Süddeutsche Zeitung

Polizeistatistik:Corona bremst das Verbrechen

Seit dem Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung des Virus rückt die Polizei zu weniger Einsätzen aus. Wohnungseinbrüche und Diebstähle sind seltener gewordenen, bestimmte Verbrechen häufen sich aber.

Von Julian Hans

Wer schläft, sündigt nicht, heißt es. Zwar dürfte es nur den allerwenigstens Münchnern vergönnt gewesen sein, die Wochen des Lockdowns dornröschengleich zu verschlafen. Aber das lange Daheimsitzen hat sich zumindest angefühlt wie eine Art Winterstarre bei lauer Witterung. Der Polizei ist ebenfalls aufgefallen, dass die Sünden in diesen Wochen etwas weniger geworden sind. Jedenfalls solche Sünden, für die der Mensch einen Paragrafen ins Strafgesetzbuch geschrieben hat und derentwegen Bürger die 110 wählen.

Im Zeitraum zwischen Mitte März und Mitte Mai lag zum Beispiel die Zahl der Einsätze wegen Diebstahls im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums München um 54 Prozent unter dem Wert des gleichen Zeitraums im Vorjahr. Die Zahl der Einsätze wegen Taschendiebstählen ging gar um mehr als 80 Prozent zurück. Und die der Wohnungseinbrüche um 65 Prozent.

Eine Erklärung für dieses Phänomen liegt auf der Hand, denn wenn die Geschäfte geschlossen haben und auf den Straßen kaum Menschen unterwegs sind, kann man auch schlecht jemanden beklauen. Gelegenheit macht Diebe, sagt ein anderes Sprichwort. Umgekehrt heißt das: keine Gelegenheit - keine Diebe.

Ähnliches gilt auch für verwandte Delikte: Wenn alle die ganze Zeit zu Hause sitzen, ist ein Wohnungseinbruch keine gute Idee. Der Einbruch in ein Büro dagegen schon, dachten sich offenbar einige Vertreter des Gewerbes und verlegten ihren Tätigkeitsschwerpunkt für die Dauer, in der andere im Home-Office sitzen, auf die kurzfristig verwaisten realen Offices. Etwa um ein Viertel stieg die Zahl der Einsätze wegen Einbrüchen in Bürogebäude im Vergleich zum selben Zeitraum 2019.

Die Einsatzzahlen des Zeitraums zwischen dem 21. März und dem 13. Mai werfen natürlich nur ein Schlaglicht auf die Kriminalitätsentwicklung in der Landeshauptstadt. Die Beamten in der Leitstelle der Münchner Polizei versehen jeden Einsatz, den sie an die Streifen weitergeben, mit einem Schlagwort.

Oft stellt sich die Situation am Einsatzort ganz anders dar, als sie die Anruferin oder der Anrufer am Telefon geschildert hat. Und nicht jeder Einsatz zieht eine Anzeige nach sich. Gleichwohl geben die Einsatzzahlen einen ersten Eindruck davon, was draußen los ist. Die harten Zahlen stehen dann in der Kriminalitätsstatistik und im Sicherheitsreport, den die Polizei jedes Jahr im Frühjahr veröffentlicht.

Was viele schon gleich zu Beginn der Kontaktbeschränkungen befürchtet hatten - einen Anstieg der Gewalt in Familien - wird zumindest von den Einsatzzahlen der Polizei nicht gestützt. Die Zahl der Einsätze unter dem Stichwort "häusliche Gewalt" blieb im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Doch auch hier muss man mit der Interpretation vorsichtig sein. Möglich, dass Opfer sich erst dann Hilfe holen, wenn sie nicht mehr länger mit dem Täter eingesperrt sind.

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Quelle:
SZ vom 26.05.2020/flud
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