Süddeutsche Zeitung

Asylrecht:Ernst Grube spricht der CSU ins Gewissen

Holocaust-Überlebender fordert in einem Brief an Landtagspräsidentin Barbara Stamm einen Abschiebestopp für Afghanen.

Von Walter Gierlich, Dachau

In der bundesweiten Diskussion über Abschiebungen nach Afghanistan hat sich der Holocaust-Überlebende Ernst Grube erneut nachdrücklich zu Wort gemeldet. Der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau hatte bereits in seiner Gedenkrede zum 72. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945 scharfe Kritik an der Abschiebepraxis für Geflüchtete geübt. Vor allem die Ereignisse in Nürnberg, wo ein junger Mann aus Afghanistan trotz dem heftigen Protest seiner Mitschüler von Polizeibeamten aus dem Unterricht an der Berufsschule geholt wurde, haben den 84 Jahre alten Grube jetzt bewogen, sich in einem Brief an die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm zu wenden. Er fordert die einflussreiche CSU-Politikerin auf, "sich dafür einzusetzen, dass Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt werden".

Dass er sich gerade an Stamm wendet, begründet Ernst Grube damit, dass er gelesen habe, "dass Sie Sympathien für die Arbeit der ehrenamtlichen Asylhelfer gezeigt haben und dass Sie auch für eine Neubewertung von Afghanistan ,als sicherem Land' sind". Er habe sich an den 28. Januar erinnert, als er mit einer Delegation des Landtags das Außenlager Leitmeritz des KZ Flossenbürg in Tschechien besucht habe, und er und Stamm "im Krematorium tief ergriffen nebeneinander standen".

Der Überlebende des KZ Theresienstadt schreibt, dass die Landtagspräsidentin und viele Abgeordnete die Öffentlichkeit immer wieder mahnten: "Wir dürfen nicht vergessen - wir müssen aus der Geschichte lernen." Für Grube stellt sich daher die Frage: "Dürfen wir zulassen, dass Menschen, die Furchtbares erlebt haben, hilflos in Elend und Krieg zurück geschickt werden?" Vor allem über die Ereignisse in der Nürnberger Berufsschule ist der Nazi-Verfolgte entsetzt. "Ich bin empört, dass junge Menschen, die sich in einer entscheidenden Situation solidarisch zeigen, nämlich dann, wenn aus ihrer Klasse und Schule ein afghanischer Mitschüler herausgegriffen wird und abtransportiert werden soll, durch einen Polizeieinsatz mit Knüppeln, Pfefferspray und Hunden bekämpft werden. Das kann nicht Recht sein."

Der Schüler wurde inzwischen aus der Abschiebehaft entlassen. Die Bundesregierung will nach dem schweren Terroranschlag vergangene Woche in Kabul Afghanen vorerst nur in begrenzten Fällen in deren Heimat zurückschicken.

"Weder ein Gnadenakt noch ein Deal"

72 Jahre sei es nun her, dass er aus Theresienstadt befreit worden sei, schreibt Grube. "Befreit von Todesangst, von Ausgrenzung und Entrechtung, befreit von Faschismus und Krieg. Ich kann die Angst und Verzweiflung der Menschen, die ins sichere Elend transportiert werden sollen, nachempfinden. Meine beiden Geschwister und ich gehörten zu den wenigen aus München deportierten Kindern, die wieder zurückgekehrt sind. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir in unserem Land ein waches, gegenüber Unrecht empfindliches Gespür und Bewusstsein brauchen, um als Demokratie zu bestehen", so sein Appell an Stamm. Der grundgesetzlich garantierte Schutz werde aufgekündigt. Auch Existenzmöglichkeiten und der Aufbau von beruflichen Perspektiven, wie sie im Integrationsgesetz des Bundes festgelegt seien, würden gerade in Bayern immer öfter verweigert.

Grube betont: "Asyl und Schutz sind weder ein Gnadenakt noch ein Deal. Sie sind eines der zentralen Rechte unserer Verfassungen." Aus der Geschichte zu lernen, heiße daher "auch für Menschen, die vor Krieg, Terror und Not fliehen, einzutreten und ihnen Schutz zu geben".

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SZ vom 06.06.2017/gsl
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