Süddeutsche Zeitung

1oo Jahre Künstlervereinigung Dachau:Schnappschüsse aus dem Familienalbum

Zu ihrem Jubiläum zeigen KVD-Künstler eine unterhaltsame Auswahl von Fotos und Dokumenten

Von Gregor Schiegl, Dachau

Wer die harten Fakten zum Jubilar sucht, findet sie auf einem leuchtend orangeroten Plakat inmitten eines Gewirrs bunter Bilder, Fotos und vergilbter Zeitungsausschnitte: 70 Mitglieder zählt die Künstlervereinigung Dachau heute, der Altersschnitt beträgt 59,3 Jahre, die Frauenquote ist mit mehr als 54 Prozent vorbildlich, nur mit den 100 Jahren ist das so eine Sache. Der Künstlerverein wurde offiziell erst 1927 gegründet, die Vorgängerorganisation, der "Rat der geistigen Arbeiter", zerstreute sich nach 1919 bald infolge wirtschaftlicher Not. Aber um historische Vollständigkeit geht es in der Ausstellung "Bilder aus 100 Jahren KVD" in der KVD-Galerie ohnehin nicht. Die Künstler haben ihre persönlichen Archive geöffnet und in ihren Erinnerungen gekramt. Das Resultat ist eine Art buntes Familienalbum voller Schnappschüsse: Simona De Fabritiis begutachtet ein Heer von Gartenzwergen im Schloss-Saal, Florian Marschall steht mit Indianer-Poncho irgendwo, man weiß nicht genau wo - und wie hieß gleich noch mal der grinsende Typ mit dem Schnauzer und der Flasche "Racke Rauchzart" in der Hand?

Erklärende Erläuterungen sucht man hier meist vergeblich. Macht nichts. Im Gegenteil. "Die Ausstellung soll zum Entdecken einladen", erklärt Margot Krottenthaler, Vorstandsmitglied der KVD. Wer was wissen will, muss eben fragen. "Die Leute sollen ins Gespräch kommen", sagt sie. Ist ja auch viel netter als an beschrifteten Fotos mit drögen Was-Wann-Wo-Infos vorbei zu stromern wie an Schautafeln in der Schule beim Geschichtsunterricht.

Ein bisschen Ordnung und Systematik muss ja trotzdem sein, und so finden sich thematische Cluster, die Schlaglichter auf bestimmte Aspekte oder Momente in der Historie der Künstlervereinigung werfen: Das politische Engagement der "Gruppe D" in den Achtzigern spiegelt sich in den Plakaten wider, die sich explizit gegen Fremdenfeindlichkeit und die Verdrängung des nationalsozialistischen Vergangenheit wenden, ein Brief aus dem Büro von Außenminister Hans-Dietrich Genscher signalisiert protokollarische Unterstützung für die gemeinsame Ausstellung mit Künstlern aus Paraguay in Asunción, lässt aber wissen, dass leider keine Geldmittel mehr bewilligt werden können; das Budget sei erschöpft. Alte Zeitungsartikel bilden den langen Kampf der KVD um adäquate Ausstellungsräume in Dachau ab, auch der peinliche Feldzug des ehemaligen Abgeordneten Hans Hartl gegen die vermeintlich unsittlichen Werke des Akt-Fuchs' ist dokumentiert.

Die Auswahl ist höchst subjektiv, aber genau darin liegen auch der Reiz und die Stärke dieser großen Erinnerungscollage. Nicht jeder Kampf und jeder Streit - und derer gab es viele in der langen Geschichte der KVD - ist es wert, dokumentiert zu werden. Das, was in Erinnerung bleibt, das sind die prägenden Dinge, das ist das, das was bleibt. Diese Eindrücke müssen nicht immer extrem bedeutsam oder gar weltbewegend sein. Paul Havermanns Beiträge zeigen das sehr schön. Havermann muss sich bei manchen KVD-Sitzungen furchtbar gelangweilt haben, jedenfalls sind in diesen langen Sitzungen elaborierte Kritzelporträts mit Kugelschreiber entstanden, die einige urkomische Innenansichten aus der Herzkammer der KVD zeigen, karikierend, aber wohl mit einiger Wahrheit behaftet.

Ergänzt wird die Ausstellung von Fotos des Dachauer Fotografen Siegfried Scheibner, der über viele Jahrzehnte die Künstler mit der Kamera begleitet hat und dabei gleichermaßen ästhetische wie persönliche Bilder geschaffen hat: die Künstlerin gigi bei der Lichtmalerei in graziösem Tanz, der melancholische Blick von Fred Arnus Zigeldrum, umrahmt von seiner akkurat geschnittenen Prinz-Eisenherz-Frisur und der lustige Mann mit der Whiskyflasche. Das war sein Kumpel, Heinz Braun, Maler und Darsteller in vielen Achternbusch-Filmen. In der Summe ergibt sich ein facettenreiches Bild der Künstlervereinigung, die eine beeindruckende Zahl von echten Originalen versammelt.

Die Ausstellung ist noch zu sehen bis 27. Januar.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019
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