Süddeutsche Zeitung

Altomünster:Aufrüttelnde Schicksale

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Die "Galerie der Aufrechten" zeigt künstlerische Porträts von Menschen aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Zu sehen ist das Projekt des Studentenwerks Weiße Rose derzeit in Altomünster.

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gibt es zwei Orte des Trostes, die die unfassbaren Schrecken der Shoa ein wenig erträglicher machen: die Allee der Gerechten unter den Völkern und der Garten der Gerechten unter den Völkern. Kleine Tafeln erinnern hier an Retterinnen und Retter von Juden während der Schreckensherrschaft der Nazis. Wer die aktuelle Ausstellung im Klostermuseum Altomünster besucht, wird unwillkürlich an Yad Vashem erinnert, weil ihr Thema ebenfalls aufs Engste mit dem Nazi-Terror verbunden ist.

Die "Galerie der Aufrechten" zeigt noch bis Sonntag, 5. Dezember, 25 Porträts bekannter und weniger bekannter Frauen und Männer, die auf ganz unterschiedliche Weise und aus vielfältigen Gründen gegen den NS-Terror gekämpft haben und/oder dessen Oper geworden sind. Dazu gehören beispielsweise Hannah Arendt, Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp, Georg Elser, Maxilimilian Kolbe, Julius Leber, Edith Stein und die Mitglieder der Weißen Rose, um nur einige zu nennen. Ermöglicht hat diese unbedingt sehenswerte Schau das im schwäbischen Weingarten beheimatete Studentenwerk Weiße Rose.

Dass sie überhaupt im ansonsten eher auf Künstler der Region und die Geschichte der Birgittinnen fokussierten Museum zu sehen ist, ist Gerhard Gerstenhöfer, früherer Vorsitzender der Volkshochschule Altomünster, zu verdanken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem in der Marktgemeinde geborenen Philosophen und geistigen Widerstandskämpfer Alois Dempf. Gemeinsam mit dem Museumsvereinsvorsitzenden Wilhelm Liebhart hat Gerstenhöfer auch den in jeder Hinsicht starken Katalog herausgegeben. In ihm sind unter anderem zwei weitere Gegner und Opfer des Nationalsozialismus ausdrücklich gewürdigt, die eng mit der Marktgemeinde verbunden waren und deren Porträts nicht in der Ausstellung zu sehen sind: Pfarrer Paul Lachawietz und Pfarrer Johann Neumair. Dessen "Kurze Notizen über meinen Leidensweg" gehen unter die Haut und lassen den Leser lange nicht los - so wie die gesamte kluge Ausstellung. Sie zeigt - geordnet in christlicher Widerstand, geistiger Widerstand, Opfergruppe Homosexuelle, Opfergruppe Zwangsarbeiter, Arbeiterwiderstand, Militärischer Widerstand, politischer Widerstand und Weiße Rose - in ganz unterschiedlichen Techniken und Größen - aufrüttelnde Schicksale, wobei neben den bekannten Namen, ein Schwerpunkt auf den süddeutschen Opfern des NS-Regimes liegt.

Viel zu lange fast vergessen waren die homosexuellen Opfer

Es ist bisweilen verblüffend zu sehen, wie die beteiligten Künstlerinnen und Künstler sich ihrem Sujet genähert, sich mit ihm auseinandergesetzt haben. Hatten sie doch für ihre individuellen Porträts vor allem Fotomaterial zur Verfügung, das ebenso wie die einfühlsamen Begleittexte auch im Katalog zu finden ist.

Da ist etwa der österreichische Bauer Franz Jägerstätter, dessen Schicksal auch unter dem Titel "Ein verborgenes Leben" verfilmt wurde. Fast eins zu eins hat Peter Huemer das Gesicht des tiefgläubigen Bauern nachempfunden und ihm, hinter einer dunklen Schattenwand verborgen, ein zweites zur Seite gestellt - vielleicht sein Gewissen? Jägerstätter verweigerte nach Ende einer zweiten Einberufung den Wehrdienst - gegen den heftigen Widerstand seiner Familie. 1943 wurde er wegen "Wehrkraftzersetzung" hingerichtet.

Viel zu lange fast vergessen waren die homosexuellen Opfer der Nazi-Schergen. Dazu gehört auch Franz Klauser, Krankenhausdiener am Überlinger Krankenhaus. Nach seiner Verhaftung und Verbüßung seiner Gefängnisstrafe aufgrund des berüchtigten Paragrafen 175 wurde er in drei KZs verschleppt, unter anderem auch nach Dachau. In den Konzentrationslagern wurden bekanntlich homosexuelle Männer zum Tragen des sogenannten "Rosa Winkels" gezwungen und standen ganz unten in der Lagerhierarchie. Mit nur 37 Jahren starb er im KZ-Außenlager Ladelund. Es ist nur schwer vorstellbar, was der gepflegte Mann alles an Erniedrigung und Qual erdulden musste.

Wie gnadenlos das verharmlosend "Aktion T4" genannte systematische Mordprogramm der Nazis Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in seine Fänge bekam, zeigt das Schicksal von Karl Rueff, im Porträt in Uniform vor einem glutroten Hintergrund zu sehen, der die Orte des Schreckens nur erahnen lässt. Der im Ersten Weltkrieg schwer verwundete Mann litt lebenslang unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTB). Er wurde depressiv, suizidgefährdet und gewalttätig. 1924 mussten ihn seine Eltern in ein Heim geben. Am 17. Juni 1940 konstatierte der behandelnde Arzt "Endzustand" - das Todesurteil für Rueff. Am 18. September 1940 wurde er mit weiteren Patienten in Grafeneck mit Gas ermordet. Jedes Gesicht, das einem in dieser Ausstellung entgegenblickt, jedes einzelne Schicksal ist Mahnung und Aufforderung zugleich: Mahnung, die Opfer der NS-Zeit nicht zu vergessen und die Aufforderung, heute jeder Art von Radikalismus und Antisemitismus entschieden entgegenzutreten.

Donner stags bis Samstags hat das Museum von 13 bis 16 Uhr geöffnet, Sonntags von 13 bis 17 Uhr geöffnet. Jeden Sonntag um 15 Uhr werden Führungen durch die Ausstellung angeboten.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2021
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