Angst vor Krebs:Ärzte warnen vor Panik

Mit ihrer öffentlichen Erklärung über ihre vorsorgliche Brustamputation hat Angelina Jolie ein Tabu gebrochen - und wohl auch bei Frauen die Angst vor Krebs geschürt. Ärzte berichten von einem Ansturm auf Arztpraxen und warnen vor einer Panik.

Von Daniela Gorgs

Professorin Gerlinde Debus, Gynäkologin und Chefärztin der Amperkliniken AG in Dachau, spricht von einem "Dammbruch": Seit Mittwoch redet die Welt über den Filmstar Angelina Jolie, die sich aus Angst vor Krebs die Brüste hat abnehmen lassen. Seitdem suchen viel mehr Frauen als je zuvor die Praxen Dachauer Gynäkologen auf, um sich auf das defekte Gen BRCA1 untersuchen zu lassen. Die Mutation, die bei der 37-jährigen Schauspielerin entdeckt worden ist, erhöht das Brustkrebsrisiko um ein Vielfaches. Der Dachauer Gynäkologe Johann de Waal sieht da Züge einer "Hysterie" unter den Frauen. Das ist die männliche Sichtweise. Gerlinde Debus hat dagegen Verständnis für die Entscheidung von Angelina Jolie und die Reaktion vieler Frauen darauf.

Brustkrebsuntersuchung

Mammografie: Für viele Frauen ist die Angst vor der Diagnose Brustkrebs eine permanente psychische Belastung.

(Foto: dpa/dpaweb)

Der Filmstar hat mit seinem Bekenntnis zur Brustamputation in der New York Times erkrankten Frauen Mut gemacht, wie die Chefärztin meint. "Meiner Weiblichkeit tut das keinen Abbruch", erklärte Jolie, Verlobte von Brad Pitt und Mutter von sechs Kindern, die als eine der schönsten Frauen der Welt gilt. Patientinnen, die den lebensrettenden Eingriff einer Brustamputation über sich ergehen lassen müssen, leiden unter psychischen Folgen. Gerlinde Debus sagt auch: "Die Frauen wollen ihr Risiko wissen." Natürlich rät die erfahrene Ärztin nicht einfach zu einer vorsorglichen Brustamputation. Sie findet zwar den Schritt der amerikanischen Schauspielerin "durchaus bemerkenswert" - doch Jolies Weg ist kein Vorbild für alle. An eine entsprechende Operation am Amperklinikum erinnert Gerlinde Debus sich nicht. Wohl aber ließen sich 2012 zwei Frauen präventiv die zweite Brust abnehmen, nachdem ihre erste an Krebs erkrankt war. Das sei ein individueller Schritt, der vorbereitet und durchdacht werden müsse, betont die Chefärztin.

Der niedergelassene Facharzt Johann de Waal befürchtet dagegen, dass jetzt eine Panik um sich greifen könnte. Bereits am Donnerstagvormittag, nach den ersten Presseberichten über Angelina Jolie, sind mindestens zehn zusätzliche Patientinnen in seine Praxis gekommen. Alle hatten dieselbe bange Frage: Habe auch ich das defekte Gen BRCA1? Er habe, so Johann de Waal, die Frauen beruhigen müssen, dass sie es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht hätten, nur weil es in der Familie irgendwann einen Krebsfall gab. Bei etwa zehn Prozent komme Brustkrebs in der Familie vor, davon seien fünf Prozent erblich verursacht - das sind 7000 Fälle in Deutschland pro Jahr. Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2011 rund 119.000 Brustentfernungen oder brusterhaltende Operationen vorgenommen. Vorsorgliche Eingriffe wie bei Angelina Jolie machten davon einen Anteil von weniger als zwei Prozent aus. Die meisten Eingriffe, etwa 93.000, erfolgten nach bereits aufgetretener Erkrankung. Auch bei präventiven Eingriffen gilt: "Jede Operation hat Risiken", sagt Gerlinde Debus. Zudem könnten Silikonprothesen eine sogenannte Kapselfibrose bilden, das Gewebe verhärte sich, das Ergebnis könne unschön bis entstellend wirken. Auch gehe mit der Amputation die Sensibilität der Haut verloren.

Aber das defekte Gen BRCA1: Im Schnitt erhöht sich dadurch das Erkrankungsrisiko um 65 Prozent, in Jolies Fall sprachen die Ärzte von 85 Prozent. Wenn in der Familie einer Patientin Frauen unter 50 Jahren an Brust- oder Eierstockkrebs litten, könnte das defekte Gen vererbt worden sein. Doch es muss nicht zur Krebserkrankung führen. Ein Gentest ist eine individuelle Entscheidung, hat aber bei einem positiven Ergebnis immer eine extreme psychische Belastung zur Folge. Johann de Waal verurteilt den Hype um Angelina Jolies Geschichte. Sie habe die Frauen verunsichert. Noch schlimmer: "Damit hat die Dame aus Amerika ein gutes Geschäft gemacht", sagt de Waal. Das sieht die Welt aber anders: Angelina Jolie war zwar (noch) nicht erkrankt, vielleicht hat sie ihre Angst wegschneiden lassen - auf jeden Fall aber ein Tabu zugunsten der Frauen gebrochen.

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