Süddeutsche Zeitung

Altbairische Kultur:Vergnüglich und melancholisch

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Der Paradeislabend der Thoma- Gemeinde geht zu Herzen

Von Andreas Förster, Dachau

Getrud Weber erinnert sich mit Stolz an einen Ausspruch von Dachaus Alt-Oberbürgermeister Lorenz Reitmeier: "Die schönste Weihnachtsfeier macht's doch immer ihr", habe er stets betont, wenn der traditionelle Paradeislabend über die Bühne gegangen war. Die Ludwig-Thoma-Gemeinde feierte in der Tat wieder einen besonderen Jahresausklang im Kerzenschein der mit Tannenzweigen geschmückten Paradeislgestecke. Paradeisl ist der altbairische Adventskranz, bestehend aus einer hölzernen Pyramide mit vier rotbackigen Äpfeln, drei als Basis und ein vierter oben drauf, in der Mitte steckt jeweils eine rote Stabkerze.

Sich auf anspruchsvolle altbairische Kultur zu besinnen, ist das erklärte Ziel der Thoma-Bühnengruppe um ihren Vorsitzenden Edi Hörl. Natürlich, der Name verpflichtet, bezieht man sich dabei überwiegend auf den literarischen Nachlass des Autors Thoma, aber auch auf den seiner Zeitgenossen, die mit ihm in Verbindung standen: Wie sein Jagdfreund Ludwig Ganghofer. Dessen Büchlein "Die vier Heiligen Dreikönige" wurde unter der musikalischen Mitwirkung der Röpfl Geigenmusi zu einer intensiven Moritat über Leben und Sterben in einer Zeit, als die Natur noch in Ordnung, viele Menschen jedoch bitter arm waren.

Dass der heutzutage etwas in Vergessenheit geratene Schriftsteller Wugg Retzer (1905-1984), ehemals Turmschreiber zu München, mit zwei Kurzgeschichten ("Die Luzier und Die Weihnachtsgans") vertreten war, lag an dessen jahrelangen Verbundenheit mit Dachau und der Ludwig-Thoma-Gemeinde. Sowohl Retzer als auch Ganghofer trafen mit ihren Geschichten den richtigen Ton: prosaisch in den detailgetreuen Betrachtungen der Zeitläufte, mit einer erzählerischen Dichte fesselnd. Der eine mehr vergnüglich, der andere eher melancholisch. In authentischer Mundart vorgetragen von den bühnenerfahrenen Schauspielern Anderl Wagner, Rotraut Wolf, Claus Weber und Edi Hörl.

So glänzend das Sprecherensemble aufgelegt war - es wurde an Präzision noch übertroffen von der Röpfl Geigenmusi aus Bayrischzell. Martina und Martin Röpfl und Tochter Elisabeth war die Familienbande nicht nur anzusehen, sondern auch anzuhören. Perfekter kann man kaum aufeinander abgestimmt sein, sowohl instrumentell (Harfe, Geige, Kontragitarre) als auch stimmlich. Das war original Volksmusik aus dem Oberland, inhaltlich passend zu den vorgetragenen Stücken und deren Tonalität, natürlich verwurzelt im altkatholischen Advent. Angefangen vom "Menuett der Freundschaft" und dem Walzer "Winterschnee" über das Harfensolo in "Dem Himmel sei Dank" von Günther Gruber bis zum berührenden A-cappella-Gesang in "Nachtn spat so umra neine hods koana einilassn" und "Steht auf, ihr Hirten".

Manch einer mag die "Heilige Nacht" von Ludwig Thoma vermisst haben. Doch genauso groß wie die Versuchung, dieses Traditionsstück bei einer Weihnachtsfeier aufzuführen, ist auch die verständliche Lust auf etwas Neues. Die hat hier überwogen, und das war auch gut so.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2018
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