75. Jahrestag:Die Wunde bleibt

Stadtrat Wolfgang Moll will die Freundschaft von Dachau mit Oradour vertiefen und die Erinnerung an das SS-Massaker bewahren

Von Helmut Zeller, Dachau/Oradour

Die Ruinen des französischen Dorfes Oradour-sur-Glane stehen heute noch - so wie eine Einheit der SS-Division "Das Reich" sie am 10. Juni 1944 zurückgelassen hat. Die Deutschen ermordeten an diesem Tag 642 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, die in der Kirche und in Garagen erschossen oder bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Das Dorf wurde völlig zerstört und nie mehr aufgebaut - mit dieser Wunde, jedes Schulkind in Frankreich kennt den Namen Oradour - lebt das Land seit mehr als 70 Jahren. In Deutschland hingegen blieb das Massaker lange Jahre vergessen und hatte kaum strafrechtliche Folgen.

Das Verbrechen, aber auch der Umgang damit belastete die wenigen Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Täter ohne nennenswerte Strafen davon gekommen sind. Die Mehrheit der Angeklagten eines Gerichtsverfahrens Anfang 1953 in Bordeaux waren zwangsrekrutierte Elsässer. Gegen ihre Verurteilung protestierten die elsässischen Landsleute der Täter derart vehement, dass die Regierung in Paris sie schließlich amnestierte. Gerechtigkeit fanden die Opfer aber auch nicht auf deutscher Seite.

Der Kommandeur der SS-Division, Heinz Lammerding, lebte nach dem Krieg in der Bundesrepublik unangetastet, und das nicht schlecht. Er führte in Düsseldorf eine erfolgreiche Baufirma. Nur einer von zahllosen Fällen, der ein bezeichnendes Licht auf die ausgebliebene strafrechtliche Verfolgung von Naziverbrechen im Nachkriegsdeutschland wirft.

Die Stadt Dachau pflegt seit 2009 eine freundschaftliche Beziehung zu Oradour-sur-Glane, initiiert von der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Gerda Hasselfeldt und dem früheren Oberbürgermeister Peter Bürgel (beide CSU). Der parteilose Stadtrat Wolfgang Moll, Referent für Tourismus und Städtepartnerschaften, führt die Beziehung weiter. Am 75. Gedenkfeiertag in Oradour-sur-Glane nahm Moll als offizieller Vertreter der Stadt Dachau teil.

Oradour sur Glane; Oradour sur Glane Wolfgang Moll

Stadtrat Wolfgang Moll (links) ist Referent für Tourismus und Städtepartnerschaften.

(Foto: Privat)

Inzwischen finden jedes Jahr regelmäßige Besuche und Gegenbesuche statt: Es kam schon zu vielen Begegnungen zwischen Kommunalpolitikern, etwa jedes Jahr bei der Befreiungsfeier in der KZ-Gedenkstätte, Vertretern verschiedenen Sportvereine und Schüler. "Es waren", erklärt Wolfgang Moll, "verglichen mit früheren Jahren sehr viele deutschsprachige Repräsentanten, allen voran der Botschafter von Österreich, Michael Linhart, und die deutsche Generalkonsulin Verena Gräfin von Roedern zu Gast".

Die Feierlichkeiten begannen mit einer Messe in der Kirche des Kleinstadt. Im Anschluss daran erinnerten Bürgermeister Philippe Lacroix und die Generalsekretärin des französischen Verteidigungsministeriums an die Einzelheiten des Massakers von vor 75 Jahren. Sie setzen, wie sie erklärten, die Hoffnung in die Jugend, dass sie das Erbe der Erinnerungsarbeit annehmen und weiterführen werden. Anschließend ging es in einer Prozession zu allen Mahnmalen der knapp 3000 Einwohner großen Gemeinde - das neue Oradour wurde unweit vom Ort des Massakers 1953 errichtet - und durch die seit 1944 unberührte Ruinenstadt selbst, wo die Vertreter vieler Gruppierungen, Behörden und französischer Veteranenverbände Kränze niederlegten.

Stadtrat Moll betont, dass Jugendliche aus vielen Teilen Europas an der Gedenkfeier teilgenommen hätten. Überhaupt seien niemals zuvor so viele deutschsprachige Vertreter gekommen wie dieses Mal. Er, so Moll, bemühe sich seit nunmehr sieben Jahren darum, Dachauer Vereine, Jugend und Gesellschaft, in diese Erinnerungsarbeit einzubinden. "Das hat nun Früchte gezeigt", sagt Moll. "Wir, die Stadt Dachau, kann in Anbetracht dessen, was 1944 dort passiert ist, stolz sein, dass wir als echte Freunde anerkannt sind. Wir müssen alles daran setzen, dieses beeindruckende Verhältnis auch weiterhin nach Kräften und Möglichkeit zu pflegen", erklärt Wolfgang Moll der SZ.

Oradour sur Glane

Am 75. Gedenkfeiertag in Oradour sur Glane nahm Moll als offizieller Vertreter der Stadt Dachau teil.

(Foto: Privat)

Zwischen den Zeilen klingt da auch Kritik an: Moll sagt das nicht, aber er würde sich wohl noch mehr Engagement von Seiten der Stadt Dachau wünschen. Auch war in früheren Jahren von einer möglichen Städtepartnerschaft die Rede - allerdings will es die Mehrheit im Dachauer Stadtrat bei der freundschaftlichen Beziehung belassen. Eine ähnliche, wenn auch weitaus ältere Freundschaft pflegt Dachau mit der polnischen Stadt Oświęcim. Der Landkreis hat unterdessen mit dem Landkreis Oświęcim eine förmliche Partnerschaft geknüpft. Städtepartnerschaften ist Dachau mit Klagenfurt und dem italienischen Fondi eingegangen.

Unabhängig von der Stadtpolitik hat die in Dachau lebende Regisseurin Karen Breece die Geschichte und das Massaker von Oradour in einem Theaterstück aufgegriffen. Im deutschsprachigen Raum das einzige Beispiel einer künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem Thema. Im Frühjahr 2018 fand die Uraufführung von "Oradour" im Münchner Theater Hoch X statt. Der SZ-Kritiker Egbert Tholl bezeichnete das Stück, das zu einer Auseinandersetzung mit der Wunde Oradour zwingt, als ein Meisterwerk.

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