Agrarwende:Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

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Bei einer Großdemonstration zur Grünen Woche in Berlin fordern Landwirte eine Agrarwende. Das unterschreiben auch die Bio-Bauern im Landkreis, geben aber zu bedenken, dass dem ökologischen Landbau Grenzen gesetzt sind. Sie hoffen auf die Politik und den Verbraucher

Von Nicole Lamers, Dachau

Auch bei den Bio-Bauern im Landkreis Dachau findet die Forderung nach einem rigorosen Umdenken in der Landwirtschaft breite Zustimmung. 20 000 Landwirte und Aktivisten aus ganz Deutschland gingen zur 85. Internationalen Grünen Woche in Berlin, die noch bis 26. Januar läuft, auf die Straße. Das Ziel der Großdemonstration: eine "ökologische Agrarwende". Das Motto "Wir haben es satt" unterschreiben die Bio-Landwirte im Dachauer Land. Allerdings formulieren sie auch Einwände: Das Wachstum der Ökobranche ist, wie sie sagen, aus verschiedenen Gründen begrenzt.

Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft, glaubt, dass durch ökologische Landwirtschaft die Probleme des Klimawandels, des weltweiten Hungers und der knapper werdender Ressourcen gelöst werden könnten. Ob dies nun realistisch ist oder nicht: Dafür müsste sich der Bio-Sektor auf jeden Fall definitiv vergrößern. Aber Bio ist in der deutschen Agrarlandschaft immer noch die Ausnahme. Nach Angaben von Foodwatch wirtschaften nur rund zehn Prozent der Betriebe ökologisch, und das auf nur gut sieben Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Bio-Lebensmittel machen nur etwa fünf Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes aus. Liegt die Lösung im Wachstum der Biohöfe und im Einsatz von Hightech? Und ist dies überhaupt mit ökologischem Landbau vereinbar?

Landwirt Peter Großmann-Neuhäusler aus Vierkirchen-Pasenbach glaubt, dass Wachstum in der Biobranche nötig aber schlichtweg begrenzt sei. Sein Betrieb "Großmann's Feldfrüchte" ist mit einer bewirtschafteten Fläche von rund 500 Hektar nicht nur einer der größten Bio-Betriebe Bayerns, sondern nutzt auch moderne Technik wie GPS-gesteuerte Traktoren zur Aussaat, Unkrautentfernung und Ernte. Doch der Landwirt sieht als hauptsächliche Grenze des ökologischen Landbaus einen Umstand: den Faktor Personal. "Es wird immer schwieriger, Saisonarbeitskräfte zu bekommen", sagt er. Das mache etwa Erdbeer- und Spargelbauern zunehmend zu schaffen. Und dabei geht es bei denen vor allem um Erntehelfer. In einem Bio-Betrieb wie dem der Familie Großmann-Neuhäusler verbietet sich der Einsatz von synthetischen Pflanzenschutzmitteln und das mechanische Unkrautjäten ist trotz moderner Technik unzureichend. Deswegen braucht es noch deutlich mehr Handarbeit als in einem konventionellen Betrieb, und die ist teuer. Peter Großmann-Neuhäusler muss mit 200 bis 400 Handarbeitsstunden pro Hektar kalkulieren, was mit 2000 bis 3000 Euro pro Hektar zu Buche schlägt. Unter Einsatz der chemischen Keule geben konventionelle Betriebe dafür etwa nur 100 Euro pro Hektar aus.

Ostfriesische Milchschafe im Gut Obergrashof. Artgerechte Tierhaltung ist ein Ziel der ökologischen Agrarwende. (Foto: Toni Heigl)

"Ökologisch produzierte Lebensmittel müssen und werden teuer bleiben", stellt Großmann-Neuhäusler fest. Das sei die Folge einer umweltschonenden Wirtschaftsweise.

Auch Tom Girgnhuber, einer der Geschäftsführer des Obergrashofs, ist der Meinung, dass Bio nun mal seinen Preis hat. Gerade die Konkurrenz zu Großerzeugern sei für kleinere oder auch größere wie der Obergrashof auf Vielfalt im Anbau ausgerichtete Betriebe kritisch. Girgnhuber sieht dabei eine Diskrepanz zwischen Traum und Realität: "Jeder wünscht sich idyllische kleine Vorzeigebetriebe, Handel und Kunden wollen aber trotzdem möglichst günstige Preise."

Anders zu wirtschaften kann sich der Landwirt nicht vorstellen. Bei Großbetrieben mit nur noch einer Kultur wäre es allein aufgrund der fehlenden Fruchtfolge trotz Verzichts auf Chemie kaum noch vorstellbar wirklich nachhaltig zu wirtschaften. "Man muss sich auch fragen, welches Bio wir wollen," gibt er zu bedenken. Soll heißen: den EU-zertifizierten Mindeststandard oder die weitaus strengeren und weitreichenderen Vorgaben von Bioverbänden wie Demeter oder Naturland. Liege der Fokus zu sehr auf günstig produzierten Bio-Produkten bleibe echte Nachhaltigkeit, beispielsweise der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, leicht auf der Strecke. "Viele Probleme verschieben sich dann nur weiter auf die nächsten Generationen," befürchtet er.

Auch wenn Girgnhuber es nicht für utopisch hält, dass in einigen Jahrzehnten Traktoren unbemannt und ferngesteuert über die Felder ziehen, für den Obergrashof in Dachau wünscht er sich kein High-Tech auf dem Acker. Technisierung müsse sich lohnen und dazu bedürfe es einer gewissen Flächengröße und einer Spezialisierung auf wenige oder sogar nur eine Monokultur. "Wir streben aber eine möglichst große Vielfalt an Kulturen an", erzählt er. "Das gehört dazu", findet er. Was sich letzten Endes durchsetze, Vielfalt oder industriell bewirtschaftete Monokulturen, sei auch eine gesellschaftliche Frage. Da Handarbeit nun mal koste, liege es in letzter Konsequenz beim Verbraucher, ob er sich diese Qualität leisten wolle.

Ähnlich sieht das Peter Großmann-Neuhäusler. Um den Bio-Sektor zu vergrößern gäbe es nur eine Möglichkeit: Die Nachfrage müsse trotz hoher Preise steigen. Hierbei wünscht er sich mehr Unterstützung und "klare Vorgaben" von politischer Seite. Beispielsweise, wenn es darum geht, ob sich Kantinen in Schulen und Firmen für Bio-Lebensmittel oder für die günstigere konventionelle Alternative entschieden.

"Es müssen mehr Betriebe auf Bio umstellen, um den Marktanteil an biologisch produzierten Lebensmitteln zu erhöhen", sagt Tom Girgnhuber. Allerdings habe das auch seine Schattenseiten. Denn wenn große Betriebe von konventionellem auf Öko-Landbau umsteigen, sind mitunter plötzlich große Warenmengen auf dem Markt und der Preisverfall bedroht wiederum die Existenz kleinerer Bio-Produzenten.

Ein gewisses Wachstum scheint aber generell bei landwirtschaftlichen Betrieben unvermeidbar zu sein und davon bleibt auch die Biobranche nicht verschont. Peter Großmann-Neuhäusler berichtet, dass zu kleine Betriebe heute stets zu kämpfen hätten. "Wir verbringen mehr oder weniger die Hälfte unserer Arbeitszeit mit Bürokratie, das ist für kleinere Betriebe teilweise unmöglich zu leisten", berichtet er. "Unendliche Größe muss nicht sein". Aber um all die Auflagen zu erfüllen und auch um überhaupt sicher für die Lebensmittelindustrie lohnende Liefermengen anbieten zu können, sei eine gewisse Betriebsgröße, gerade im Industriegemüsebereich, überlebensnotwendig.

Auch Tom Girgnhuber sieht die Not kleiner Höfe. Im Vergleich zu den Anfängen der ökologischen Landwirtschaft sei auch in der Biobranche inzwischen "alles auf Wachstum ausgerichtet", erzählt er. Der Zusammenschluss zu Erzeugergenossenschaften sei ein Weg für kleine Betriebe um ausreichende Liefermengen für die Lebensmittelindustrie und den Großhandel zusammenzubekommen und auf dem Markt zu bestehen. Letztendlich entscheide jedoch die Nachfrage und "da ist der Verbraucher gefragt", betont Girgnhuber. Er ist gespannt, wie sich die Branche entwickeln wird, will aber keine Zukunftsprognose wagen.

Fest steht: Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion treibt inzwischen bei weitem nicht mehr nur eine Minderheit von Biobauern und verantwortungsbewussten Konsumenten um. Schaut man in das Programm der Grünen Woche so kommt jedenfalls so gut wie keine der vielen Veranstaltungen ohne das Wort "nachhaltig" aus. Egal, ob wie auf der Agrarministerkonferenz am Wochenende hauptsächlich Handel und Lebensmittelwertschöpfungsketten im Vordergrund stehen oder die landwirtschaftliche Produktion selbst. Und auf der "Wir haben es satt"-Demonstration protestierten immerhin auch konventionell wirtschaftende Landwirte Seite an Seite mit Bio-Bauern und Bürgern.

© SZ vom 22.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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