Süddeutsche Zeitung

Corona und Ostern:Zeit der Notlösungen

Ausgerechnet am höchsten Fest der Christen ist fast alles untersagt, was Ostern ausmacht. In vielen Kirchen ist trotzdem einiges geboten - in der Krise suchen die Menschen dort besonders dringend Antworten.

Von Bernd Kastner

Post für den lieben Gott, ein Mädchen hat ihm geschrieben. Der liebe Gott möge den Osterhasen bitten, dieses Jahr etwas später zu kommen. Damit das Kind wie immer mit der Oma im Garten die Ostereier suchen kann. Das geht derzeit nicht, es darf die Oma ja nicht besuchen. Also, lieber Gott, rede doch bitte mal mit dem Osterhasen!

Ob er das schon getan hat, ist nicht bekannt, aber bestimmt hat Pfarrer Markus Rhinow die Bitte des Mädchens nach oben weitergeleitet. Es war der Briefkasten des Pfarrers, in dem diese Post lag. Sie kündet von den Sorgen in dieser Zeit, da Corona alles beherrscht, da viele Enkel ihre Großeltern nicht sehen dürfen und die Christen ganz anders Ostern feiern müssen.

Ausgerechnet Ostern! Ausgerechnet am höchsten Fest der Christen ist fast alles untersagt, was Ostern ausmacht, vor allem das Miteinander. Doch die Corona-Not macht erfinderisch. Sie öffnet Türen und Augen, macht Menschen nahbarer und neugieriger. Davon berichten Münchner Seelsorger. Sie versuchen, ihre Gemeinden zusammenzuhalten und den Menschen Mut zu machen.

In die Kirchen von Pfarrer Rhinows evangelischer Immanuel-Nazareth-Gemeinde in Bogenhausen kommen permanent Leute, berichtet er, Leute, die er noch nicht kennt. Sie schauen in die Kirchen, deren Türen so fixiert sind, dass niemand die Klinke drücken muss. "Die Menschen sind ansprechbar, es tut ihnen gut, wenn wir zuhören." Rhinows Kollegin Christine Heilmeier erzählt, dass die Menschen eintreten, um sich bei Gott zu beklagen: "Das Klagen darf einen Raum haben", ist ihre Botschaft. "Ich darf jammern!" Schon in der Bibel klagten die Menschen ihr Leid, heute hat es einen neuen Namen: das Coronavirus.

Die Gemeinde Immanuel-Nazareth will Karfreitag und Ostern fast wie immer feiern, diesmal aber als digitales Fest. Die in den vergangenen Wochen aus den Münchner Kirchen gestreamten Gottesdienste lassen sich nicht mehr zählen, und so soll es weitergehen. Rhinow und Heilmeier werden den Karfreitagsgottesdienst im Netz übertragen und am Ostersonntag, wenn es noch dunkel ist, das Osterfeuer vor der Kirche entzünden, auch das ist live zu sehen. Am Feuer wollen sie die Osterkerze entzünden. Von der wiederum dürfen sich Gläubige den ganzen Tag über das Feuer nehmen und mit kleinen Kerzen nach Hause tragen. Wie Rhinow und Heilmeier wollen viele Seelsorger mit diesem Ritual symbolisch die Verbindung schaffen zwischen den Gläubigen.

In der Evangeliumskirche im Hasenbergl lädt Dekan Felix Reuter gar zu "Zoom"-Gottesdiensten. Zoom ist eigentlich für Videoschaltungen gedacht, als virtueller Konferenztisch. Reuter aber schätzt die Technik, weil sich bei Zoom auch Menschen nur übers Telefon einwählen können, um einfach nur zuzuhören. Vor allem für Senioren ohne Internetanschluss sei das viel wert.

So wichtig diese Übertragungen sind - dass die Seelsorger weiterhin ansprechbar sind, ist ebenso elementar. David Theil ärgert sich, wenn es dramatisierend immer mal heißt, die Kirchen seien zu. "Das stimmt einfach nicht!", ruft der katholische Pfarrer von St. Ursula und St. Sylvester in Schwabing. Die Menschen dürfen in seinen Kirchen beispielsweise Nachrichten hinterlassen mit Bitten und Klagen, sie dürfen kleine Bilder mitnehmen, Bilder vom Kreuzweg und von der Natur.

"Die Stimmung der Menschen ist voller Sorge", stellt Theil fest und beschreibt das Surreale dieser Tage: Hier die aufblühende Natur, dort die geschlossenen Läden und die Existenzängste der Betreiber. Auch ihn, den Pfarrer, treiben Sorgen um: "Ich hoffe, dass wir durch diese Krise wach werden, dass diese Krise ein Weckruf ist." Dass jetzt zum ersten Mal seit vielen Jahren ein blauer Himmel zu sehen ist, weil kaum Flugzeuge fliegen, dass in der Freisinger Gegend die Luft plötzlich frisch riecht, dass in Venedig die Kanäle klar sind, das erinnere daran, "dass wir diese Erde überstrapaziert haben". Das Streben nach Reichtum, das Leben nach dem Motto "Geiz ist geil" - "es muss klar sein, dass es so nicht weiter geht". Die Corona-Krise als Start in eine gute, ökologische Zukunft, wie realistisch ist das? "Hoffnung ist nicht realistisch", sagt Theil und lacht. Hoffnung ist Hoffnung.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Not und der Notlösungen, eine Zeit der Fragen und, ja, auch der Antworten. "Was ist an Ostern los?" Diese Frage stellen sie in der Abtei St. Bonifaz, und sie wollen eine eher überraschende Antwort darauf geben.

Die naheliegende Antwort wäre der Verweis auf eine bislang nicht gekannte Dimension kirchlicher Aktivitäten. Es ist eine Mischung aus spirituellen Gedanken und konkreter Hilfe für Senioren, Einsame und Bedürftige, was die Gemeinden beider Konfessionen anbieten. Sie gehen dabei unterschiedliche Wege. Mal traditionell über Telefon und Zettel, mal mit digitaler Kommunikation. Alle lernen dazu, die Seelsorger und die Gläubigen. Einen kompletten Überblick über das Angebot zu geben, ist praktisch unmöglich. Aber man kann sich zum Beispiel über die Homepage des Erzbistums annähern, dort finden sich diverse Links zu den Pfarreien und ihren Aktivitäten - und natürlich Reinhard Marx. Der Kardinal feiert jeden Tag einen Gottesdienst in der Frauenkirche, was live und als Video-Konserve im Netz zu sehen ist.

Was sonst noch los ist an Ostern? Auch Willi Weitzel will Antworten geben, viele Kinder kennen ihn aus der TV-Sendung "Willi will's wissen". Weitzel besucht in St. Bonifaz seinen Freund, den Abt, und fragt Johannes Eckert Löcher in den Bauch, was es auf sich hat mit Ostern. An den Feiertagen sind die kurzen Videos auf Youtube zu sehen.

Kinder und Eltern, die damit nicht genug haben, finden auf der Bistumsseite Material für den lehrreichen Zeitvertreib. Ein Gottesdienstspiel zum Beispiel, das zur Vorbereitung der Erstkommunion entworfen wurde. Man kann einen Spielplan herunterladen und so das Mess-Ritual kennenlernen, dazu gehören diverse Ereigniskarten, die an Monopoly erinnern: "Du bekommst auf einmal einen Lachanfall. Dreh dich einmal um und lauf rückwärts um den Spieltisch oder verstecke dich für die nächste Runde unter dem Tisch!" Das klingt nach erhobenem Zeigefinger und heiligem Spaß. Aber man kann auch Karten ziehen, die den Kindern Diffiziles aufgeben, ganz ohne Worte: "Auferstehung", steht da zum Beispiel. "Versuche den Begriff pantomimisch darzustellen!"

Spaß und Freude hatten wohl auch die Kapuzinermönche von St. Anton. Zumindest klingt Pater Thomas ganz vergnügt, als er von seinem Heiligen auf der Lkw-Plane erzählt. Als er und seine vier Mitbrüder Mitte März befürchteten, womöglich die Kirche ganz zusperren zu müssen, hatten sie die Idee, den heiligen Antonius, ihren Kirchenpatron, nach draußen zu holen. Sie haben ein Bild von ihm, ein recht buntes, auf eine Lkw-Plane drucken lassen, diese an ein Gitterportal direkt am Fußweg gehängt und so die Passanten zum "Outdoor-Gebet" animiert. Und siehe da, es funktioniere, berichtet Pater Thomas. Jogger blieben stehen und hielten inne, andere lassen Kerzen da. Der erste, der stehen geblieben war, da waren sie noch mit dem Anbringen beschäftigt, war ein Obdachloser. Er habe Tränen in den Augen gehabt. "Dass gleich ein Armer gekommen ist, das hat uns berührt", sagt Pater Thomas.

Ein anderer Kapuziner, Bruder Helmut, arbeitet in der katholischen Journalistenschule gleich neben dem Kloster. Er hat sich zuletzt weniger an angehende Reporter, sondern an aktive Pfarreimitglieder gewandt. Sie haben eine Facebookgruppe gegründet, bieten Tutorials an und haben zwei Videokurse abgehalten: Wie mache ich ein Video? Einfach Grundlegendes haben sie erklärt, berichtet Bruder Helmut. Es ist die Zeit für Grundlegendes, technisch, aber auch spirituell.

Davon erzählt Harald Braun, Diakon in der evangelischen Markuskirche. Straft uns Gott? Diese Frage höre er immer wieder von Gemeindemitgliedern. Haben wir der Welt zu viel zugemutet? Hat uns Gott verlassen? "Ich glaube nicht, dass es eine Strafe Gottes ist", sagt Braun dann. Aber dass der Mensch der Natur zu viel zugemutet hat, weil er geglaubt hat, er könne alles, ja, das könne er sich schon vorstellen.

Für solchen Gedankenaustausch ist die Markuskirche jeden Tag über Mittag eine Stunde lang offen, für Gespräche mit Seelsorgern, mit Abstand, versteht sich. Die Gemeinde in der Maxvorstadt bietet eine spezielle Art der Kommunikation an, sie gehen dort neue und traditionelle Wege. Die letzten Tage haben sie unter ihren Gemeindemitgliedern gesammelt: Kleine Musikvideos, aus denen ein virtuelles Osterkonzert entstehen soll. Wer wollte, hat daheim das Lied "Bewahre uns Gott" mit einem Instrument gespielt oder gesungen, hat sich dabei aufgenommen und das Video hochgeladen. Daraus machen Digitalkundige eine Konzert-Collage, die an Ostern online stehen soll.

Da sind aber auch die Senioren, um die sich viele Menschen sorgen, weil sie in ihren Heimen keinen Besuch bekommen dürfen, zu ihrem Schutz. Diese Einsamkeit wollen die Markus-Aktiven durchbrechen, zumindest am Ostersonntag. Sie wollen, berichtet Harald Braun, zu zweit in den Innenhof des Diakonie-Seniorenheims in der Maxvorstadt kommen und den Bewohnern bei einer kleinen Andacht mit der Trompete ein kleines Konzert geben. Mit dabei sein wird das Licht, das den Christen die Hoffnung symbolisiert. "Gerade jetzt", sagt Harald Braun, "muss die Osterkerze dorthin kommen."

Informationen zu den christlichen Osteraktivitäten finden sich auf den jeweiligen Internetseiten der Gemeinden. Einen Überblick, inklusive diverser Seelsorge-Hotlines und Gottesdienstübertragungen in Fernsehen und Radio, gibt es für die Katholiken auf www.erzbistum-muenchen.de/coronavirus. Für die Protestanten auf www.corona.bayern-evangelisch.de.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4872240
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.04.2020/vewo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.