Als 16-Jähriger im Widerstand:Trauer um einen Kämpfer

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Pjotr Stepanowitsch Kudin war häufig in Dachau. Jetzt ist er im Alter von 94 Jahren gestorben. (Foto: Dachauer Forum, oh)

Pjotr Stepanowitsch Kudin ist verstorben, ein ukrainischer KZ-Überlebender und Unterstützer des Gedächtnisbuch-Projekts

Die Mitarbeiter des Gedächtnisbuch-Projekts trauern um einen guten Freund und Unterstützer. Der ukrainische Widerstandskämpfer und KZ-Überlebende Pjotr Stepanowitsch Kudin ist am Sonntag im Kreise seiner Angehörigen im Alter von 94 Jahren verstorben. Kudin war mehrmals anlässlich der Befreiungsfeiern und für Erinnerungsveranstaltungen des Gedächtnisbuchs in Dachau.

Als die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, da war Pjotr Kudin 16 Jahre alt. Am selben Tag wollte der Schüler in die Armee eintreten, um sein Land zu verteidigen, wurde jedoch abgewiesen: zu jung. Er sei ein ausgezeichneter Schüler, aber ein "schrecklicher Rabauke" gewesen. Zu seinen frühesten Erinnerungen zählen die Zwangsenteignungen der Bauern und die große Hungersnot, der in der Ukraine Millionen zum Opfer fielen. Er hatte Nachbarn und Spielkameraden vor Hunger anschwellen sehen.

Als der "glühende Komsomolze" (Mitglied des kommunistischen Jugendverbands Komsomol) erleben musste, wie die Deutschen seine Heimatstadt Orechow überfielen, die Schulen schlossen und die Jugend zur Zwangsarbeit verpflichteten, wurde aus dem Rabauken ein Kämpfer. Er war Augenzeuge, als die Juden zu Massenerschießungen zusammengetrieben wurden: "Die Leute gingen zu ihrer Erschießung mit der Überzeugung, dass sie nach Palästina übersiedeln." Zu einem Freund sagte er: "Die Juden haben sie schon umgebracht, jetzt beginnen sie mit uns." Seit Wochen hatte er sich für seinen Verband, den Komsomol, bereitgehalten. Vergeblich. Schließlich wollte er nicht mehr untätig zusehen: "Ich organisierte eine Untergrundgruppe aus jungen Leuten. Mittel für den Kampf hatten wir keine, Erfahrung auch nicht, Ideen hatten wir, sonst nichts. Trotzdem gaben wir Flugblätter heraus. Wir machten Gegenpropaganda, für die Jugend, sie sollten nicht freiwillig nach Deutschland fahren." Bis April 1943 konnten sie sich halten, dann flog die Gruppe auf und Kudin kam zunächst in das Gefängnis der Bezirkshauptstadt Zaporoschije.

1944 wurde er ins Konzentrationslager Dachau gebracht, ihm wurde damals die Nummer 55 996 zugewiesen. Pjotr Kudin verbrachte eineinhalb Jahre im KZ Dachau. Er musste mit ansehen, wie Menschen vor Hunger starben, für Sabotage aufgehängt wurden und schwere Zwangsarbeit leisteten. Im Frühjahr 1944 überlebte er dort nur durch Zufall einen Bombenangriff. Im April 1945 musste Kudin mit Tausenden anderen Häftlingen den so genannten "Todesmarsch" in Richtung Alpen mitmachen.

Nach der Befreiung und Repatriierung durfte er nicht in seinem Heimatstadt zurückkehren. Wie viele andere Heimkehrer stand er für die Sowjetbehörden unter dem Verdacht, mit den Deutschen kollaboriert zu haben. Ohne Papiere wurde er als "Sonderumsiedler" in eine Baubrigade nach Orsk im südlichen Ural geschickt. Er hatte Glück, durfte studieren, wurde Bauingenieur und gründete eine Familie. Erst 1956 kehrte er mit seiner Frau und seinen drei Kindern nach Zaporoschije zurück. Als Repatriant mit einer deutschstämmigen Ehefrau wurde ihm die Aufnahme in die Parteiverwehrt. Trotzdem war er im Beruf sehr erfolgreich und wurde leitender Ingenieur des Zaporoschijer Wohnungsbaubetriebes.

Seit 1999 besuchte er Dachau mehrere Male zu den Befreiungsfeiern und teilte seine Erinnerungen mit der jungen Generation. Sein Optimismus und seine Kraft schienen unerschöpflich, ebenso wie sein Erinnerungsvermögen. Das Interview, das er 2006 der Studentin Viktoria Naumenko für das Gedächtnisbuch gab, dauerte zehn Stunden. Detailreich erzählte er von seinen Erlebnissen während der Hungersnot, der Besatzungszeit, dem Widerstand und der Gefangenschaft. Das Projekt Gedächtnisbuch und die Biografien-Ausstellung "Namen statt Nummern" sei ein Zeichen der Ehrerbietung an die Überlebenden und die Verewigung der Erinnerung an die im Konzentrationslager Dachau Verstorbenen, hatte Kudin im Dezember 2007 geschrieben.

© SZ vom 20.09.2018 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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