Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in München:Zwei Pflegestationen in München unter Quarantäne

Lesezeit: 3 min

Von Sven Loerzer, München

Trotz Besuchsverboten breitet sich das Coronavirus in immer mehr Altenpflegeheimen aus. Die Welle der Infektionen mit dem Erreger der Lungenkrankheit Covid-19 hat nicht nur das Leonhard-Henninger-Haus im Münchner Westend erfasst. In der Einrichtung, die von "Hilfe im Alter", einem Tochterunternehmen der Inneren Mission, betrieben wird, sind auf einer Station 25 von 40 Bewohnern positiv auf das Virus getestet worden. Mindestens fünf der 15 Pflegekräfte sind ebenfalls betroffen. Auch im Münchenstift-Haus Heilig Geist in Neuhausen ist erstmals ein Bewohner positiv getestet worden.

Der Mann war am Montag mit typischen Symptomen in ein Krankenhaus gebracht worden, wurde aber von der Klinik am Dienstag zurückverlegt, obwohl das Testergebnis noch nicht vorlag. Weil dieses dann aber doch eine Infektion belegte, sollten am Mittwoch alle 50 Senioren des Wohnbereichs und die dort tätigen 25 Mitarbeiter getestet werden. Der Bereich steht nun unter Quarantäne. Die Bewohner müssen in ihren Zimmern bleiben, die Mitarbeiter Schutzausrüstung und Atemschutzmasken tragen.

Die Station im Leonhard-Henninger-Haus ist inzwischen nur noch über eine Zugangsschleuse zu betreten, auch dort tragen die Mitarbeiter Schutzausrüstung. Bisher zeigen acht Bewohner leichte Anzeichen von Fieber und Erkältung, sechs von ihnen sind positiv getestet.

Um die Hochrisikogruppe der sehr alten Menschen, die zudem meist noch Vorerkrankungen haben, besser schützen zu können, fordert der Geschäftsführer der "Hilfe im Alter", Gerhard Prölß, dass alle Bewohner und Mitarbeiter von Pflegeheimen komplett auf das Virus getestet werden.

"Das wäre das Richtige", sagt auch Münchenstift-Geschäftsführer Siegfried Benker. Allerdings müsste dies regelmäßig erfolgen, "dafür bräuchten wir dringend einen Schnelltest". In München leben rund 7500 alte Menschen in Pflegeheimen.

"Für die Bewohner ist es schwierig, dass die Häuser geschlossen sind und sie keinen Besuch mehr empfangen dürfen", sagt Prölß. Dennoch bedeute dies nicht, "dass man die Häuser dicht kriegt". Angehörige und Ehrenamtliche müssen draußen bleiben, die Infektion im Leonhard-Henninger-Haus geht aber vermutlich auf einen Pflegehelfer zurück, der Anfang März zu einem Kurzbesuch in Barcelona war. Zu dem Zeitpunkt war Spanien vom Robert-Koch-Institut noch nicht als Risikogebiet eingestuft, weshalb der Mann nach der Rückkehr ganz normal den Dienst aufnahm, bis er dann zwei Wochen später wegen Husten und Fieber krankgeschrieben wurde.

Daraufhin wurden nicht nur alle Bewohner und Mitarbeiter der Station getestet. Auf Wunsch des Trägers, der in und um München zehn Häuser mit 1200 Pflegeplätzen betreibt, wurde die Untersuchung auf alle 141 Bewohner und die 102 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Leonhard-Henninger-Hauses ausgeweitet. Sie lief bis zum späten Dienstagabend, ein Ergebnis lag am Mittwoch noch nicht vor.

Die Feuerwehr lieferte Schutzmaterial für die Pflegestation im dritten Stock. Das Personal trägt nun FFP-2-Masken. Infiziertes Personal, das keine Symptome zeigt, darf nach Abstimmung mit dem Gesundheitsreferat zwar noch zur Pflege eingesetzt werden, aber nur bei ebenfalls infizierten Bewohnern. Angehörige und Betreuer der Bewohner seien informiert, zusätzlich habe man eine Seelsorge-Hotline eingerichtet, sagte Prölß.

Hausärzte schauen regelmäßig nach den Bewohnern, die Körpertemperatur wird kontrolliert. "Mir liegen die Bewohner sehr am Herzen, ich hoffe, dass sie hierbleiben können und nicht in eine Klinik verlegt werden müssen." Sorgen macht Prölß, "dass es in einem beschützenden Bereich mit dementen Bewohnern losgehen kann", dort seien Schutzmaßnahmen wie eine Separierung schwer zu vermitteln. Das ganze Haus habe sich freiwillig unter Quarantäne gestellt und einen Aufnahmestopp beschlossen.

Der städtische Träger Münchenstift, der 13 Häuser für 3000 Bewohner unterhält, hatte diese bereits für Besucher von außen geschlossen, bevor das staatlich verfügt wurde. Auch gemeinsame Fortbildungen für Mitarbeiter aus unterschiedlichen Häusern wurden gestrichen.

"Wir befinden uns im Dauerkrisenmodus", sagt Geschäftsführer Siegfried Benker. In Heilig Geist hoffe er, dass durch die ergriffenen Maßnahmen keine Neuinfektionen auftreten. Als Konsequenz würden künftig nur noch Bewohner aufgenommen, die einen negativen Test vorlegen. An Neuaufnahmen will Benker aber festhalten, "weil die Versorgung zu Hause in vielen Fällen nicht mehr funktioniert". Er forderte, für die Altenpflege ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Wenn die Pflege in den Heimen nicht zu gewährleisten sei, "haben die Krankenhäuser keine Chance, das aufzufangen".

Mund- und Atemschutzmasken habe der Münchenstift frühzeitig beschafft, wie lange der Vorrat reicht, hängt aber von der Entwicklung der Pandemie ab. Die Einkaufspreise seien explodiert, hätten 50 einfache Masken früher drei Euro gekostet, koste jetzt eine davon 1,50 Euro. Und ein Liter Desinfektionsmittel, der morgens noch für 15 Euro zu haben sei, werde mittags für 22 Euro gehandelt. "Bei den Anbietern herrscht Goldgräberstimmung, beim Geschäft mit der Not müsste der Staat eingreifen", findet Benker.

Groß sei der Zusammenhalt der Beschäftigten, es gebe nicht mehr Krankmeldungen als sonst. Vielen Pflegenden sei zudem angesichts der Kurzarbeitsankündigungen in vielen Branchen bewusst geworden, dass die Altenpflege krisensicher sei, sagt Benker.

Als einer der ersten Träger bundesweit würdigt die Münchner Arbeiterwohlfahrt den Einsatz des Personals von April an mit einer monatlichen Sonderzulage. Sie beträgt für das Pflegepersonal 300 Euro, für die übrigen Berufsgruppen in der Pflegeeinrichtung 150 und für Auszubildende 100 Euro. Diese Beträge sollen nach einer Ankündigung des Bundesfinanzministers steuerfrei bleiben.

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SZ vom 02.04.2020
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