Süddeutsche Zeitung

Amtsketten:Ein Brauch, der dem Coronavirus nicht zum Opfer fällt

Wenn am Montag der neu gewählte Stadtrat zusammenkommt, wird vieles anders sein als bisher. Die Amtsketten, die OB Reiter und seine Stellvertreterin Habenschaden tragen werden, gab es allerdings schon 1818.

Von Wolfgang Görl

Nicht im Alten Rathaus, wie es seit alters her üblich ist, sondern im Deutschen Theater kommt am Montag der neu gewählte Stadtrat zur konstituierenden Sitzung zusammen, denn dort haben die 80 Ratsmitglieder genug Platz, Parteifreunde oder politische Gegner auf Distanz zu halten.

Das Coronavirus räumt auch bei diesem Ritual mit vertrauten Gepflogenheiten auf. Und doch fällt nicht alles Althergebrachte dem Erreger zum Opfer. Geblieben ist etwa der Brauch, bei dieser wichtigen Amtshandlung die Amtskette anzulegen. Nicht allein der Oberbürgermeister und seine Stellvertreter sind dazu verpflichtet, auch die Stadträtinnen und Stadträte sollen so ein Schmuckstück um den Hals tragen - oder besser gesagt: so ein Zeichen souveräner Amtsgewalt.

Die Amtskette ist beileibe keine Münchner Spezialität, auch Bürgermeister anderer Städte oder Universitätsrektoren tragen die oft aufwendig gestalteten Preziosen als Teil ihrer Amtstracht. Doch es war ein Münchner Bürgermeister, der - so zumindest ist es überliefert - als erster Rathauschef in Deutschland eine Amtskette trug. Franz de Paula Edler von Mittermayr hieß der Mann. Er amtierte von 1818 bis zu seinem Tod 1836 als Erster Münchner Bürgermeister. Am Beginn seiner Amtszeit stand das Gemeindeedikt König Maximilians I. im Jahr 1818.

Nach dem Sturz des mächtigen Ministers Maximilian von Montgelas, der eine zentralistische Politik verfolgt hatte, bekamen die Kommunen und nicht zuletzt München, das mit mehr als 200 Familien als Stadt erster Klasse galt, ein bescheidenes Recht auf Selbstverwaltung zurück. Damit war auch die Stellung der Münchner Bürgermeister aufgewertet, die "in ihrem Amte und bey allen öffentlichen Gelegenheiten" eine goldene Kette mit goldener, geprägter Medaille tragen durften.

Damals zeigten die Medaillen auf ihrer Vorderseite ein Brustbild des gerade regierenden Königs, die Rückseite zierte das große Münchner Stadtwappen von 1818. Als die Revolutionäre um Kurt Eisner im November 1918 der Monarchie den Garaus machten, hätte der König vom Medaillon eigentlich genauso verschwinden müssen wie König Ludwig III. vom Thron. Aber man wählte eine sanftere Variante, eine, die geeignet gewesen wäre, im Falle einer Rückkehr des Monarchen die Medaille ohne großen Aufwand wieder königstreu zu machen. Jedenfalls drehte man nach dem Ende der Monarchie die Medaillen einfach um. Nun glänzte das Stadtwappen auf der Vorderseite, das Konterfei des Königs prangte auf der Rückseite.

Das Schicksal dieser letzten Medaillen aus der Ära der bayerischen Monarchie, die das Bild des 1918 gestürzten Königs Ludwig III. trugen, ist in anderer Hinsicht kurios: Zwar überstanden sie Revolution und Räterepublik, und nicht einmal das NS-Regime kam auf die Idee, diese Medaillen zu ersetzen. Bis 1958 blieben sie Symbole der Amtsgewalt der Münchner Bürgermeister. Aber dann griff Oberbürgermeister Thomas Wimmer ein, ein Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn.

Ihm war aufgefallen, dass es wohl nicht mehr ganz zeitgemäß ist, einen König an die Amtskette des Bürgermeisters einer Republik zu hängen, wenn auch nur auf der Kehrseite der Medaille. Nun hätte Wimmer einfach eine neue in Auftrag geben können, und wie die übrigen historischen Medaillen auch, wäre das Ludwig-III-Exemplar ins Stadtmuseum gewandert. Aber Wimmer, der gelernte Schreiner, war ein sparsamer Mann. Er ließ die beiden alten Medaillen einschmelzen und aus ihrem Material neue gießen. Das Bild des Königs ersetzte man durch den nur halb so dekorativen Schriftzug "Landeshauptstadt München", zudem kam das große Münchner Stadtwappen von 1865 auf die Medaille.

Im Jahr 1960 war dann auch die Leidenszeit von Münchens Dritten Bürgermeistern zu Ende, die bis dahin mit der Amtskette eines ehrenamtlichen Stadtrats vorlieb nehmen mussten. Nun gewährte ihnen die Stadt eine eigene Bürgermeisterkette, und die kann sich sehen lassen: Sie ist dem historischen Vorbild von 1818 nachempfunden.

Ein gebrauchtes Geschmeide für den Neustart

Was die Amtsketten des Oberbürgermeisters und des Zweiten Bürgermeisters betreffen, sind diese noch heute die Originale aus dem Jahr 1818. OB Dieter Reiter (SPD) und seine Vize Katrin Habenschaden von den Grünen werden bei der Eröffnungssitzung am Montag also ziemlich gebrauchtes Geschmeide um den Hals tragen, solide alte Goldschmiedearbeit mit reich verzierten Gliedern. Relativ neu ist allerdings die Medaille an der Kette des Oberbürgermeisters. Diese hat der Münchner Goldschmiedemeister Albrecht Theodor Heiden, den alle Welt "Burschi" nannte, im Jahr 1980 angefertigt, allerdings im Stil des 19. Jahrhunderts. Die beiden stellvertretenden Bürgermeister müssen sich mit der Medaille von 1958 begnügen.

Auch die Stadtratsmitglieder brauchen nicht schmucklos zu Zeremonien zu schreiten. Seit 1914 haben sie eine eigene Kette. Davor war für die ehrenamtlichen Räte eine Amtstracht vorgeschrieben, bestehend aus schwarzem Frack mit seidenen Kniebundhosen, Dreispitz und einem Degen. Eigentlich schade, dass man das abgeschafft hat, man hätte beispielsweise die SPD-Fraktion gerne in seidenen Kniebundhosen gesehen. Die Stadtratsketten sind ebenfalls eine Kreation aus dem Hause Heiden, gefertigt aus 275 Gramm vergoldetem Feinsilber und 90 Zentimeter lang. Auf der Vorderseite der Medaillen ist das große Stadtwappen zu sehen, rückseitig steht "Landeshauptstadt München" geschrieben.

Alt-Oberbürgermeister wie Hans-Jochen Vogel oder Christian Ude müssen auch im Ruhestand nicht auf den gewiss erhebenden Anblick der Amtskette - Vogel hat sogar seine OB-Memoiren danach benannt - verzichten. Seit 1960 ist es üblich, den scheidenden Oberbürgermeistern eine Nachbildung ihrer goldenen Amtskette als Geschenk zu überreichen.

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SZ vom 02.05.2020/amm
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