Amtsgericht Dachau:Knapp am versuchten Mord vorbei

Wegen einer Nichtigkeit kommt es an einer Tankstelle zu einer brutalen Schlägerei zwischen jungen Männern. Einer wird durch einen Fußtritt ins Gesicht schwer verletzt. Der Täter erhält eine Bewährungsstrafe.

Daniela Gorgs

- Es ist eine brutale Geschichte. Ein paar Freunde fahren nachts um 2 Uhr an die Tankstelle. Sie kommen aus einem Club und haben noch Durst. Einer von ihnen, ein 21-jähriger Mann, bleibt im Auto sitzen. Schaut aus dem Fenster. Das missfällt einem anderen Tankstellenbesucher. Er steht mit zwei Freunden vor dem Eingang, fühlt sich beobachtet und macht eine Bemerkung. Daraufhin steigt der junge Mann aus dem Auto, geht auf die Gruppe zu. Es wird gestritten, geschubst und geschlagen. Am Ende liegt der 21-Jährige bewusstlos und blutüberströmt am Boden. Einer aus der Gruppe hatte ihm mit dem Fuß mitten ins Gesicht getreten.

Der Vorsitzende Jugendrichter Daniel Dorner beginnt die Verhandlung betont sachlich. Schiebt Stühle umher, bringt alles in die richtige Position. Dorner muss in dem kleinen Gerichtssaal vier Angeklagte und ihre Verteidiger unterbringen. Dem 21-Jährigen und den drei Widersachern wird an diesem Tag der Prozess gemacht. Ein Jahr und knapp zwei Monate nach dem Vorfall vergangen, der sich an einer Tankstelle in Karlsfeld ereignete.

Befragt wird zunächst das Opfer - der 21-Jährige ist wegen vorsätzlicher Körperverletzung angeklagt, da er den Streit begann und den ersten Schlag setzte. Der junge Mann kann sich an nichts mehr erinnern. Nur, dass er zuvor auf einer Feier in München sieben oder acht halbe Bier getrunken hatte und mit einem Typen in einen Streit geraten war. Er weiß auch, dass er mit den Freunden später noch zu einer Tankstelle fuhr. Dann: Filmriss, Blackout, bis er im Krankenhaus aufwachte. Mit Jochbeinbruch, aufgeplatzter Lippe, einem fehlenden Schneidezahn und einer Gehirnerschütterung. Wie später herauskam, hatte der 21-Jährige mehr als zwei Promille Alkohol im Blut. Eine partielle Amnesie ist nachvollziehbar.

Was die Staatsanwältin dann aber erstaunt, ist, dass auch die Widersacher scheinbar unter einer Amnesie leiden. Die drei Freunde im Alter zwischen 21 und 23 Jahren hatten erheblich weniger Alkohol im Blut, können sich aber nur bruchstückhaft an den Vorfall in der Septembernacht vergangenen Jahres erinnern. Der 20-Jährige, der sich wegen vorsätzlicher Körperverletzung verantworten muss, erklärt, er habe den, der aus dem Auto hergeschaut habe, nur zurückgeschlagen, nachdem er einen Faustschlag von ihm kassiert habe. Wer auf ihn getreten habe, wisse er nicht.

Der 23-Jährige legt ein Geständnis ab. Er sei's gewesen. "Ich habe mit dem Fuß auf ihn eingetreten." In die folgende, betretene Stille hinein fragt der Richter: "Warum?" - "Eine Kurzschlussreaktion", antwortet der Angeklagte. Zusammen mit dem dritten im Bunde, einem 21-Jährigen, muss er sich wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verantworten. Doch der Ältere nimmt den Jüngeren in Schutz. Der Freund habe sich an dem Streit nicht beteiligt. "Er hat nichts gemacht." Der 21-Jährige, er ist zwei Köpfe kleiner als die anderen, sagt, er habe versucht, dazwischen zu gehen. Nach dem Vorfall rannten die drei Freunde weg.

Die Staatsanwältin will mehr über den Fußtritt wissen. Wie kam der Mann zu Boden? Wohin ging der Tritt? Der 23-Jährige zuckt nur mit den Schultern. Der Verteidiger des Opfers mischt sich ein. Er erzürnt sich, dass die Anklage nicht auf versuchten Mord lautet. Jetzt blickt der 23-Jährige auf und entschuldigt sich bei seinem Opfer.

Das Gericht hört sich fünf Zeugen an: ein unbeteiligtes Trio, das ebenfalls gerade Partynachschub an der Tankstelle holte sowie die zwei Freunde, mit denen das Opfer gekommen war. Alle fünf hatten den Streit mitbekommen und versucht, zu schlichten. Ein Unbeteiligter sah, wie der 23-Jährige dem auf dem Boden liegenden 21-Jährigen einen Fußtritt versetzte: "Mitten ins Gesicht."

Nach einem Rechtsgespräch wird das Verfahren gegen das Opfer und den 20-Jährigen gegen Geldauflagen und soziale Dienste eingestellt - die beiden hatten den Streit begonnen. Der 21-Jährige, der sich nicht beteiligt hatte, wird freigesprochen. Übrig bleibt der Älteste. Er schluckt sichtlich schwer, als er das Urteil hört: Zwölf Monate auf Bewährung und eine Geldauflage von 2400 Euro an das Franziskuswerk Schönbrunn wegen gefährlicher Körperverletzung. Richter Dorner nennt den Tritt "komplett überflüssig" und zudem "höchst gefährlich". Das Opfer habe schwere Verletzungen erlitten. Ein Tötungsvorsatz allerdings könne man dem Angeklagten nicht nachweisen, doch gab er dem Verteidiger des Opfers Recht, dass es ähnliche Verfahren gebe, in denen dies geprüft werde. Die Staatsanwältin hatte eine Bewährungsstrafe von 18 Monaten und 3000 Euro Geldauflage gefordert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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