Amtsgericht Dachau:Grundlos ausgerastet

Eklat nach dem Dachauer Volksfest: Zuerst zerstachen sie den Reifen seines Autos, dann griffen zwei Bürder den Zeitungsausträger an und quälten ihn. Das Amtsgericht verhängte jetzt Bewährungsstrafen.

Gregor Schiegl und Matthias Pöls

Die Situation sei "typisch dafür, wie Morde anfangen", sagt die Staatsanwältin. Hätte sich das Opfer, ein 49-jähriger Zeitungsausträger, nicht "so besonnen" verhalten, er hätte es womöglich mit dem Leben bezahlt. Dann säßen die zwei Brüder, 27 und 25 Jahre alt, auch nicht wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung auf der Anklagebank des Amtsgerichts, sondern wären vor der Strafkammer des Landgerichts München II gelandet - und im Falle einer Verurteilung sicher im Knast. Der Vorfall liegt fast genau ein Jahr zurück. Die beiden Studenten besuchen das Dachauer Volksfest und anschließend eine Kneipe. Es soll ein lustiger Abend werden. Bier und Whiskey Cola fließt in Strömen. 1,7 Promille hatte der eine, 1,8 Promille der andere im Blut, als sie sich frühmorgens auf den Weg zur S-Bahn machen. Der Jüngere der beiden hat ein Taschenmesser in der Jacke. "Das habe ich, um im Wald Pilze glatt abzuschneiden, auch wenn das komisch klingt." Aber dann zieht er es und sticht unvermittelt in den Vorderreifen eines geparkten Wagens. Der Reifen ist futsch. 155 Euro Schaden. Das Auto gehört einem Zeitungsausträger. Es ist fünf Uhr morgens, seine Schicht beginnt. Er ruft den beiden hinterher, was das soll. "Das hätte ich vielleicht lassen sollen", sagt er im Gerichtssaal mit leiser Stimme. Als sei er selbst schuld daran, dass die beiden auf einmal auf ihn zustürmen und ihn packen. Sie zerren ihn auf die andere Straßenseite, knallen ihn gegen den Zaun. Der Ältere der beiden reißt ihn zu Boden und hält ihn mit beiden Knien unten. Er würgt ihn mit beiden Händen, während sein Bruder mit der Klinge vor seinem Gesicht herumfuchtelt und immer wieder droht ihn "abzustechen". Nach der Schilderung des Opfers dauert sein Martyrium an die zwanzig Minuten. Immer wieder fragt der Jüngere, ob er nun wisse, was Todesangst sei. Ja, das weiß er, und wird es so schnell nicht vergessen. Wenn er am Tatort an der Martin-Huber-Straße vorbeifährt, ist die Erinnerung wieder da. Nachts wacht er davon auf "Ich muss öfter an diese Geschichte denken, als mir lieb ist." Er leidet unter Nervosität und Schlafstörungen. Die Brüder waren angetrunken, doch weder lallten noch schwankten sie. Beide waren trotz des Pegels bei Bewusstsein - aber wie von Sinnen. Eine Erklärung haben sie nicht und das ist das Verstörende. "Das Opfer ist ein Typ, der keinen Anlass für so eine Tat bietet", sagt der Anwalt des 25-Jährigen. Als die beiden den Zeitungsausträger um Verzeihung bitten, gewährt er sie, ohne Umschweife. Die beiden Brüder haben ihm 2000 Euro Schmerzensgeld bezahlt, die materiellen Schäden beglichen. Reue treibt sie, aber auch die Angst, sich ihre ganze Zukunft "mit einem Abend versaut" zu haben. Sechs Monate bis zehn Jahre Haft drohen: 14 und 14-einhalb Monate auf Bewährung plus 280 Stunden sozialer Arbeit werden es schließlich. Dies sei "ein Beispiel", sagt Richter Lukas Neubeck, "was Alkohol aus unbescholtenen Bürgern machen kann". (Kommentar)

Prozess zu Telekom-Spitzelaffäre

Zwei Brüder griffen nach dem Dachauer Volksfest einen Zeitungsausträger an und quälten ihn. Nun wurden sie zu Bewährungsstrafen verurteilt.

(Foto: dpa)
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