Rituale in der Corona-Krise:Später Segen, stiller Abschied

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Taufen in der Krise: Das Coronavirus wirkt sich auf viele Rituale aus. (Foto: mauritius images)

Das Coronavirus wirkt sich nicht nur auf den Alltag aus, sondern auch auf die außergewöhnlichen Momente des Lebens - glückliche wie traurige.

Von Franziska Gerlach und Bernd Kastner

Taufen

Franziska Junge hatte immer dieses Bild im Kopf: Ein Baby, das über die Taufschale gehalten wird. Dass ihre Tochter, die Ende Juni ein Jahr alt wird, nun womöglich schon laufen kann, wenn sie in die christliche Gemeinschaft aufgenommen wird - an diese Vorstellung muss sie sich erst noch gewöhnen. "Das ist ein komisches Bild", sagt sie.

Am Ostermontag wäre Junges Tochter in der evangelisch-lutherischen Kreuzkirche in Schwabing getauft worden, doch wegen der Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus wurde die Taufe abgesagt. "Die Fastenzeit ist die klassische Taufzeit. Und der Höhepunkt ist an Ostern", sagt Pfarrer Georg Rieger, Leiter des Pfarrverbandes Laim und Pfarrer der katholischen Kirche "Zu den hl. Zwölf Aposteln", der bislang sieben Taufen absagen musste.

Allenfalls "Nottaufen" könnten noch abgehalten werden, erläutert Johannes Minkus, Sprecher der evangelisch-lutherischen Landeskirche. Diese fänden aber meist im Krankenhaus statt, etwa wenn ein Kind schwer krank zur Welt komme. Solche Nottaufen könnten auch von Ärzten oder Krankenschwestern vorgenommen werden. Auch das Erzbistum verweist auf diese "Notsituationen", in denen Pfarrer unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen noch Taufen vornehmen könnten. Auf die Salbung könne man verzichten, das Übergießen mit Wasser werde von der Taufformel getrennt, um beim Sprechen den Mindestabstand zu wahren.

In der evangelischen Kirchengemeinde St. Johannes in Haidhausen und in der Au müssen allein im April sieben Taufen entfallen. Die Eltern hätten verständnisvoll reagiert, sagt Pfarrer Peter Dölfel. "Das war für die alle klar." Stephanie Höhner, Pfarrerin in der evangelischen Himmelfahrtskirche in Sendling, hat im März bereits drei Taufen abgesagt, noch offen seien die Termine Anfang Juni. Viele Eltern hegten den Wunsch, "ihr Kind im ersten Lebensjahr sichtbar unter den Segen Gottes" zu stellen, berichtet sie. "Rund 90 Prozent aller Taufen sind Babytaufen", sagt auch Pfarrer Georg Rieger in Laim. Zumindest hierzulande. In anderen Kulturkreisen, etwa in Lateinamerika, sei es durchaus üblich, sich zur Erstkommunion taufen zu lassen.

Hochzeiten

Eigentlich hätte Dekan David Theil in den Monaten April und Mai an jedem Samstag ein Paar getraut, an manchen sogar zwei. Doch dann kam das Coronavirus. Dennoch musste der Leiter des Pfarrverbandes Altschwabing, zu dem St. Ursula und St. Sylvester gehören, bislang keine einzige Hochzeit absagen. "Die Leute sagen die Hochzeiten selbst ab, weil das Lokal abgesagt hat. Und viele verschieben gleich um ein ganzes Jahr", sagt Theil am Telefon. Das sei für die Paare natürlich "schrecklich", immerhin hätten sie sich lange darauf gefreut und Freunde und Familie eingeladen, diesen besonderen Tag gemeinsam zu feiern.

Trauungen seien derzeit nur in "akuten Notsituationen" möglich, teilt die Pressestelle des Erzbischöflichen Ordinariats mit. (Foto: mauritius images)

Nora Pianu wird zwar nicht in der Kirche heiraten, aber auch sie hat ein großes Fest geplant. Rund 60 Gäste sind zu der freien Trauung Mitte Mai eingeladen - unter ihnen auch Verwandte ihres Mannes aus Italien, wie die Haidhauserin erzählt. Abgesagt habe sie die Feier noch nicht. So langsam glaube sie aber nicht mehr daran, dass sie im Mai stattfinden kann. Pianu hat auch schon darüber nachgedacht, das Fest auf September zu verschieben. "Aber was ist, wenn es im September dann auch nicht klappt?"

Wie die Pressestelle des Erzbischöflichen Ordinariats mitteilt, seien Trauungen derzeit nur in "akuten Notsituationen" möglich. Das sei zum Beispiel der Fall, wenn einer der Partner schwer erkrankt ist, zwei Menschen aber "den sehnlichen Wunsch" hegten, sich vor Gott das Ja-Wort zu geben. Sofern das Paar mobil sei, finde die Trauung "bevorzugt" in der Kirche statt. Natürlich müsse aber auch dann "die Abstandsregelung" eingehalten werden, was bei einer Trauung allerdings kein Problem sei, "da sich nur das Brautpaar durch das Anstecken der Ringe nahekommen muss und dieses in der Regel in einem Haushalt wohnt".

Auch das Standesamt München vergibt derzeit keine neuen Termine für Eheschließungen. Wer schon einen Termin ausgemacht hat, kann diesen "zum jetzigen Zeitpunkt" wahrnehmen, wie auf der Internetseite der Stadt zu lesen ist - hat aber einige Schutzmaßnahmen zu beachten: Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, muss für die Unterschrift auf der Heiratsurkunde ein eigener Kugelschreiber mitgebracht werden, auch Trauzeugen oder Hochzeitsgäste dürfen nicht mitkommen, allenfalls ein Dolmetscher ist neben den angehenden Eheleuten und dem Standesbeamten zugelassen. Für April seien rund 290 Eheschließungen vereinbart, heißt es aus der Pressestelle des Kreisverwaltungsreferats, 15 Prozent der Paare hätten den Termin abgesagt oder verschoben.

Für den Sprecher der evangelisch-lutherischen Landeskirche, Johannes Minkus, haben die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus eindeutig zur Folge, dass Hochzeiten momentan nicht stattfinden können: "Dass Menschen in der Kirche zusammenkommen, ist derzeit nicht möglich."

Beerdigungen

Was auch immer vorgesehen ist an Veranstaltungen oder Feiern in dieser Zeit, es lässt sich irgendwie verschieben oder notfalls absagen. Nicht aber eine Beerdigung. "Der Tod fragt nicht nach dem Zeitpunkt", sagt Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg und spricht damit eine Selbstverständlichkeit aus, die in Zeiten von Corona für trauernde Angehörige besonders bitter ist. Zu deren Schmerz über den Tod kommt hinzu, dass sie unter widrigen Umständen Abschied nehmen müssen. Oder dass sie gar nicht dabei sein dürfen auf dem Friedhof.

Auch eine Beisetzung fällt unter das derzeit geltende absolute Versammlungsverbot, wie es auf der Homepage der Friedhofsverwaltung heißt, sie wird aber ausnahmsweise unter strengen Auflagen gestattet: Es finden keine Trauerfeiern mehr in den Aussegnungshallen der Friedhöfe statt. Es dürfen maximal zehn Personen, die engsten Angehörigen, ans offene Grab kommen, und auch das nur mit dem Sicherheitsabstand untereinander von eineinhalb Metern. Ihre Namen müssen vorab dem Bestattungsinstitut mitgeteilt werden. Menschen mit Fieber oder Symptomen einer Atemwegsinfektion dürfen nicht teilnehmen. Immerhin, die Trauerbegleiter, sei es eine Pfarrerin, ein Seelsorger oder jemand vom Bestattungsinstitut, dürfen zusätzlich dabei sein. Nicht mehr erlaubt ist, in einer Traueranzeige den Zeitpunkt der Bestattung anzugeben.

"Der Tod fragt nicht nach dem Zeitpunkt." (Foto: Hartmut Pöstges)

Etwa 40 Bestattungen finden durchschnittlich pro Werktag in München auf den 27 städtischen Friedhöfen statt. Das Innehalten und Verabschieden in der Aussegnungshalle fehlt jetzt, auch Requiems in Kirchen sind verboten. Für die Trauernden, so beschreibt es Elke Schwab, Pfarrerin an der evangelischen Kreuzkirche, gehe es plötzlich ganz rasch: Sie nehmen den Sarg im Freien vor der Aussegnungshalle in Empfang und folgen ihm direkt zum Grab. Blumenschmuck ist erlaubt, Weihwasser und Erde aber fehlen. Sie versuche, sagt sie, am offenen Grab ein paar persönliche Worte zu sprechen. Mehr sei nicht möglich.

Die Trauernden, so heißt es aus dem städtischen Gesundheitsreferat, akzeptierten diese Regeln, es habe noch keine Probleme gegeben. Bisher sei auch nicht zu bemerken, dass Angehörige versuchten, mit einer Feuerbestattung den Zeitpunkt des Begräbnisses hinauszuzögern, bis wieder normale Trauerfeiern möglich sind. Das würde die Stadt vor große Probleme stellen, es müssten zu viele Urnenbestattungen nachgeholt werden.

"Es ist ein anderer Abschied", sagt Nicole Rinder vom Bestattungsinstitut Aetas, und man spürt, wie leid es ihr tut. Die Trauerbegleiter versuchten, am Telefon Trost zu spenden, so gut es eben geht. Aber ein Telefonat sei nur eine Notlösung, es fühle sich oft an wie ein "technisches Gespräch" über das, was es nach dem Tod zu besprechen gibt. Beginnen Angehörige zu weinen, fehle der Blickkontakt, die Nähe. Es gelte, die Balance zwischen Reden und Schweigen zu finden. "Das fällt allen so unglaublich schwer", sagt Rinder.

Weiterhin dürfen Angehörige aber damit rechnen, dass ein Seelsorger zu ihnen nach Hause kommt, wenn jemand im Sterben liegt, sagt Weihbischof Stolberg. Katholische Geistliche spendeten auch jetzt die Sterbesakramente. Es müsse auch niemand Sorge haben, dass Pfarrer in Schutzkleidung kämen. Diese würden nur jene Mitglieder des mobilen Seelsorgeteams überziehen, die sterbende Corona-Patienten daheim besuchen sollen. "Bitte kommen Sie auf uns zu", appelliert Stolberg an trauernde Angehörige, "wir sind weiter für Sie da."

Für alle, die nicht zur Beerdigung dürfen, gibt es zumindest einen kleinen Trost, wenn auch mit den überall geltenden Einschränkungen: Der Besuch der Friedhöfe und damit auch der Gräber ist weiterhin erlaubt.

© SZ vom 28.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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