Asylbewerber in Hebertshausen:Zufluchtsort

Künstler malen und zeichnen mit Flüchtlingen in Deutenhofen. In dem Workshop finden traumatisierte Asylbewerber die Kraft, ihren Alltag zu bewältigen, und die Qualität der Bilder und Radierungen überrascht die Helfer.

Von Bärbel Schäfer

Asylbewerber in Hebertshausen: Für die 45 Flüchtlinge in Deutenhofen ist Favor Finda Mbayoh der gute Geist in der Unterkunft.

Für die 45 Flüchtlinge in Deutenhofen ist Favor Finda Mbayoh der gute Geist in der Unterkunft.

(Foto: DAH)

Favor Finda Mbayoh zeichnet mit dem Bleistift feine Wellenlinien auf die Leinwand. Sie bilden den Hintergrund einer Landschaft mit hohen Bäumen, einem Vogel und einem Kind. Favor Finda Mbayoh hat ihr Dorf in Sierra Leone gezeichnet. Mit ihren 62 Jahren ist die Schwarzafrikanerin die älteste Bewohnerin der Asylbewerberunterkunft im Schloss Deutenhofen. Sie ist eine von fünf Frauen und so etwas wie eine Instanz in dieser Schicksalsgemeinschaft aus 45 Flüchtlingen, die aus Mali, Nigeria, Senegal, Sierra Leone und Kongo stammen. Favor Finda Mbayoh hat sichtlich Freude am Zeichnen und auch die anderen Asylbewerber, lauter Männer zwischen 19 und 35 Jahren, sind mit Feuereifer bei der Sache. Gabi Middelmann, Günter Urban und Alfred Ullrich von der Künstlervereinigung Dachau organisierten für sie einen eintägigen Workshop in Malerei und Drucktechnik. Die Idee dazu hatte Sabine von Hoff. Mit rund 25 anderen ehrenamtlichen Helfern aus Hebertshausen und Ampermoching trägt die Physiotherapeutin dazu bei, dass die Asylbewerber ihren eintönigen Alltag besser bewältigen.

Der Helferkreis gibt Unterricht in Deutsch und in Lebenskunde, beispielsweise wie man ein S-Bahn-Ticket löst, und organisiert die Freizeitgestaltung. Ein Besuch bei der Freiwilligen Feuerwehr, ein Kegelabend, ein Trommelworkshop, gemeinsames Joggen. Im Januar fand in Markt Indersdorf ein Fußballturnier statt. "Es sind viele kleine Bausteine. Wir wollen den Asylbewerbern Wertschätzung entgegenbringen und etwas von ihnen kennenlernen", sagt Sabine von Hoff. Der Kunst-Workshop ist einer dieser Bausteine. Birgit Schryvers ist ebenfalls daran beteiligt. Die Malerin aus Neufahrn setzt sich seit mehr als 20 Jahren für das Hilfsprojekt "Art for Africa" ein, das sie seit Jahren auf der österlichen Kunstausstellung im Schulzentrum in Markt Indersdorf bewirbt.

Im Erdgeschoss ist die Druckwerkstatt eingerichtet. Günter Urban und Alfred Ullrich, die Grafikspezialisten in der KVD, zeigen den jungen Männern, wie man eine Kaltnadelradierung herstellt. Gearbeitet wird mit einfachen Mitteln, geritzt wird in Kunststoffplatten, gedruckt in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau. Die Verständigung ist nicht einfach, die meisten sprechen nur Englisch oder Französisch und ein paar Brocken Deutsch. "Making by doing", lacht Alfred Ullrich und streicht Farbe auf die Platte, wischt sie so lange ab, bis eine menschliche Hand mit fünf Fingern sichtbar wird, einfach gezeichnet wie von einem Kind. In dicken Lettern steht der Name des Urhebers daneben: Mali Moussa. Mamadou Marve und Diallo Boubacar, beide aus Mali, haben als Motiv jeweils ein Auto und ein Fahrrad gewählt. Ebenfalls naiv dargestellt. Die meisten haben keine künstlerische Vorbildung, wie sie bei uns in der Schule üblich ist. Nur selten wählen die Workshopteilnehmer ein afrikanisches Motiv, so wie Drisar Diarra. Der 30-Jährige aus Mali stellt sein Dorf Segou dar, mit Häusern, Bäumen, Vögeln und einer Ziege. Sonne, Wolken und Regen gibt es auch im Bild, "das Wetter", sagt Diarra. "Sie wollen ihre deutschen Eindrücke verarbeiten, vielleicht auch die eigene Vergangenheit hinter sich lassen", meint Sabine von Hoff. Viele haben traumatische Verluste erlitten, einem Asylbewerber wurde die ganze Familie ermordet.

Der Workshop unterscheidet sich vom üblichen Kunstunterricht, den Gabriele Middelmann Kursteilnehmern erteilt. Sie steht im ersten Stock zwischen den Asylbewerbern, die an langen Tischen malen und zeichnen. Zu Beginn erklärte sie, wie man eine Leinwand spannt und grundiert, Schablonen schneidet und Spachtelmasse anrührt. Die Asylbewerber malen spontan drauf los, sind mehr an Techniken als an Themen interessiert. Experimentelles Arbeiten liegt ihnen. "Man muss umdenken, mehr zeigen und demonstrieren, als erklären", sagt Middelmann. Ein Buch mit Mustern und Ornamenten fand zu ihrer Enttäuschung keine Beachtung. "Wir wollen afrikanische Motive,und die Afrikaner wollen europäische Motive", sagt sie. Der 21-jährige Moussa Tall füllt die Umrisse einer weißen lesenden Frau am Seeufer mit Farbe. Er hat das Bild zusammen mit der neunjährigen Johanna, Tochter einer Helferin, gemalt. Die Vorlage stammt aus einem französischen Bildwörterbuch. Alle anderen arbeiten ebenfalls mit höchster Konzentration. Diopel-Hadji Macoura führt vorsichtig den Pinsel. Sein Bild ist fast fertig. Eine Hand gießt aus einer schlauchartigen Öffnung Wasser in einen blauen, verzierten Krug. Der Senegalese hat künstlerisches Gespür, seine handwerklichen Kenntnisse helfen. In seiner Heimat arbeitete er als Fliesenleger.

Gegenüber sitzt Abdou Lahat Seck und kopiert ein Damenporträt im Stil der dreißiger Jahre, detailgetreu und akribisch. Er vertieft sich in die Faltenwürfe des breiten Blusenkragens. Abdou war früher als Schneider beschäftigt. Der Schreiner Efe Igheahe hält einen Föhn an seine abstrakte Komposition. Ihn interessiert die Beschaffenheit von Oberflächen. Die Farbschicht wird schrundig und bricht auf wie dürrer Boden. Die 62-jährige Favor Finda Mbayoh ist nun mit der Vorzeichnung fertig. Sie streicht mit einem breiten Pinsel eine dünne Schicht rosaroter Farbe auf die Leinwand. Die Umrisse der Bäume, Vögel und Wellenlinien verschwinden fast unter der Grundierung. "So ist es richtig", freut sich Gabriele Middelmann. "Man muss sie nur machen lassen." Auch für die KVD-Künstler bedeutet dieser Workshop eine neue Erfahrung. Sie lassen sich respektvoll auf eine andere Auffassung von Kunst ein und lernen, dass die eigenen Maßstäbe nicht die einzig gültigen sind. Die Bilder und Grafiken werden noch auf einer Vernissage im Rathaus von Hebertshausen präsentiert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: