Süddeutsche Zeitung

66. Bergkriterium:Triumph nach 19 Jahren

Lesezeit: 3 min

Seit 1998 versucht Tobias Erler immer wieder, das Eliterennen des Dachauer Bergkriteriums zu gewinnen. Jetzt hat es geklappt.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Tobias Erler ist noch zu erschöpft, um richtig zu jubeln. Um seine Nase herum ist er blass geworden und rote Ränder haben sich um seine Augen gezogen. Erlers Frau bringt ihm eilig ein Glas alkoholfreies Weißbier, das der 38-Jährige in einem Zug leer trinkt. Danach kommt sein Kreislauf langsam wieder in Schwung. Gemeinsam mit seinen zwei kleinen Kindern steigt Erler auf das Podest, schüttelt Hände und hält strahlend den Pokal in die Luft. "Ich war tot", sagt der Mann vom Team RSC Kempten später über die Strapazen. "Für mich ist das einer meiner größten Siege."

Die begeisterten Zuschauer auf dem Altstadtberg gönnen dem sympathischen 38-Jährigen den Triumph und jubeln ihm zu auf den letzten Metern. Erler erzählt, dass er schon seit 1998 nach Dachau komme, um das prestigereiche Rennen, an dem schon Legenden des Radsports wie Rudi Altig oder Rolf Wolfshohl teilgenommen haben, endlich für sich zu entscheiden. Doch erst jetzt, da Erler ohne wirkliche Ambitionen antrat und mit seinen Kindern in die Berge ging, anstatt vorher zu trainieren, klappt es mit dem Erfolg.

Das 66. Bergkriterium über das Kopfsteinpflaster der historischen Dachauer Altstadt, das traditionell an Mariä Himmelfahrt ausgetragen wird, ist in diesem Jahr eine regelrechte Hitzeschlacht. Das Smartphone von Wolfgang Moll, dem Vorsitzenden des Veranstalters Soli Dachau, zeigt 30 Grad im Schatten. Die Straßen an der Strecke bleiben deshalb deutlich leerer als sonst, weil viele Dachauer einen Besuch am See oder im Freibad offensichtlich vorziehen. Eine Schätzung will Moll deshalb nicht wagen. Es sind aber deutlich weniger Zuschauer als die üblichen 3000.

Eines der anspruchsvollsten Rad-Events in Bayern

Auch ohne die hohen Temperaturen gilt das Bergkriterium wegen des kräftezehrenden Anstiegs den Altstadtberg hinauf und die waghalsige Abfahrt über das Kopfsteinpflaster als eines der anspruchsvollsten und populärsten Rad-Events in Bayern. Am Dienstag haben dazu etliche Rennfahrer mit technischen Defekten in Form von platten Reifen zu kämpfen, weil von der After-Volksfestparty noch jede Menge Glasscherben im Kopfsteinpflaster stecken. "Wie es hier heut' morgen aussah, war schon brutal", sagt Moll verärgert. Die Bauhofmitarbeiter hätten alles gegeben, um das Pflaster so gut wie möglich vom Glas zu befreien.

Die Vorgaben waren ansonsten dieselben wie immer. Insgesamt 44 Runden à 1375 Meter müssen die Radsportler strampeln. Im Gegensatz zu einem Rundstreckenrennen, in dem derjenige gewinnt, der als Erster die Gesamtdistanz zurücklegt, sammeln die Fahrer in einem Kriterium Wertungspunkte. Der Rennmodus sieht bei den Elite-Fahrern nach jeder vierten Runde eine Wertung vor. So erhält der Erste am Ende einer Wertungsrunde fünf Punkte, der Zweite drei, der Dritte zwei und der Vierte einen Punkt. Die letzte Runde zählt doppelt, um bis zum Schluss Spannung zu erzeugen.

Doch der fulminant fahrende Erler steht schon vor der letzen Wertung als Sieger fest. Bereits zu Beginn des Rennens setzt sich der 38-Jährige ab und entscheidet zwei Wertungen für sich. Danach aber, so erzählt er später, sei er ziemlich platt gewesen und musste sich ins Feld zurückfallen lassen. Doch Erler bekommt die zweite Luft. Als er sich anschickt, noch eine Wertung zu holen, wächst er über sich hinaus und baut seine Führung Runde um Runde aus. Am Ende passiert der 38-Jährige mit großem Vorsprung das Ziel und reißt völlig erschöpft die Arme in die Höhe. Er gewinnt mit sagenhaften 20 Punkten Vorsprung vor Florenz Knauer (15). Und der hätte immerhin als Erster überhaupt das Bergkriterium zum dritten Mal gewinnen können.

Jeden Tag mit dem Rad von Indersdorf nach Karlsfeld

Der einzige Dachauer im Feld, der 19-jährige Josef Mall, wirkt im Ziel auch recht fröhlich. Er sieht sich selbst als Mountainbiker und hat sich spontan für das Elite-Rennen angemeldet. Sein Training besteht darin, jeden Tag mit dem Rad von Indersdorf nach Karlsfeld in die Arbeit zu fahren. Dafür hält er aber neun Runden lang bis zu seinem Ausstieg erstaunlich gut mit den Halb-Profis mit. "Dann war ich total platt und konnte bergab nicht mehr richtig sehen, weil das ganze Blut in den Haxen war."

Der Dachauer Markus Bieringer holt bei den U17-Junioren in seinem ersten Rennen sogar den Titel des Oberbayerischen Meisters, der Niederbayer Henri Uhlig gewinnt. In den drei Altersklassen des Fette-Reifen-Rennens siegen Leonard Arnold, Gustav Jocham und Simon Grossmann, bei den Senioren Stefan Steiner, bei den Juniorinnen Sarah Kastenhuber. Ovationen erhält Andreas Strasser, der Vierte der Deutschen Meisterschaften im Trial. Der Soli-Fahrer balanciert mit seinem Rad über einen Schwebebalken und zeigt spektakuläre Sprünge. Danach muss auch er sich von den Strapazen seiner Show erholen.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2017
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