Süddeutsche Zeitung

Altomünster:Die aufrechte Diplomatin

In den vergangenen eineinhalb Jahren war die Franziskanerin Gabriele Konrad für die Auflösung des Klosters Altomünster zuständig.

Von Wolfgang Eitler, Altomünster

Wie hält man dieses Schweigen aus? Dieses vom Vatikan auferlegte Gebot, ein Kloster aufzulösen, ohne sich öffentlich äußern zu dürfen? Wie lässt es sich ertragen, von zahlreichen Medien hören zu müssen, eine Nonne zu sein, die einen ganzen Orden ruiniere? Zudem warnen Historiker davor, dass der Wissenschaft zentrales religiöses Schrift- und Kulturgut vorenthalten werde. In Brandbriefen an Bundestagsabgeordnete und Europapolitiker reiht sich eine persönliche Attacke an die andere. Und dennoch entgegnet sie nichts. Über eineinhalb Jahre.

Dann kommt der große Tag Anfang Februar, an dem der Vatikan Schwester Gabriele Konrad, Generalvikarin der Franziskanerinnen in Schönbrunn im Landkreis Dachau, zu reden erlaubt. Ihr Inventurbericht liegt vor. Die Apostolische Beauftragte lässt die Stunde der Abrechnung verstreichen. Sie sagt nur, dass "die Auflösung des Klosters in Altomünster ein sehr schmerzlicher, aber notwendiger Schritt" gewesen sei.

Allerdings muss sie an dem Tag, an dem der Vatikan den öffentlichen Zutritt zum gesamten Kloster erlaubte, nicht mehr viel sagen. Der Rundgang durch das aufgelöste Kloster führt das Ausmaß der Schäden und der Vernachlässigung eindringlich vor Augen: feuchte Wände, ganze Gebäudekomplexe, die verschimmeln, und veraltete Stromleitungen, die offen verlegt sind. Die Gebäude verwahrlosen seit Jahrzehnten komplett. Die Kunstwerke sind in einem katastrophalen Zustand. Die Dachauer Kreisheimatpflegerin Birgitta Unger-Richter schlug schon vor Jahren Alarm. Denn sie entdeckte eine achtlos verwahrte, wertvolle Riemenschneiderkopie.

Überall fehlt der Nachwuchs

Drei Wochen nach dem Rundgang wiederholt Schwester Gabriele Konrad den Satz von der schmerzlichen Erfahrung in einem Gespräch fast wortgleich. Sie bezieht ihn nicht nur auf Altomünster und den kontemplativen Orden der Birgitten, sondern auch auf die Ursulinen in Landshut, die dort über Jahrhunderte eine Schule unterhielten und jetzt nach München ins Altersheim zogen. Er betrifft die Salesianerinnen von Eurasburg bei Bad Tölz. Sie haben ihren Stammsitz aufgegeben, um einem Pilotprojekt zu weichen, wie ein Kloster auch im geistlichen Sinn neu entstehen kann. Schwester Konrad war bis Ende Januar die Sprecherin der geistlichen Schwestern im Bistum München-Freising. Deshalb fiel ihr der Posten einer Apostolischen Beauftragten für das Nachbarkloster in Altomünster zu. Außerdem hat sie als Generalvikarin von Schönbrunn mitgeholfen, die Zukunft der Behinderteneinrichtung mit 1600 Angestellten im Landkreis Dachau so zu gestalten, dass sie von der Existenz des Ordens der Franziskanerinnen unabhängig wird. Denn überall fehlt der Nachwuchs, um Gemeinschaften, Konvent genannt, zu erhalten. Gabriele Konrad sagt: "Das ist ein schmerzlicher Prozess." Weltlich gesprochen: Die Existenzgrundlage bricht weg.

Seit dem 16. Jahrhundert hat der Orden der Birgitten den Ort im Norden des Landkreises Dachau geprägt. Er sucht in strenger Klausur die Nähe zu Gott und ist der Heiligen Birgitta aus Schweden verbunden, einer Mystikerin des Mittelalters mit großem politischen Einfluss auf den Vatikan. Die Gemeinschaft ist direkt Rom unterstellt. Eben diese Abgeschiedenheit und unbedingte Religiosität haben über Jahrhunderte auf die Umgebung abgestrahlt. Die Bevölkerung identifiziert sich mit den Nonnen in dem barocken Kloster mitten im Ort. Eine kleine Gruppe mit dem Namen "fratres et sorores ab extra" (Brüder und Schwestern von außerhalb) war beseelt von der Exklusivität, die den Zugang zu dem Inneren des Klosters gewährte.

Kuriose Rettungsversuche

Sie wissen seit Jahren um die Not des Klosters. Dort lebt Schwester Apollonia als einzige Nonne. Das Kirchenrecht schreibt vor, dass ein funktionierender Orden in einem Kloster einen Konvent von mindestens drei Mitgliedern voraussetzt. Sämtliche Angebote Roms, diese Gemeinschaft wiederherzustellen, scheiterten in den vergangenen 30 Jahren. Die Rettungsversuche gestalteten sich teils kurios, teils hilflos. Der selbst ernannte Klosterdirektor Jörg-Johannes Fehlner gab sich als Erlöser aus. Von ihm geblieben ist ein Badezimmer mit platinfarbenen Verfugungen und einer Nische für eine opulente Badewanne. Altomünster entging ganz knapp einer Tebartz-van-Elst-Komödie. Nicht so lustig ist, dass er für sinnlose und nicht genehmigte Umbauarbeiten das siebenstellige Vermögen des Birgittenordens komplett verbraucht hat. Insofern ist es erstaunlich, dass er und Schwester Apollonia sich als Opfer des Vatikans und deren Beauftragten darstellen und auf ihrer medialen Mitleidstour sogar Europapolitiker als Unterstützer für sich einnahmen.

Die persönlichen Angriffe auf Schwester Gabriele Konrad eskalierten im Dezember 2015 zu schneidender Schärfe. Auf einem Protestgottesdienst in der Kapelle des Klosters las ein Pfarrer, der mit der einzig verbliebenen Nonne, Schwester Apollonia, befreundet ist, die Geschichte des Apostels Judas, der Jesus verriet. Härter kann man eine Christin nicht treffen. Noch mehr als ein Jahr später verschränkt sie die Arme und senkt den Kopf. Sie möchte nicht sehen lassen, was in ihr vorgeht.

Nun könnte sie aus der Distanz von drei Wochen einfach mal sagen, dass sie schlicht wütend ist. Sie dagegen will den Zwiespalt vergegenwärtigen, in dem sie sich als Apostolische Beauftragte sah. Deshalb sagt sie in der für sie typischen Form als aufrechte Diplomatin: "Die Auseinandersetzung war für mich dahin gehend heftig - und es war für mich eine neue Erfahrung, in der Weise angegriffen zu werden, auch weil so eine emotionale Darstellung außer Acht gelassen hat, dass sachliche Argumente und Hintergründe außer Acht gelassen werden." Die Auflösung des Klosters geht ihr nahe, aber sie sieht keinen anderen Ausweg als einen noch unbestimmten und erst noch vom Bistum München zu skizzierenden Neuanfang. Der Vatikan übertrug ihm das Gebäude und das Rätsel, was daraus werden soll.

"Wir werden von der Gesellschaft gebraucht"

"Über 500 Jahre haben Schwestern ihre ganze Lebens- und Glaubenskraft gegeben", sagt Schwester Gabriele. Sie spricht von ihrer "Wehmut" darüber, "wie so etwas kaputt gehen kann, innerlich und äußerlich." Deshalb schweigt sie zu den Vorhaltungen, eine Verräterin zu sein. "Ich habe mich immer dahin gehend in der Verantwortung gesehen, dass ich die Diskretion einhalte." Nun müsste, könnte sich ein Gespräch entwickeln, das erörtert, warum Ordensgemeinschaften an Attraktivität verlieren. Schwester Gabriele Konrad zieht eine persönliche Antwort vor, in er sie erklärt, warum sie Franziskanerin geworden ist. Sie ist 51 Jahre alt und stammt aus dem schwäbischen Krumbach. In der Nähe befindet sich die Behinderteneinrichtung Ursberg, vergleichbar mit der in Schönbrunn. Die junge Frau kam als ausgebildete Erzieherin in den Landkreis, um bei den Franziskanerinnen ein letztes Praktikum für die Ausbildung zu absolvieren. Sie ist seit 1984 hier. In Schönbrunn sei ihr klar geworden, wie sie schon in ihrer Jugendzeit von der franziskanischen Spiritualität angezogen war, die Glaube mit Weltoffenheit verbindet: "Ich war von ihr fasziniert, ohne von ihr zu wissen." Die Entscheidung für den Orden war keine gegen eine Familie: "Auch das wäre möglich gewesen." Deshalb erklärt Schwester Gabriele Konrad den Begriff "Verzicht" so: "Er bedeutet für mich nicht Verlust." Sie ist zuversichtlich, dass Altomünster eine "neue Zukunft" hat. Sie glaubt auch fest daran, dass die christlichen Orden eine Renaissance erleben werden. "Denn wir werden von der Gesellschaft gebraucht."

Schwester Apollonia ist für drei Monate in die Oberpfalz gezogen. Dann muss sie sich entscheiden, wie es mit ihr weiter geht. Die Rückkehr ins Kloster Altomünster erscheint unmöglich, weil die Diözese München-Freising das Kloster wegen miserablen Brandschutzes und gesundheitsgefährdender Schimmelbildung als nicht mehr bewohnbar erachtet. Im Herbst beginnen Experten, das Klostergebäude detailliert zu untersuchen. Außerdem muss eine neue Nutzungsidee gefunden werden, sonst gewährt der Freistaat für das Millionenprojekt keine Zuschüsse. Schwester Gabriele Konrad beteiligt sich daran nicht mehr: "Es warten auf mich viel zu viele Aufgaben in Schönbrunn."

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Quelle:
SZ vom 10.03.2017/gsl
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