Altomünster:Ein ganz neues Hörerlebnis

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Pianist Markus Kreul aus Altomünster und Cellist Guido Schiefen haben Alfredo Piattis Bearbeitung der Ungarischen Tänze von Brahms als CD eingespielt

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Was braucht der Mensch in Corona-Zeiten? Musik, die ihn aufmuntert, ihn ablenkt und die Gefühlsleiter rauf und runter tanzt. Da empfiehlt sich unbedingt der Griff zur gerade erschienen Neueinspielung der "Ungarischen Tänze" von Johannes Brahms. Bevor sich nun die Augenbrauen leicht indigniert heben: Das ist nicht die gefühlt tausendste Aufnahme dieser Klassik-Hits. Pianist Markus Kreul und Cellist Guido Schiefen haben eine veritable Erstaufnahme vorgelegt, nämlich die Bearbeitung von Alfredo Piatti für Cello und Klavier, der ursprünglich für Klavier zu vier Händen geschriebenen Kompositionen. Dazu sollte man wissen, dass Alfredo Piatti (1822 -1901) einer der angesagtesten Cello-Virtuosen seiner Zeit war und nicht nur mit seinem Instrument, sondern auch als Komponist hervorgetreten ist. So war er neben dem Geiger Joseph Joachim einer der bevorzugten Kammermusikpartner von Clara Schumann und ist alleine mit ihr mehr als zweihundert Mal aufgetreten. Hier schließt sich gewissermaßen der Kreis. War doch Johannes Brahms mit Clara und Robert Schumann eng verbunden. Womöglich hat dieses Beziehungsgeflecht die Schumann-Botschafter Kreul und Schiefen motiviert, ganz tief in diese Piatti-Bearbeitung der Ungarischen Tänze einzutauchen. Sie brodelt förmlich vor ungebremster Lebensfreude - bisweilen umweht von einem Hauch von Nachdenklichkeit und leiser Melancholie.

Bekanntlich hat Johannes Brahms in dieser Sammlung ungarische Volksweisen und ihnen nachempfundene Eigenkompositionen verwendet. Kleine Anmerkung am Rande: Die Liebe des Hanseaten Brahms zur ungarischen Musik hat wohl ihren Ursprung in dessen Jugend. 1849 warteten hunderte Ungarn in Hamburg auf eine Schiffspassage ins amerikanische Exil. Sie waren vor den österreichischen Truppen geflohen, die die erste ungarische Republik blutig niedergeschlagen hatten. Die Lieder der Geflüchteten hinterließen beim gerade mal 16-jährigen Brahms einen tiefen Eindruck, der durch die Zusammenarbeit mit dem aus Ungarn stammenden Geiger Joseph Joachim und anderen Musikern schließlich in Brahms Ungarische Tänze mündete. Bleibt noch zu schreiben, dass die Ungarischen Tänze heutzutage allzu oft ins Operettenhafte, Kitschige abgleiten. Glücklicherweise besteht beim Duo Schiefen-Kreul in dieser Hinsicht keine Gefahr. Die beiden spielen feinste Kammermusik in all ihren Facetten - von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt.

"Wir haben während der dreitägigen Produktionszeit mit einem Höchstmaß an virtuosem Risiko und Unmittelbarkeit gespielt", sagt Kreul am Telefon und Schiefen ergänzt: "Wir wollten, dass das Feuer und die Leidenschaft der ungarischen Tänze rüberkommen. Das durfte nicht im Perfektionismus einer CD-Produktion ersticken." Das ist den beiden Musikern gelungen, zumal hier Cello und Flügel als gleichberechtigte Partner auftreten. Das führt zu einem ganz neuen Hörerlebnis. Hat doch das Cello mit seiner dunklen Klangfärbung den erzählenden Charakter einer menschlichen Stimme und scheint dank Schiefens ausdrucksstarkem Spiel über weite Strecken selbst zu tanzen - und führt im sublimen Zusammenspiel mit Kreul am Flügel den Zuhörer mit unglaublicher Zartheit in eine wundersame Traumwelt. Das lässt sich im Ungarischen Tanz Nummer elf, ganz poco andante, eindrucksvoll erleben, wobei Kreuls überraschender Schlusspunkt vor sich hin Träumende kurz wach werden lässt. Wie überhaupt die weniger bekannten Tänze echte Lebensgeschichten erzählen. Immer wieder könnte man Tanz Nummer 15 hören. Man sieht förmlich zwei leise und vertraut miteinander flüsternde Menschen vor sich. Plötzlich weht Tanzmusik in die Idylle, lädt zum Mitmachen ein. Ob die beiden der Aufforderung zum Tanz nachkommen? Unwiderstehlich sind dagegen die beliebten Dauerbrenner unter den Ungarischen Tänzen. Kreul und Schiefen haben aus Nummer 4 und 5 echte Gustostückerl gemacht. Sie verschmelzen förmlich mit ihren Instrumenten und lösen ein wahres Gefühlschaos von mitreißender Fröhlichkeit und tiefem Schwermut aus. Wer hier nicht mittanzt, ist selbst schuld.

Brahms/Piatti. Hungarian Dances Guido Schiefen (Violoncello), Markus Kreul (Piano). Bestellnummer MDG 903 2202-6.

© SZ vom 28.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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