten. Auch ihre Mithäftlinge drangsalierten sie. "Entschädigt wurden später nur rassisch, politisch und religiös Verfolgte", sagt Pilzweger, "die vergessenen Häftlingsgruppen hatten keine Lobby". Taubers Bemühungen um Anerkennung liefen ins Leere. Die Arbeitsgemeinschaft "Die Vergessenen", die er mit dem ehemaligen Mithäftling Karl Jochheim gründete, wurde von den amerikanischen Besatzern verboten. Auch für die gleichnamige Verfolgtenzeitschrift interessierten sich Verlage nicht. Genau wie für seine Bilder. Als in den 1980er Jahren die Möglichkeit bestand, eine Einmalzahlung über das Bundesentschädigungsgesetz zu beantragen, waren viele ehemalige Häftlinge schon gestorben. Weniger als 1000, schätzt Pilzweger, wurden entschädigt. Tauber starb 1950 in einer Tuberkuloseklinik am Starnberger See. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er tief enttäuscht über eine Bevölkerung, die sich nicht mit den Gräueln der NS-Zeit auseinandersetzte und eine Gesellschaft, die ihn und seine Leidensgenossen nicht entschädigen wollte. Fast 70 Jahre nach seinem Tod zeigt die Gedenkstätte nun 50 seiner Zeichnungen. Eine späte Anerkennung.

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SZ vom 30.04.2016
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