Amtsgericht Dachau:Scheingefechte

Weil der Hergang einer weihnachtlichen Schlägerei vor einer Dachauer Bar nicht zu klären ist, stellt Richter Dorner das Verfahren ein.

Gregor Schiegl

- In der Nacht von Heilig Abend auf den ersten Weihnachtsfeiertag 2011 ging es vor dem Dachauer Club nicht eben besinnlich zu: Gegen vier Uhr morgens mussten Polizei und Krankenwagen anrücken. Einige Heranwachsende hatten sich eine Massenschlägerei geliefert. Es gab Platzwunden, Knochenbrüche, Blutergüsse. Ein 19-jähriger Schüler berichtet, dass sich gleich fünf Leute auf ihn stürzten, als er die Bar verlassen wollte; er bekam eine Flasche ins Gesicht. "Ich weiß eigentlich bis heute nicht, warum."

Die erste Auseinandersetzung, die womöglich der zündende Funke für das unchristliche Weihnachtsgetümmel war, wurde am Montag am Amtsgericht Dachau verhandelt. Ein 20-jähriger Facharbeiter aus Karlsfeld saß auf der Anklagebank, weil er seinem Kontrahenten, einem 25-jährigen Selbständigen aus Dachau, mit einem Faustschlag das Nasenbein gebrochen haben soll. Die Umstände der Tat konnte Richter Daniel Dorner trotz mehrstündiger Verhandlung und Befragung eines halben Dutzends Zeugen nicht zweifelsfrei ermitteln, denn die Zeugen boten zwei in sich stimmige Versionen an, die aber überhaupt nichts miteinander zu tun hatten. Und so gab es zwei grundverschiedene Weihnachtsgeschichten.

In der Version der zwei jungen Männer, die mit dem Angeklagten aneinandergeraten waren - ein 24-jähriger Arbeitssuchender aus Dachau und der 25-jährige Selbständige - erscheint der Karlsfelder als einer, der seine Aggressionen auch diesmal wieder nicht unter Kontrolle hatte - und zuschlug. Der Angeklagte ist mehrfach einschlägig vorbestraft, erst vor kurzem verbüßte er einen Jugendarrest wegen gefährlicher Körperverletzung.

Nach Version der beiden Männer trafen sie den Angeklagten gegen 3.40 Uhr vor dem Lokal an. Angeblich stritt er heftig mit seiner Freundin. Der 24-Jährige mischte sich ein und ermahnte den Karlsfelder, er solle friedlich sein, "schließlich ist Weihnachten". Als sie sich schon wieder zum Gehen abgewandt hätten, sei auf einmal sein Freund blutend neben ihm zu Boden gegangen. Ein Fausthieb hatte ihm das Nasenbein zertrümmert. Beim Sturz auf den Boden zog er sich zudem eine Platzwunde zu. Klar, wer das gewesen sein muss. - Das ist die eine Version.

In der anderen Version - der Version des Angeklagten - sind die beiden anderen Männer und ein dritter, den er als "größer und etwas schwerer" beschrieb, die wahren Bösewichte. Er habe mit seiner damaligen Freundin "ganz normal" vor dem Lokal diskutiert, ob sie noch bleiben oder nicht doch lieber in einen anderen Club weiterziehen sollen. Dann hätten drei junge Männer sie umstellt und an die Wand gedrängt. Er habe gesagt, sie sollten sie in Ruhe lassen, "ich wollte keinen Stress". Daraufhin hätten sie ihn mit Fäusten am Kopf traktiert. Auf der Flucht habe er schließlich einmal mit der Faust "zurückgeschlagen". Wen er dabei wo getroffen habe, wisse er nicht. Mit seiner damaligen Freundin verschanzte er sich im Keller eines benachbarten Cafés. "Auf einmal haben sie angefangen zu pöbeln", sagte die Freundin aus. "Ich habe gar nicht verstanden, warum: Er hat ja weder ihnen noch mir etwas getan. Und dann ist es plötzlich voll in eine Massenschlägerei ausgeartet."

Richter Daniel Dorner nannte es "sehr erstaunlich, wie unterschiedlich ein Szenario sein kann", denn für beide Versionen fanden sich zahlreiche glaubhaft klingende Zeugen, "da kann man schon fast an der Realität zweifeln." Schließlich stellte das Amtsgericht das Verfahren ein: Wegen des erst kurz zuvor wegen einer anderen Körperverletzung verbüßten Jugendarrests beantragte die Staatsanwaltschaft, auf weitere Strafverfolgung zu verzichten.

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