Aufklärung, Prävention, Information:Ein Netzwerk gegen sexuelle Gewalt

Im Landkreis wird eine alte Initiative gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wieder belebt. Das Problem besteht nach wie vor, es sind durch die sozialen Medien sogar neue Formen dazu gekommen

Von Petra Schafflik, Dachau

Verstörende Schicksale kommen immer wieder ans Licht: Da wurden junge Sportlerinnen über Jahre von ihrem Trainer missbraucht, in Internaten sind es Lehrer, in kirchlichen Organisationen Priester, die in einer bedrückend großen Zahl von Fällen den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen Gewalt angetan haben. Doch es entstehen auch neue Formen sexueller Gewalt. Etwa wenn sich plötzlich ein Nacktfoto einer Schülerin in der Whatsapp-Gruppe ihrer Klasse findet, oder ein harmloser Chat-Kontakt zu sexuellen Handlungen vor der Webkamera drängt. Wo digitale Medien den Tätern neue Räume eröffnen, muss das Hilfs- und Beratungsangebot reagieren. Das geschieht jetzt im Landkreis Dachau.

Auf Initiative des Kreisjugendamts wird das "Netzwerk Landkreis Dachau gegen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen" aktiviert, das eine enge Vernetzung von Fachstellen, Aufklärung, Prävention und Information herstellen soll. Bald können junge Leute, ihre Familien aber auch Mitarbeiter von pädagogischen Einrichtungen über eine Internetseite des Netzwerks Informationen abrufen. In einer Podiumsdiskussion beschäftigen sich am Dienstag, 20. November, Eltern, Jugendliche und Fachleute von Polizei und Schulen mit dem "Missbrauchshelfer Smartphone".

Eine gänzlich neue Initiative ist das Netzwerk nicht, betont Landrat Stefan Löwl (CSU) bei einer Pressekonferenz. Vielmehr startete schon in den 1990er Jahren ein "Arbeitskreis gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen", in dem Fachleute im Landkreis zusammenwirkten. Bedingt durch Personalwechsel im Kreisjugendamt und anderen Einrichtungen, ruht die Arbeit seit 2013. "Das Thema war im Hintergrund immer da, der Arbeitskreis ist aber ein wenig eingeschlafen", sagt Jugendamtsleiterin Steffi Weinhold. Jetzt aber zeige sich neuer Handlungsbedarf. "Das Thema ist in den Fachstellen wie Jugendsozialarbeit an Schulen oder Kitas präsenter denn je, aber ein fachlicher Austausch fehlt", erklärt Alexandra Satzger vom Jugendamt, die das neu aktivierte Netzwerk koordiniert. Die Ziele sind die alten: "Wir möchten die Öffentlichkeit sensibilisieren, präventiv wirken, möglichst breit über das Thema sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen informieren". Betroffenen müssten kurze Wege zu zuverlässiger Hilfe aufgezeigt werden. "Barrierefrei, vertraulich und auf Wunsch anonym", sagt Landrat Löwl. Damit Opfer von sexueller Gewalt und ihre Familien fachlichen Rat bekommen, bevor sie dann möglicherweise Jugendamt oder Polizei einschalten.

Im Fokus stehen neben Betroffenen die Experten. Denn wer als Lehrerin, Erzieherin oder Sozialarbeiter auf einen möglichen sexuellen Missbrauch aufmerksam wird, braucht selbst oft Unterstützung. Deshalb organisiert das Netzwerk auch Fachvorträge externer Experten. Konkret wird es 2019 drei Veranstaltungen geben zur sexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, zu ihrem Schutz und zur Prävention. Vor allem aber zur wichtigen Frage, wie Pädagogen sensibel reagieren, wenn sie Verdachtsmomente für einen sexuellen Übergriff haben. Die Gefahr einer Überreaktion sei groß, "aber es gilt, vorsichtig zu agieren und ausgewiesene Fachstellen einzuziehen", betont Eckart Wolfrum, Leiter der heilpädagogischen Tagesstätte der Caritas.

Neu ist, dass mit digitalen Medien andere, oft subtile Formen des Missbrauchs entstehen. Auch Fachleute seien noch unsicher, wie mit Vorfällen in einer strafrechtlichen Grauzone richtig umzugehen ist. Gerade Jugendsozialarbeiter an den Mittelschulen würden häufig damit konfrontiert, dass junge Leute ihnen sexuell anzügliche Chats zeigten, sagt Wolfrum. Oft wüssten Schüler nicht, wie sie mit dem Wunsch nach einem Nacktbild umgehen sollen. Oder sie haben bereits so ein intimes Foto verschickt und werden damit erpresst. "Da geht es um Macht, Beschämung und Gruppendruck, niemand möchte als Loser dastehen", sagt Wolfrum.

Eine Patentlösung gibt es nicht, dafür etliche Fragen: Sind sexuelle Übergriffe in digitalen Medien Zeichen oder Auswirkung eines schleichenden Werteverfalls? Wer ist verantwortlich, wer schützt die Jugend? Wie viel Kontrolle der Eltern ist nötig, wie viel Freiraum brauchen Kinder? Diese und andere Aspekte diskutieren Experten mit den Zuhörern bei der Podiumsdiskussion "Missbrauchshelfer Smartphone".

Schon bei seiner Gründung erhielt das neue Netzwerk weitere Unterstützung: Carl-Gunther Rauch und Frank Menauer vom Verein Löwenkinder, der sich für benachteiligte und seelisch misshandelte Kinder im Landkreis einsetzt, übergaben eine großzügige Spende, um das wichtige Projekt rasch voranzubringen.

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