100 Jahre KVD:Raus an die frische Luft

100 Jahre KVD: Für viel Aufsehen sorgte die Skisprungschanze am Rathaushang, welcher der KVD-Künstler Christian Engelmann den Titel "Haltungsnote" gab.

Für viel Aufsehen sorgte die Skisprungschanze am Rathaushang, welcher der KVD-Künstler Christian Engelmann den Titel "Haltungsnote" gab.

(Foto: Toni Heigl)

Statt in Erinnerungen zu schwelgen, setzt die Künstlervereinigung Dachau in ihrem 100. Jubiläumsjahr die Tradition der Freilichtmalerei mit modernen Mitteln fort: Das Stadtgebiet wird zur Ausstellungsfläche

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Feiern kann der Jubilar auf zwei Arten: mit Seufzern über verstrichene Erlebnisse sowie Danksagungen und Wünschen für die Zukunft. Oder indem man einfach weitermacht. Nach 100-jährigem Bestehen wäre die Künstlervereinigung Dachau (KVD) geradezu prädestiniert für Variante eins gewesen und entschied sich doch für die andere. Nach 100 Jahren ließe sich viel danken und viel seufzen, stattdessen wandte man sich nach außen. Die 18 Künstlerinnen und Künstler der KVD sowie 15 Gastkünstler trugen für die Jubiläumsausstellung "Raus" ihre Exponate ins Freie; sie sollten im Alltag der Dachauer ein Blickfang sein, zum Nachdenken anregen und auch irritieren. Im Juli werkelten die Aussteller an diversen Stellen der Stadt, man stellte große Modelle auf, bemalte Wände, band die Werke in das Stadtbild ein. "Im August gehört die Stadt Dachau ganz der Kunst", kündigte die Gruppe in ihrem Infoflyer an, da ließ sich ein aufrührerischer Geist in den Reihen der Künstler vernehmen.

Denn, ja, ein "Motor der zeitgenössischen Kunst" wolle man weiterhin sein, so versprach es der KVD-Vorsitzende Johannes Karl vor einem Jahr im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Dass die Ideen und die Zukunft der Gruppe durch ihre Mitglieder getragen werden, dessen ist man sich bei der KVD bewusst - so machte Karl es als Anliegen der Gruppe aus, neue und junge Mitglieder an sich zu binden. 2019 überließ die Künstlervereinigung die Gestaltung der traditionellen Jahresendausstellung ihren Jungmitgliedern Michi Braun, Anna Dietze, Denise Hachinger und Kristina Seeholzer.

Den Blick zurück konnte die Jubilarin sich dennoch nicht ganz verkneifen; übernommen hatte ihn die Gemäldegalerie mit einer Ausstellung, die sich mit den Anfängen der Künstlergruppe, ihrem zeitweisen Auseinanderfallen und Wiederfinden beschäftigte. Mit einzelnen Werken zeigte sie die Vielfalt der Künstler über die Jahre hinweg, geschichtliche Informationen streute man jedoch nur sparsam in die Ausstellung ein. Im Jahr 1919 war die KVD aus dem Rat der "geistigen Arbeiter" hervorgegangen, damals bestehend aus 44 Mitgliedern, die nach dem Ersten Weltkrieg in Dachau geblieben waren. Deren erste Ausstellung fand im Dachauer Schloss statt, in den Jahren darauf folgten ein paar weitere, bis plötzlich viele Künstler ausstiegen, sich die Gruppe 1924 auflöste, wohl aufgrund von Arbeitslosigkeit und finanzieller Not. Der Schriftsteller Eugen Mondt schrieb später in Erinnerung an diese Zeit: "Schließlich löste sich doch alles in Antisemitismus, Parteienhass und Gezänk auf und endete recht erbärmlich."

Wer um des Rückblicks willen mit Künstlern durch die Zeit springt, der wandelt zwischen politischer Positionierung und dem Eskapismus in eine heile Welt, und so lässt es sich bis heute hüpfen. Sich mit dem Projekt "Raus" jenseits der Museumspforten zu bewegen, folgte dem Gedanken der Mitglieder, ihre Kunst sichtbar und erlebbar zu machen - und damit auch angreifbar: Mehrere der Kunstwerke wurden beschädigt oder gar zerstört, so eine rund 300 Kilo schwere Keramik von Luisa Koch am Moorbadgelände oder Teile von Margot Krottenthalers Holzmarterl an verschiedenen Standorten. Die Haimhausener Künstlerin Katrin Schürmann hatte ihr Werk in der Unterführung am Dachauer Bahnhof angebracht: Auf der einen Seite ein Bild europäischer Kolonialherren in Afrika, auf der anderen eine Fotografie, welche die Ankunft von Geflüchteten zeigt. Darunter der Satz: "Sie kamen übers Meer." Mehrmals wurden die Installationen abgerissen und durchtrennt, mehrmals klebte sie die Künstlerin wieder zusammen. Mit grauem Panzertape hielt sie gegen die Zerstörungswut.

Es war nur ein paar Gehminuten weiter, an einem Sommerwochenende, an dem sich Interessierte bei Sonnenschein in die Hochphase der Dachauer Kunst versetzten, in die Zeit der Künstlerkolonie. Auf dem Dachboden der Kleinen Moosschwaige, im renovierten Atelier der KVD-Künstlerinnen Katrin Schuff und Margot Krottenthaler stellte man sie sich bildlich vor, die Malschüler von Adolf Hölzel, die in der Altstadt in engen Stuben lebten, und begeistert von der Natur ins Freie zogen, zunehmend mit Farben und Formen experimentierten. Dass es die Künstlergruppe zu ihrem Jubiläum nun wieder zu Experimenten ins Freie zog, ist wohl weniger eine Analogie zu alten Zeiten, als ein weiterer Anfang in der Tradition von hundert Jahren. Denn jenseits aller Feierei bleibt die größte Hürde des Jubilaren doch: immer wieder Neues zu schaffen, wo man doch schon so viel erlebt hat.

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