Crash:Die Großmutter aller Discos

Crash: Darf man sich am Karfreitag oder Totensonntag auf der Tanzfläche vergnügen? Eine politisch brisante Frage.

Darf man sich am Karfreitag oder Totensonntag auf der Tanzfläche vergnügen? Eine politisch brisante Frage.

(Foto: Robert Haas)

Boshafte sagen: Vor Mitternacht trägt man hier eher Pickel, nach Mitternacht sind Falten angesagt. Das Crash ist ein liebenswerter Rockschuppen und ein Tanzlokal, das aus der Zeit gefallen ist.

Franz Kotteder

Konstantin ist jetzt 24 Jahre alt und hat, wie soll man sagen, ein etwas ungewöhnliches Hobby. Seit er volljährig ist, steckt er vorzugsweise freitags und samstags seine aufblasbare E-Gitarre ein und geht ins Crash in die Ainmillerstraße10. Dort ist er der König der Luftgitarre, spielt sie auf den Knien, stehend, im Liegen - ganz wie die richtigen Gitarrenhelden auf den Monitoren und der großen Videoleinwand über und hinter ihm. Und sein Ehrgeiz geht ersichtlich da hin, seine Finger auf dem Plastikgriffbrett ziemlich genau in der richtigen Position zu haben, also dort, wo sie auch auf einer richtigen E-Gitarre sein müssten, um die entsprechenden Töne zu erzeugen.

Konstantin ist im Crash schon eine Ausnahme, er selbst nennt sich "das Gitarrenmaskottchen" der Discothek. Normale Luftgitarristen, also solche ganz ohne Instrumenten-Imitat, gibt es hingegen mehrere, schließlich ist das Crash seit 42 Jahren dafür bekannt, dem klassischen Gitarrenrock zu frönen. Überhaupt, musikalisch gesehen sind Oldies hier Trumpf. Vor Mitternacht sind zwar hauptsächlich sehr junge Menschen hier, viele noch nicht volljährig. Aber das macht nichts.

DJ Gnadenlos, so nennen wir ihn jetzt einfach mal, kennt da nichts, er macht keine Zugeständnisse an den Zeitgeist: Eiskalt legt er einen Oldie nach dem anderen auf, erst "La Bamba" von Ricky Martin, dann Nenas "99 Luftballons", später "Jump" von Van Halen und immer so weiter, die Nacht hindurch. Es scheint seine pädagogische Sendung zu sein, den jungen Hupfern Musik von früher nahezubringen, denn später, nach Mitternacht, gibt es dann meistens jene Art von Hardrock, bei der lange Angebersoli von Gitarristen vorkommen.

Es ist nämlich so, dass das Publikum hier recht zwiegespalten ist. Wenn man boshaft wäre, könnte man sagen: Vor Mitternacht trägt man eher Pickel, nach Mitternacht sind Falten angesagt. Die Jungen schätzen es, dass die Getränke im Crash günstig sind: 1,90 Euro kosten sie, nur Cocktails sind teurer, und auch der "Sektkübel Sangria" ist mit 9,50 Euro nicht überbezahlt. Trotzdem ist das hier kein Ort zum Komasaufen, da passen der Günter, der Rainer und die Karin schon auf.

Die drei repräsentieren ja gewissermaßen die Elterngeneration, sie betreiben den Laden zusammen und haben auch Nachnamen, die sie allerdings selten brauchen, weil man sie hier ja seit Jahrzehnten kennt. Karin Schmunkamp, 60, sitzt meist an der Kasse und nimmt pro Nase sieben Euro. Rainer Tauber, 60, steht an der Bar und bedient, Günter Haslinger, 52, ebenfalls. Und manchmal legt Günter auch auf, als "DJ Hasso". So hat es bei ihm auch angefangen im Crash, als Aushilfsdiscjockey, 1976.

Alle drei kennen sich noch "vom alten Crash". Das war in der Lindwurmstraße, unter einer Eisenbahnbrücke an der Poccistraße. Dort wurde das Crash Anfang Dezember 1968 als "Beat-Lokal" eröffnet, damals schon mit dem Konterfei von Jim Morrison von den Doors als Wahrzeichen. Vogelwilde Zeiten müssen das gewesen sein. Die Fotos aus jenen Tagen zeigen Menschen mit absonderlichen Frisuren, die so aussehen, als wäre ihnen etwas ziemlich Ekliges auf den Kopf gefallen. Sie tragen lustige Bärte und rallyestreifenbreite Koteletten auf den Backen, und wenn sie weiblich sind, haben sie oft Dauerwelle und manchmal auch einen freien Oberkörper.

Im Crash gab es damals ja auch fidele Wettbewerbe. Zum Beispiel am 24. September 1969 ein sogenanntes "Oben-ohne-Sauerkraut-Wettessen", bei dem man die Finger nicht benutzen durfte. Die Überlieferung besagt, dass eine barbusige Blondine namens Ingrid Schmid zwei Pfund Sauerkraut verputzt habe und damit den Sieg errang. Was aus ihr später noch geworden ist, weiß niemand mehr.

Man kann aus diesem Detail schon herauslesen, dass das Crash in jenen frühen Jahren so etwas wie die Blaupause für alle späteren Dorfdiscos in 100 Kilometer Umkreis gewesen ist. Es gab ja nicht viele Alternativen, damals. Und so kamen natürlich alle irgendwann ins Crash. Auch Eric Clapton, Uriah Heep und Led Zeppelin, oder Amon Düül und Udo Lindenberg. Thomas Gottschalk legte in seinen frühen Jahren Platten auf, das war so prägend, dass er noch heute an seinem damaligen Musikgeschmack festhält.

1993 musste das Crash raus aus den Räumen unter der Eisenbahnbrücke, man fand Gottseidank schnell Ersatz in der Ainmillerstraße. Die alte Einrichtung nahm man mit, und deshalb sieht das Crash auch heute noch ein bisschen so aus wie eine Promenadenmischung aus Westernstadt, Oktoberfestfahrgeschäft und Retro-Wohnzimmer.

Aber: Das Crash ist eben auch sehr familiär, weshalb auch heute noch, nach Mitternacht, viele hier einlaufen, die den Laden noch aus der Lindwurmstraße kennen. Gut, die wilden Zeiten sind vorbei. Aber man erinnert sich hier zu später Stunde doch immer noch gerne an sie und muss sie eigentlich auch gar nicht mehr haben. Da ist das Crash dann eben so eine Art Solitär. Auf andere Weise, aber ähnlich wie am frühen Abend, wenn die Jungen da sind. Da ist es dann sicher der einzige Schwabinger Laden, in dem die Menschen hinter dem Tresen mindestens doppelt so alt sind wie die davor.

"Ja mei", lacht der Günter, "da sind halt einige dabei, die haben auch schon im alten Crash bedient." Und wie's so aussieht, werden sie das auch noch länger machen, das hat so Tradition hier: Die frühere Garderobiere Anni Büttner, die von Anfang an dabei gewesen war, hat zum Beispiel erst 1999 im Alter von 91 Jahren den Dienst quittiert.

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