Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Therapeuten bieten kostenloses Corona-Coaching an

Der Psychotherapeut Rainer Pieritz und seine Kollegen bieten Gespräche via Telefon oder Internet für Menschen, die Beistand suchen.

Von Sabine Buchwald

Der Psychotherapeut Rainer Pieritz ist in gewisser Weise auch ein Betroffener dieser beispiellosen Wochen. Er ist nicht krank, nicht infiziert, aber er kann nicht bei seiner Frau und Tochter sein, so wie es geplant war. Die beiden Frauen sitzen in Italien fest - und er in Bayern. Pausen zu machen sei er gewohnt, sagt Pieritz am Telefon und klingt dabei gelassen. Er sehe sich als Wanderer zwischen den Welten, als jemand, der einen ständigen Wechsel zwischen Konzentration und Entspannung lebt. "Das Virus bringt nun Ruhe in die Großstadthektik", sagt er, sich bewusst, dass durch diese ungewöhnliche Situation viele Menschen aus dem Takt und dadurch in Schwierigkeiten geraten. Sie sehnen sich nach Hilfe - nach jemandem, der sie gedanklich auf eine Spur bringt und sie dabei unterstützt, mit ihren Sorgen umzugehen.

Pieritz hat damit langjährige Erfahrung. Salopp gesagt: Es ist sein Job, im Gespräch Lösungen zu entwickeln. Manchmal macht er das mit Führungskräften großer Konzerne, manchmal mit Menschen, die privat oder beruflich eine schwere Zeit durchmachen. Die Corona-Krise verdichtet den Alltag vieler Menschen zu einem Engpass, der noch schmaler werden kann. Pieritz betrachtet diese Zeit als eine Art "Zwischenraum" für sich selbst und andere. Seit vergangener Woche bietet er nun Betroffenen kostenlose Gespräche am Telefon, über Skype oder Facetime an. Und nicht nur er allein: Mit gleichgesinnten Kolleginnen und Kollegen hat er das Initiativ-Covid-19-Team gegründet, das man über seine Webseite erreichen kann. Im Team sind etwa eine Diplom-Psychologin, eine Sozialpädagogin und ein Erlebnispädagoge, die sich alle in den vergangenen Jahren bei Pieritz zum Coach und Gestalttherapeut weitergebildet haben. "Wir können von sofort an 60 bis 80 kostenlose Coachings pro Woche anbieten und dieses Angebot bei Bedarf noch aufstocken", erklärt Pieritz.

Er selbst hat Psychologie und Philosophie studiert und war viele Jahre Lehrbeauftragter am Institut für Klinische Psychologie an der LMU. In den vergangenen 15 Jahren hat er vor allem als Coach und Trainer gearbeitet, viel in Wirtschaftsunternehmen. In Schwabing und in Prien hat er zwei Praxen. Bekannt geworden ist Pieritz mit seinen Kursen gegen Flugangst. Sich nicht durch die Angst fremdbestimmen zu lassen, das sei das Credo in diesen Kursen - und das versuche er auch beim Corona-Coaching zu vermitteln.

Einige Hilfesuchende hatte er in den vergangenen Tagen schon in der Leitung. Eine Frau etwa, die sich um eine positiv getestete Freundin, aber auch um sich selbst sehr sorgt. Sie male sich alle möglichen negativen Konsequenzen aus, habe sie ihm gestanden, erzählt Pieritz, ohne weitere Einzelheiten zu nennen, weil er als Therapeut der Schweigepflicht unterliegt. "Denken Sie den Gedanken zu Ende", rate er Menschen, bei denen solche Ängste im Kopf Karussell fahren. Am Ende stehe vielleicht das Bild vom eigenen Tod. Das mag aber auch Ruhe bedeuten, aus der man Kraft schöpfen könne. "Achtsam durchatmen, zu sich selbst kommen, sich an die Quelle der eigenen Kraft erinnern", solche Anregungen wird Pieritz Menschen geben, bei denen er Panik spürt. Vor allem will er versuchen, individuelle Lösungen zu entwickeln. Er gibt aber auch praktische Tipps. Dem infizierten Mann, der mit seiner Familie zu Hause in Quarantäne sitzt, hat er geraten "sich im wenigen Platz Platz zu schaffen". Mit einem Schild an der Tür: "Bitte nicht stören!"

Kostenloses Coaching über www.zwischenraum.org oder pieritz@zwischenraum.org

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Quelle:
SZ vom 25.03.2020
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