Würmtal:Gute Nachbarschaft

In Wohnhäusern, Kirchengemeinden, Stadtvierteln organisieren Freiwillige Hilfsangebote für Menschen, die Corona-Risikogruppen angehören. Die Kommunikation läuft über Infozettel, Telefon und Internet

Von ands, anna, gru, jae, ole

Kommenden Samstag sollte die große Sause steigen. Mit 60 Gästen wollte Sabrina Koch dann ihren Dreißigsten feiern. Daraus wird nichts. Stattdessen sitzt sie am Montag, ihrem eigentlichen Geburtstags-Tag, in ihrer Neuhauser Wohnung und empfängt Besucher über den Tag verteilt schichtweise in Zweier- und Dreiergruppen. Und versucht sich wacker in Gelassenheit: "Es wird ja wohl noch weitere Geburtstage geben, und das hier ist einfach die verantwortungsvollere Reaktion; schließlich hat jeder von uns Risikogruppen in der Familie." Und auch direkt in der Wohnung drüber und drunter. Deshalb wolle sie sich gar nicht erst lange mit Trübsal-Blasen aufhalten, sondern vielmehr praktische Hilfe leisten. Gemeinsam mit ihrem Freund Michael Schleich hat sie in ihrem Wohnblock einen Zettel ins Treppenhaus gehängt: "Liebe Nachbarn, sollte irgendjemand Unterstützung bei Einkäufen, Besorgungen oder Ähnlichem benötigen, aufgrund der aktuellen Situation, helfen wir gerne aus, da wir erst mal zuhause arbeiten werden." Gut 20 Wohnungen gebe es im Haus, in denen viele ältere Menschen lebten. "Für die ist es doch einfacher, was in Anspruch zu nehmen, was angeboten wird, als proaktiv zu werden", sagt die Fachfrau. Sabrina Koch ist hauptberuflich Veranstaltungs- und Innovationsmanagerin des Gründerunternehmens der TU München.

Der Katastrophenfall für Bayern war noch nicht ausgerufen, da formierten sich schon die ersten Helferbörsen in Wohnhäusern, Kirchen, Nachbarschaften. Und wie es scheint, kommen in sämtlichen Vierteln der Stadt wie im Landkreis unaufhörlich neue dazu. "Corona Support Solidarische Nachbarschaft München" (solidarischenacbarschaft@riseup.net) nennt sich über alle Quartiere verteilt eine Unterstützer-Plattform, die vermittelt zwischen Anbietenden und Hilfsbedürftigen. "Ob Einkäufe erledigen, Müll wegbringen, Atteste abholen, Gesprächs- oder Beratungsangebote je nach Können, Kinderbetreuung, Fahrrad zur Verfügung stellen, ... Hund ausführen ...", steht da zu lesen.

Würmtal: Sabrina Koch will ihren Nachbarn helfen und zum Beispiel den Einkauf übernehmen.

Sabrina Koch will ihren Nachbarn helfen und zum Beispiel den Einkauf übernehmen.

(Foto: Robert Haas)

"Wir haben anlässlich der Coronavirus- Pandemie ein Nachbarschafts-Netzwerk gegründet. Daran beteiligt sind die evangelischen sowie katholischen Gemeinden in Allach-Menzing", wird indes aus dem Norden der Stadt gemeldet. Gesucht werden noch Freiwillige, die keiner Risikogruppe angehören, explizit auch Schüler (Service-Hotline: 0157/33 78 73 08). Die Diakonie in Moosach bittet noch um Geduld, bis zum Inkrafttreten einer verlässlichen Helferstruktur. Man sei gerade dabei, sich auch technisch so aufzustellen, dass man etwas anbieten könne, sagt Uwe Reebs, Geschäftsführer der Diakonie. "Unser Problem derzeit ist, dass fast alle unsere Helfer zur Risikogruppe der über 65-Jährigen gehören", sagt Reebs. Ähnlich geht es auch vielen Kirchengemeinden in der Stadt. Auf der Homepage der Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf erfährt man, dass die Pfarrgemeinderäte von Maria Ramersdorf und St. Pius im engen Austausch miteinander stehen, wie sie den Menschen im Pfarrverband helfen können, die Unterstützung im Alltag oder in der Seelsorge benötigen. Das Ergebnis soll sich auf der eigenen Internet-Plattform finden. Bis dahin können sich Hilfesuchende ans Pfarrbüro wenden. Coronavirus hin oder her - die Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf bleibt als Raum des Gebets täglich bis 18 Uhr geöffnet, die Weihwasserkessel allerdings sind leer.

Regelrecht auf dem Weg finden sich ausgehängte Unterstützerangebote am winzigen Umsonstschrank, den es seit Kurzem an der Barbarossastraße/Ecke Hörselbergstraße in Bogenhausen gibt. Hannah Patalong, eine der drei Initiatorinnen, koordiniert das Ganze zusammen mit einem Team. Bei Versorgungsengpässen soll zügig Abhilfe geschaffen werden. Es brauche eine zentrale Anlaufstelle im Viertel, sagt die 33-Jährige.

In der katholischen Pfarrei St. Stefan in Gräfelfing werden Einkaufs- und Fahrdienste für Bürger angeboten, die zur Risikogruppe gehören und nicht mehr das Haus verlassen wollen. Betroffene können sich an Angela Beyer (089/854 46 89), Brigitte Fehenberger (089/854 71 73) oder Steffi Dirr (089/88 41 16) wenden. Die Gemeinde Gräfelfing vermittelt ebenfalls Hilfsangebote, Telefon 089/85 82 28.

Initiativen in München

Gefühlt im Stundentakt formieren sich in München neue Helferstrukturen für alle, die in der Corona-Krise Unterstützung suchen. Eine erste Auswahl:

- Nachbarschaftstreffs der QuarterM gGmbH*: Zwar wurden alle Nachbarschaftstreffs bis einschließlich 19. April geschlossen, trotzdem gibt's Unterstützung: Hotline montags bis freitags, 10 bis 16 Uhr unter 0152/04 68 87 89, für die Stadtviertel Blumenau, Arnulfpark mit Umfeld, Hirschgarten und Umfeld, Ramersdorf-Süd (Postleitzahl 81669 und 81549), Pasing (PLZ 81241), Giesing (rund um den Neuschwansteinplatz), Trudering (PLZ 81825), Altperlach und Neubaugebiet Hochäckerstraße, Parkstadt Schwabing.

- Der Verein Münchner Freiwillige - Wir helfen e.V. bietet Hilfsdienste für Risikogruppen und stellt Kontakt zu freiwilligen Helfern her: montags bis sonntags, 9 bis 18 Uhr, unter Telefon 46 13 29 83 oder über das Internet-Formular www.muenchner-freiwillige.de/besorgungen.html.

- Der Laimer Verein "deinNachbar" bietet online Fortbildung zur "Versorgung von hilfsbedürftigen Senioren"an:www.deinnachbar.de.

- "Corona-Job-Börse", ungewöhnlicher Name für eine Facebook-Gruppe. Der Social-Media-Kanal fungiert als Plattform, auf der Künstler, die derzeit kein oder nur wenig Einkommen haben, gegen Bezahlung eine Betreuung von Kindern arbeitender Eltern anbieten. Wie hoch die Vergütung ausfällt, machen die Mitglieder der Gruppe untereinander aus. Die Moderatoren erzielen nach eigenen Angaben keine Gewinne: https://www.facebook.com/groups/ 848498038909368/. Ands/ILGD

Noch hat sich bei Sabrina Koch noch niemand von nebenan gemeldet und sie um einen Botengang gebeten. Aber andere willige Helfer haben ihre Nummern schon auf den Zettel im Treppenhaus gekritzelt. "Ich glaube," sagt die 30-Jährige, "dass sich dadurch die Nachbarn mal aus ihrem Schneckenhaus trauen und einfach nebenan klingeln." Das sei für eine funktionierende Hausgemeinschaft durchaus auch förderlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: