Amtsgericht Dachau:Schuldeneintreiber greift Frau mit Gaspistole an

Amtsgericht Dachau: Der Fall wurde vor dem Amtsgericht Dachau verhandelt.

Der Fall wurde vor dem Amtsgericht Dachau verhandelt.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Mann ist geständig, lässt aber über seinen Verteidiger ausrichten, aus Panik gehandelt zu haben. Das Gericht verurteilt ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu zehn Monaten Gefängnis.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Unstrittig ist: Der Angeklagte, ein 38-jähriger Mann aus dem Landkreis Lörrach in Baden-Württemberg, hat eine 59-Jährige Dachauerin im März 2021 mit einer Gaspistole schwer verletzt. Unstrittig ist auch: Grund für den Besuch des Mannes war ein Inkassoverfahren. Die Dachauerin soll ihrer ehemaligen Chefin eine Geldsumme in Höhe von 92 000 Euro schulden, welches der Mann, tätig für ein Inkassounternehmen, für diese eintreiben sollte. Warum aber die Waffe gezückt und damit auf die Geschädigte geschossen wurde, das kann auch eine Verhandlung vor dem Dachauer Amtsgericht letztlich nicht zweifelsfrei klären. Für Richter Christian Calame steht dennoch fest: Der Angeklagte hat sich der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht und aufgrund eines beachtlichen Vorstrafenregisters führt für ihn an einer Freiheitsstrafe auch kein Weg vorbei.

Die Geschädigte schildert den Tathergang so: Es klingelt. Sie setzt, im Glauben, es handle sich um einen Paketboten, ihre FFP2-Maske auf und öffnet die Tür. Im Hausflur steht ein maskierter Mann, der, ohne etwas zu sagen, die Waffe zückt und schießt. Das Gas trifft sie an den Stellen im Gesicht, die nicht von der Maske bedeckt sind und am Hals. Dann verschwindet der Mann so schnell wie er gekommen ist. Sie selbst bleibt zurück mit geschwollenen Augen, Rötungen der Haut und Reizhusten - und auch gut ein Jahr nach der Tat noch mit Angstzuständen. "Ich versuche seitdem, damit klar zu kommen", sagt sie vor Gericht. Auf die Frage von Richter Calame, wie sie sofort gewusst habe, dass der Mann von ihrer ehemaligen Chefin geschickt worden sei, sagt sie, es gebe sonst einfach niemanden "mit dem ich - im wahrsten Sinne des Wortes - noch eine Rechnung offen habe" und dem eine solch brutale Tat zuzutrauen sei. Dass sie die Auftraggeberin um Geld betrogen habe, bestreitet die Geschädigte.

Das Schmerzensgeld übergibt der Angeklagte in bar

Der Angeklagte indes lässt den Tathergang von seinem Verteidiger so schildern: Zum Tatzeitpunkt sei er noch nicht bei der Inkassofirma angestellt gewesen, sondern habe dort ein unbezahltes Praktikum gemacht. An dem Tattag habe er die Frau eigentlich gemeinsam mit einem ihm zugeteilten Angestellten aufsuchen wollen. Dieser habe jedoch im Auto über Schmerzen geklagt und sei deshalb nicht mit zu deren Wohnung gekommen, als die Frau nach mehrstündigem Warten nicht aus dem Haus gekommen sei. Als diese nach dem Klingeln die Wohnung geöffnet habe, habe er ihr erklärt, warum er hier sei, woraufhin sie laut geworden und sich auf ihn zu bewegt habe. Weil er auf dem Treppenabsatz gestanden habe, habe er nicht zurückweichen können. Vor lauter Panik habe er dann im Affekt den Schuss abgefeuert. Sie zu verletzten, sei nie seine Absicht gewesen. Um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen, entschuldigt sich der Angeklagte im Gerichtssaal später bei der Geschädigten und übergibt ihr als Schmerzensgeld 500 Euro in bar.

Für den Staatsanwalt kommen sowohl die Entschuldigung als auch die Schmerzensgeldübergabe am Tag der Verhandlung zu spät. Auch erscheint ihm das seitens der Verteidigung gezeichnete Bild des "unschuldigen Selbstverteidigers" unglaubhaft. Die vom Verteidiger verlesene Einlassung sei weniger ein Geständnis als eher ein Entgegenkommen. Besonders schwer wiegt aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber die lange Liste an Vorstrafen: Ganze 42 Eintragungen enthält das Bundeszentralregister, von schwerer Körperverletzung über Beleidigung, dem Erschleichen von Leistungen, Sachbeschädigung und dem sexuellen Missbrauch von Kindern sowie einer exhibitionistischen Handlung ist seit der frühesten Jugend alles dabei. Die Bewährungsstrafe dafür, dass er vor zwei Mädchen in der Bahn masturbiert hat, ist auch noch nicht verbüßt. Eine positive Sozialprognose sei angesichts dieser Ausgangslage "nicht erkennbar". Eine Einschätzung, der der Nebenklagevertreter noch hinzuzufügen hat, dass zu Lasten des Angeklagten außerdem berücksichtigt werden müsse, dass die Tat im Zuhause der Geschädigten, sprich in einem besonders geschützten Bereich, stattgefunden habe. Beide fordern eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten.

"Was bringt's denn, wenn wir ihn wieder einsperren?"

Der Verteidiger des Angeklagten sagt, er bedauere, dass die Gegenseite die Ausführungen des 38-Jährigen als Rechtfertigung empfunden habe und nicht so, wie sie eigentlich gemeint gewesen seien: nämlich als Erklärungsversuch. Des Weiteren sieht er, anders als diese, durchaus eine positive Sozialprognose. Zwar sei sein Mandant in der Vergangenheit häufig straffällig geworden, doch habe es sich dabei nicht in allen Fällen um schwere Vergehen gehandelt. Positiv anzurechnen sei dem Mann auch, dass er nach einer von Sucht und Gewalt geprägten Kindheit nun endlich versuche, sein Leben in Ordnung zu bringen: Er habe aufgehört, Drogen zu nehmen, trinke kaum noch Alkohol, plane, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, habe seinen Führerschein gemacht, sei mittlerweile bei der Inkassofirma fest angestellt und versuche, seine Schulden in Höhe von 50 000 Euro - unter anderem aus vorherigen Gerichtsverfahren - zumindest in kleinen Schritten abzubezahlen. Auch unter diesem Aspekt fragt der Verteidiger: "Was bringt's denn, wenn wir ihn wieder einsperren?" Dadurch würden die Schulden schließlich nicht weniger. Er plädiert deshalb dafür, die zehn Monate auf Bewährung auszusetzen.

Richter Calame allerdings schließt sich in seinem Urteil der Meinung des Staatsanwalts und des Nebenklagevertreters an: "Die Tat war massiv", an einem Gefängnisaufenthalt führe deshalb auch mit Blick auf das lange Vorstrafenregister kein Weg mehr vorbei.

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