Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise in München:Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs dauert länger

Lesezeit: 3 min

Von Andreas Schubert, München

Mehr Busse, mehr U- und Trambahnverbindungen: In den vergangenen Jahren hat die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) ihr Angebot nach und nach ausgebaut. Und auch im kommenden Jahr sollten "die Öffentlichen" wieder mehr Zuwachs bekommen. Deren Anteil am Gesamtverkehr soll bis 2030 von heute 24 auf 30 Prozent erhöht werden.

"Ein Kraftakt", wie es MVG-Sprecher Matthias Korte nennt. Doch die Pläne der MVG könnten nun ins Stocken geraten. Wegen der Corona-Krise ist aktuell noch nicht absehbar, welche Vorhaben sie bis Ende dieses Jahres verwirklichen kann.

Noch aber laufen die Planungen, demnächst kommt das neue Leistungsprogramm, das zum Fahrplanwechsel im Dezember gelten soll, in die Bezirksausschüsse. Im Juli soll dann der Stadtrat das Programm beschließen, da wird es dann vor allem um die Finanzierung gehen.

Etwa 30 Maßnahmen sind es, mit denen das Angebot verbessert werden soll. Weil der MVG aber aktuell etwa 80 Prozent Fahrgäste fehlen, sie aber ein fast vollständiges Fahrplanangebot bietet, rechnet sie mit einem Verlust für dieses Jahr in einer dreistelligen Millionenhöhe.

Zur Orientierung: Rund 5o0 Millionen Euro jährlichen Erlös erzielen die Stadtwerke als Muttergesellschaft der MVG im Verkehrsbereich - ein Großteil stammt aus Fahrgeldeinnahmen. Etwa die Hälfte dieser Einnahmen stammt aus Ticketverkäufen, die andere von Abonnements. Damit wird auch das Angebot finanziert - ein Grund, weshalb sich viele Verkehrsunternehmen und auch der Münchner Tarif- und Verkehrsverbund (MVV) zum Beispiel gegen einen kostenlosen Nahverkehr aussprechen.

Bundesweit werden die Verkehrsunternehmen voraussichtlich Verluste in Milliardenhöhe einfahren, wie Korte sagt. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dessen Präsident MVG-Chef Ingo Wortmann ist, setzt sich deshalb auf Bundes- und Landesebene für einen finanziellen Rettungsschirm ein, um die fehlenden Fahrgeldeinnahmen zu kompensieren.

Denn einerseits ist das Geld ohnehin stets knapp im laufenden Betrieb. Zusätzliche Angebote sind dann ohne Hilfen aus öffentlichen Mitteln nicht mehr finanzierbar. Dieser Forderung nach mehr öffentlichem Geld schließt sich auch der Fahrgastverband Pro Bahn an, nicht zuletzt, weil die Passagiere seiner Einschätzung nach noch längerfristig ausreichend Abstand halten müssen, um das Risiko einer Ansteckung mit Covid-19 zu minimieren.

Doch nicht nur das Geld bereitet der MVG Sorgen. Bei der U-Bahn zeigt sich, dass die eigentlich schon für Mai geplante Umstellung auf den Linien U2 und U5 sowie der Verstärkerlinie U7 auf den Dezember verschoben werden muss. Grund ist, dass wegen der Corona-Krise die Ausbildung der neuen Fahrer ins Stocken geraten ist.

Etwa 300 neue Fahrer pro Jahr benötigt die MVG für alle ihre Verkehrsmittel. Aktuell ist wegen der Abstandsregelungen kein praktischer Unterricht möglich, die MVG wartet auf eine Lieferung von Atemschutzmasken, um die Ausbildung so bald wie möglich wieder aufnehmen zu können.

20 bis 30 neue Fahrer braucht die MVG für die Taktverdichtungen bei der U-Bahn. Ein weiteres Risiko ist der potenzielle Krankenstand, sowohl bei der MVG selbst, als auch bei den Zulieferern von Ersatzteilen. Fallen zu viele Mitarbeiter im Fahrdienst und den Werkstätten aus, wird es schwierig, das Angebot auszubauen. Zu den wichtigsten geplanten Änderung im Dezember gehört ein ganztägiger Fünf-Minuten-Takt auf der U6 zwischen Großhadern und Fröttmaning - und bis 21 Uhr ein Zehn-Minuten-Takt bis Garching.

Auch bei der Tram plant die MVG dichtere Takte - allerdings nur eingeschränkt und außerhalb der Hauptverkehrszeiten. Mehr ist ohne zusätzliche Züge nicht drin. Die MVG hat allerdings bereits 73 neue bestellt, die ersten davon sollen Anfang übernächsten Jahres in Betrieb gehen.

Weitere Probleme bereiten der Tram eingeschränkte Werkstattkapazität im Betriebshof Ständlerstraße und die Sanierung der Ludwigsbrücke, derentwegen die Linie 17 kommendes Jahr unterbrochen werden muss und die wegen Engpässen am Max-Weber-Platz nach MVG-Angaben tagsüber auch nicht umgeleitet werden kann. Hier besteht nach Ansicht des Fahrgastverbands Pro Bahn Handlungsbedarf.

Was den Busverkehr angeht, so hat die MVG hier die meisten Verbesserungen vor, hauptsächlich, weil das Busnetz am schnellsten auszubauen ist. MVG-Sprecher Korte weist vor allem auf die künftig umsteigefreie Verbindung der Linie 149 vom Zamilapark bis zum Odeonsplatz hin, die auch die U 4 entlasten soll.

Um die Kapazitäten zu erweitern, will die MVG zudem einige Linien auf Busse mit Anhänger, die sogenannten Buszüge, umstellen sowie auf einigen Linien standardmäßig Gelenkbusse einführen. "Der Normalbus ist in München ein Auslaufmodell", sagt Korte. Auch das Neubaugebiet Freiham soll mit einem Zehn-Minuten-Takt der Linie 57 künftig besser erschlossen werden. Auch auf anderen Stadtbuslinien werden die Takte verdichtet.

Die Steigerung des ÖPNV am Gesamtverkehr ist Korte zufolge für die MVG eine große Herausforderung. Die Steigerung auf 30 Prozent binnen zehn Jahren verlangt eine Verdoppelung der Busflotte auf mehr als 900 Fahrzeuge. Das bedeutet, dass auch doppelt so viele Fahrer gebraucht werden.

Dazu kommt noch, dass die Infrastruktur angepasst werden muss - mit zusätzlichen Busspuren, Haltestellen und Betriebshöfen. Der neue Busbetriebshof in Moosach soll nächstes Jahr in Betrieb gehen. Bis 2026 wird es noch dauern, bis auch Tram und U-Bahn neue Betriebshöfe bekommen.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2020
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