Die Internationale Jugendbegegnung in Dachau bietet Jugendlichen jährlich ein Forum der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Konzentrationslagers – das bleibt auch bei der 41. Jugendbegegnung so, aber in diesem Jahr steht die Veranstaltungsreihe unter einem aktuellen Schwerpunktthema: dem Antisemitismus.
„Jetzt erst recht“, sagt Projektleiterin Anja Schuller-Müller vom Kreisjugendring (KJR) mit Blick auf den Judenhass, der seit dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 weltweit grassiert. Tatsächlich sei das Thema von ihrem 20-köpfigen Organisationsteam bereits vor dem 7. Oktober geplant gewesen, weil die Zahl antisemitischer Vorfälle und Übergriffe in Deutschland schon seit einigen Jahre erschreckend zugenommen hat. In diesem Jahr kommen 69 Teilnehmer aus 19 Ländern nach Dachau. Vor einem Jahr waren es noch 39 – „wir haben hoffentlich das Corona-Tief überwunden“, sagt Schuller-Müller.
Zusammenarbeit mit der Korczak-Akademie
Die Jugendlichen zwischen 16 und 26 Jahren kommen aus Dänemark, Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Russland, Ukraine, Spanien, Tschechien, Türkei, Zypern, Mexiko, Peru, aus den USA, aus Deutschland (fünf) und Israel (fünf). Die Jugendbegegnung im Max-Mannheimer-Haus Dachau, die vom 27. Juli bis 10. August stattfindet, dauert in diesem Jahr einen Tag länger, weil in Zusammenarbeit mit der Europäischen Janusz-Korczak-Akademie in München vier Workshops zum Antisemitismus angeboten werden.
Daneben sind zum Schwerpunktthema noch weitere Workshops vorgesehen: etwa über Antisemitismus in der ehemaligen Sowjetunion, zu jüdischem Leben und jüdischer Kultur oder der Workshop „Basics of International Law“, in dem über Grundbegriffe des Völkerrechts gesprochen wird. Geklärt wird darin auch, was überhaupt ein Genozid ist, den Linke und sogenannt pro-palästinensische Demonstranten seit dem 7. Oktober besonders vehement Israel vorwerfen, um seine militärischen Antiterror-Operationen im Gazastreifen in der Weltöffentlichkeit zu delegitimieren.
Kritik oder Antisemitismus?
Grundsätzlich, so Schuller-Müller, gehe es darum, den Jugendlichen den Unterschied zwischen einer zulässigen Kritik an einzelnen Entscheidungen israelischer Politik wie jeder anderen und den antisemitisch motivierten Angriffen deutlich zu machen, wenn etwa das Existenzrecht des jüdischen Staates bestritten wird, indem er dämonisiert, doppelte Standards angelegt oder seine Legitimität als angeblicher „weißer Kolonialstaat“ infrage gestellt wird.
Die Projektleiterin hat da durchaus Hoffnung: In der direkten Begegnung der Teilnehmer aus so vielen Nationen würden die Jugendlichen merken, dass der andere so viel anders nicht ist. „Die Gemeinsamkeiten sind größer als die Unterschiede“, sagt Schuller-Müller. Diese Erkenntnis erwecke Verständnis für die Perspektive der anderen, zumal die Jugendlichen in den Diskussionen über alles sprechen könnten, wenn es mit gegenseitigem Respekt geschehe. Als Beispiel gelungener Verständigung erzählt Schuller-Müller von einem türkischen und armenischen Teilnehmer im vergangenen Jahr, die sich am Beginn der Jugendbegegnung weigerten, ein Zimmer zu teilen. „Heute sind sie befreundet und kommen wieder.“
Dachauer Jugend ist desinteressiert
Ein Problem zieht sich seit dem Beginn der Internationalen Jugendbegegnung bis heute durch: Die Dachauer Jugendlichen haben kein Interesse. Schulleitungen, so die Projektleiterin, hätten für eine Teilnahme geworben, auch die Gemeindeverwaltungen und Landrat Stefan Löwl (CSU) – ohne jeden Erfolg. Deshalb bietet man in diesem Jahr Dachauern Gastplätze in einzelnen Workshops an, um, wie Schuller-Müller sagt, einfach mal reinzuschnuppern – und vielleicht dann doch im nächsten Jahr seine Teilnahme anzumelden.
Andernorts aber hat die Internationale Jugendbegegnung in Dachau großes Ansehen: Schuller-Müller erzählt von einem Jugendlichen aus dem kanadischen Toronto, der seit zwei Jahren auf die Teilnahme gewartet hat. Jetzt ist er 16 und kann nach Dachau kommen. Seine Mutter hatte in ihrer Jugend dreimal an der Begegnung teilgenommen.
Höhepunkt: Gespräche mit Zeitzeugen
Das Programm sieht auch wieder öffentliche Veranstaltungen vor. Das Internationale Gartenfest am Samstag, 3. August, von 14 bis 17 Uhr im Max-Mannheimer-Haus wartet mit einem Bühnenprogramm auf: Geboten werden interkulturelle Beiträge der Teilnehmenden und der Knabenkapelle Dachau, bevor um 17 Uhr die Fete richtig losgeht. Die Besucher können in der Creative Area künstlerisch tätig werden oder an interaktiven Aktionen teilnehmen. Das Zeitzeugencafé findet am Sonntag, 4. August, von 14 bis 16 Uhr statt. Die Besucher können Gespräche mit Ernst Grube, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, Tomy Shacham, David Sivor und Katalin Szegö führen, die über ihre persönlichen Erfahrungen in der NS-Zeit und danach berichten.
Der lange Kampf um Anerkennung
Das Treffen findet seit 1998 im damals neu eröffneten Jugendgästehaus Dachau statt. Zuvor war es ein Zeltlager, das sich seinen Platz in der Stadt Dachau über viele Jahre immer wieder neu erkämpfen musste. Die Veranstalter erinnern daran in ihrem Konzept: Die Zeltlager seien „mit erheblichem politischen Widerstand in Dachau konfrontiert“ gewesen. „Nicht immer war die Internationale Jugendbegegnung in Dachau akzeptiert, nicht immer befürwortete die Öffentlichkeit und die Mehrheit des Stadtrates das Engagement der Organisatoren.“ Fast vergessen seien diese „anfänglichen Schwierigkeiten und die rebellischen Jahre“ seit dem Umzug ins Jugendgästehaus. Damit habe sich die inhaltliche Arbeit verändert, sie sei noch intensiver geworden.
Inzwischen belasten neue Probleme die Arbeit: Die Kosten steigen, die Zuschüsse sind aber gleichgeblieben oder gar reduziert worden. „Wir arbeiten mit immer weniger Geld“, sagt Schuller-Müller.
Die Internationale Jugendbegegnung findet dieses Jahr vom 27. Juli bis 10. August im Max-Mannheimer Haus statt. Eine Anmeldung für das gesamte Programm ist nicht mehr möglich, aber Dachauer Jugendliche können sich für einzelne Workshops noch bis 28. Juli anmelden.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag ist zunächst unter einem anderen Titel und mit einem anderen Bild erschienen.