Ausgefallene Kunst:Zu Tisch mit dem Teufel

Lesezeit: 3 min

Passend zum Ort, der ehemaligen Dachauer MD-Papierfabrik, ist Papier das wichtigeste erzählerische Mittel auf der Bühne, die in diesem Fall auch Zuschauerbank und Festtafel ist. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Eine in Papier verpackte Tafel für 30 Gäste ist Ausgangspunkt für das ungewöhnliche Theaterprojekt "Kostprobe I ". Daraus entfaltet sich eine vor Originalität knisternde märchenhafte Geschichte

Von Marie Groppenbächer, Dachau

Über den dunklen Hof der geht es zum Hauptgebäude der ehemaligen MD-Papierfabrik. Die Spuren der vergangenen Jahre zeichnen sich ab, viele Fenster sind bereits zersplittert. Durchs Treppenhaus wandert die Gruppe ein Stockwerk nach dem anderen in die Höhe. Im Flurlicht zeichnen sich bekannte Gesichter ab. Landrat Stefan Löwl ragt aus der Menge heraus. Dann stoppt die Karawane. Annerose Stanglmayr, Geschäftsführerin des Dachauer Forums, begrüßt die Anwesenden zu diesem besonderen Abend. Denn der Grund ihres Besuch in dem seit elf Jahren brachliegenden Industriegebäude ist ein Theater der ausgefallenen Art.

"Kostprobe I - ein Märchen, erzählt mit Papier" heißt das Stück, inszeniert von Geschichtenerzähler Martin Ellrodt und Papierkünstler Johannes Volkmann. Das Stück der beiden Künstler ist Programmpunkt des "Poetischen Herbsts" und der "Dachauer Theatertage". Die Idee entwickelten die beiden schon vor einiger Zeit. Gemeinsam sponnen sie eine Geschichte aus Motiven der Gebrüder Grimm, skandinavischer Märchen und sozialistischer Ideen mit tschechischem Einfluss.

Johannes Volkmann erscheint im Türrahmen. "Es ist angerichtet", sagt er und bittet die Besucher herein. Im Scheinwerferlicht erstreckt sich eine lange gedeckte Tafel. Eine verpackte Tafel. Vom Löffel bis zum Krug - alles ist feinsäuberlich in weißes Papier eingeschlagen. Verwundert und gespannt nimmt das Publikum am Tisch Platz. Der warme Raum ist erfüllt von einer fröhlichen Atmosphäre. Als hätte sich an diesem Abend eine Gesellschaft alter Freunde zusammengefunden, die öfter gemeinsam speist. Unter Applaus behebt der Papierkünstler noch die letzten technischen Probleme, dann kann es losgehen.

"Ich bin Reiner Apfelsaft und habe ein Loch im Bauch", beginnt Martin Ellrodt, an einem Kopfende stehend. Johannes Volkmann steht neben ihm, hält sich einen Papierkreis vor den Bauch, den er zuvor mit einem Teppichmesser aus der Papiertischdecke geschnitten hatte. "Hunger ist der beste Koch", beginnt er das Rededuell. Im Wechsel werfen sich die beiden Sprichwörter an den Kopf. Überraschend, wie viele Redewendungen mit der Nahrungsaufnahme zu tun haben. "In der allergrößten Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot", schließt Johannes Volkmann den Wortwechsel und stopft sich den Papierkreis in den Mund. Das Publikum lacht. Auf die Frage "Was macht uns satt?", wechselt der Papierkünstler die Tischseite, entfaltet eine Spieluhr und spielt ein Lied. Sein Gegenüber tut es ihm gleich. Das Märchen kann beginnen.

Im Folgenden erzählt Martin Ellrodt die Geschichte zweier unterschiedlicher Brüder, Dietrich und Friedrich. Der eine reich, der andere arm. Da Friedrich die Mäuler seiner vielen Kinder nicht mehr stopfen kann, bittet er erst seinen Bruder um Hilfe. Gerät dann in den Konflikt zweier konkurrierender Teufel, erhält eine Mühle, die mahlt, was immer sich der Inhaber wünscht, und macht damit nicht nur seine Familie satt, sondern aus dem kleinen Dorf, in dem die Brüder wohnen, einen Ort, in dem Wein und Käse fließen. Während der Geschichtenerzähler das Publikum in seinen Bann zieht, lässt Johannes Volkmann die Worte mit Papier, Geschirr und blauer Tinte wahrhaftig werden. Zwischenzeitlich erschleicht sich Dietrich, neidisch auf seinen jüngeren Bruder, die Mühle und wünscht, sie mahle Grießbrei. Da er jedoch den Spruch "Enemene mug, genug ist genug" nicht kennt, der die Mühle wieder zum Aufhören bringt, quillt im Nu Grießbrei aus allen Türen und Fenstern. Der Papierkünstler lässt den klebrigen Brei in Form einer Papierrolle über den Tisch gleiten. Bis Friedrich, zur Hilfe eilend, die Mühle stoppt. "Nimm dieses Teufelsding mit", ruft Dietrich und gibt sie ihm zurück. Doch der Neid lässt ihn nicht los. "Schwarz" geärgert, klaut er des Nachts die Mühle, geht auf ein (Papier-)Schiff, dessen Schiffskoch das Salz an Land vergessen hat und versucht zu entkommen. Das Märchen schließt mit der Erklärung, warum das Meerwasser so salzig ist. Den Rest kann man sich denken.

Die Spieluhr ertönt erneut. "Es ist angerichtet", sagen die Künstler, und das Publikum macht sich über das Festmahl her. Die Gastgeber schenken Wein aus, der Landrat versorgt die Umsitzenden mit Brot. Es ist die zweite Vorstellung an diesem Tag. "Die am Abend zieht sich oft über Stunden hin", sagt Martin Ellroth und lächelt. Mit einem Glas Rotwein in der Hand blickt er zur schwatzenden Tafel. Es kann noch ein langer, schöner Abend werden.

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: