20 Jahre Jazz e. V. Dachau:Ein Stück Jazzgeschichte

Anlässlich seines Geburtstags hat sich der Verein am vergangenen Wochenende ein Festprogramm überlegt, das vielseitiger kaum sein könnte: die Kammermusiker Aki Takases's Japanic und das Ensemble The young Mothers

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

Was für ein Jazzherbst, den der Jazz e.V. zu seinem 20-jährigen Bestehen auf die Beine stellt. Bescherte einem das reguläre Programm als bayerische Heimmannschaft schon das wunderbare St. Øhl Trio, haben sich die Jazz-Enthusiasten als besonderes Festprogramm innerhalb des Jubiläumsherbstes das "Free the Jazz Festival" ausgedacht. Vor zwei Wochen wehte hierfür beim Auftritt des Saxofonisten David Murray die große Jazzgeschichte durch die Kulturschranne.

Und nun dieses zurückliegende Wochenende, zwei Musikabende hintereinander: Am Freitag nach dem Konzert ein Büffet für die Dachauer Jazzgemeinde. Dazu an den Wänden der Kulturschranne eine feine Ausstellung mit Fotografien des Dachauer SZ-Fotografen und musikalischen Universalgelehrten Toni Heigl aus 20 Jahren Jazz e.V. Es sind zauberhafte Fotos darunter: Man sieht den Gitarristen Elliott Sharp in typischer klanganalytisch versonnener Pose. Man erinnert sich beim Anblick der über die Klaviatur gebeugten Pianistin Carla Bley an die filigrane Ausdruckskraft ihrer Musik und vor dem Bild des Saxofonisten Colin Stetson an die Wucht seines riesigen Basssaxofons. Das sind nur drei Beispiele. Heigl, das muss man wissen, erledigte seine journalistische Pflicht beim Jazz e.V. in all den Jahren ja nicht, indem er kurz in den Raum platzte und rasch eine Handvoll Fotos schoß. Er blieb, hörte, beobachtete und suchte mit Geduld die richtigen Momente für seine Motive. Doch zurück zur Musik: Welche musikalische Vielfalt einem dieses Wochenende geboten hat, ist grandios. Dass es dem Jazz e.V. gelungen ist, nach mehreren Versuchen die Pianistin Aki Takase mit ihrer Formation Aki Takase's Japanic nach Dachau zu lotsen, ist ein Coup der ganz besonderen Art. "Wir freuen uns wahnsinnig", sagt Programmkoordinator Axel Blanz in seiner Begrüßung. Zu recht: Es wird eines der kammermusikalischsten Konzerte der jüngeren Vergangenheit werden, mit Klavier, Saxofon (Daniel Erdmann), Kontrabass (Johannes Fink), Schlagzeug (Dag Magnus Narvesen) und DJ-Turntables (DJ Illvibe aka Vincent von Schlippenbach). Auf Schlippenbach sei sie, sagt Takase in einer ihrer wunderbaren Moderationen, musikalisch sehr stolz. Zunächst scheinen die dezenten elektromusikalischen Klangnuancen das noch nicht zu rechtfertigen. Bald aber wird offensichtlich, wie behutsam, aber bestimmt Schlippenbach die ansonsten rein akustisch erzeugte Musik des Quintetts bereichert. Ganz besonders durch die eingespielten Gesangslinien, die er mit seinen Fingern auf den Schallplattentellern exquisit verfremdet.

Dies wird nicht die einzige Gesangskomponente dieses Konzerts sein: Kurz vor Ende steht plötzlich aus dem Publikum die Sängerin Mayumi Nakamura auf, um mit Takase zusammen die Habanera-Arie aus Georges Bizets Oper "Carmen" darzubringen. Ein Überraschungsmoment - und doch geradezu schlüssig vorbereitet, denn dieses Konzert bewegt sich stets auf spannende Weise im Grenzbereich zwischen Improvisation und Kunstmusik: Das reicht von kompositorisch auf Papier fixierten Stücken bis hin zum Instant Composing, wenn Takase ihre Musiker mit choreografisch beeindruckendem Dirigat zur spontanen klanglichen Umsetzung ihrer Bewegungen anleitet. Wer bei dieser Musik, die zwischen virtuos koordinierten filigranen Momenten, lässiger Rhythmik und dynamisch weitausgreifenden Lautstärkeverläufen pendelt, an Frank Zappa erinnert wird, liegt nicht falsch. Und Recht hat auch, wem bei den skurrilen Wort- und feinsinnigen Musikbeiträgen, die nach der Pause Saxofonist Daniel Erdmann und Bassist Johannes Fink beisteuern, einstige Jazzabende mit dem Zentralquartett-Schlagzeuger Günter Baby Sommer in den Sinn kommen, der zwischen Jazz, Klassik und musikalischem Humor ähnlich große Schnittmengen fand, genau wie Takase und ihre Mannen.

Der Kontrast, den das Samstagskonzert hierzu bietet, könnte größer nicht sein. Das Ensemble The young Mothers stellt Takases nummernhaft aufgebautem Konzert ein musikalisch weitgespanntes Set gegenüber. Und die Jazzrock-Hip-Hop-Metal-Musik, die die sechs Herren dabei erzeugen - Jason Jackson am Saxofon, Jawwad Taylor mit Elektronik, Trompete und Gesang, Jonathan F. Horne an der Gitarre, Stefan Gonzales mit Vibrafon, Schlagzeug und Gesang, Frank Rosaly am zweiten Schlagzeug und Jazz e.V.-Ikone Ingebrit Håker Flaten am E- und am Kontrabass- , ist phänomenal. Von leise gehauchten Pianissimo-Passagen reicht sie über lyrische Bläsermelodien bis hin zum Hip-Hop, den Taylor mit Lässigkeit in den Raum schleudert. Bemerkenswert ist, wie transparent die Musik trotz der großen Besetzung und trotz der schier überwältigenden Ereignisdichte dabei bleibt. Selbst das klanglich sanfte Vibrafon ist klar beleuchtet. Das ist expressiv und musikhandwerklich unfassbar gut - aber noch nicht die Spitze der Ausdrucksintensität dieses Sextetts. Axel Blanz hat ein Inferno versprochen, und die Musiker lösen das Versprechen ein. Nicht unablässig, das wäre ermüdend, sondern als perfektes Steigerungsmoment.

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