Corona-Krise:Im Internet entsteht eine neue Form der Kunst

Eigentlich steht zurzeit das öffentliche Kulturleben still. Doch viele Künstler schließen sich auf digitalen Plattformen zusammen.

Von Isabell Nina Schirra und Rebecca Reinhard

Eigentlich sind alle Veranstaltungen abgesagt, steht das öffentliche Kulturleben still. Aber auch nur eigentlich. Denn praktisch kann man angesichts der vielen Online-Kultur-Plattformen, die zurzeit wie Pilze aus dem Boden schießen, fast in Freizeitstress verfallen. Die Clubcommission Berlin streamt jeden Abend Live-Sets berühmter DJs aus den leeren Clubs der Stadt, Max Giesinger startet mit weiteren Sängern ein Online-Festival auf Instagram, viele Bühnen präsentieren Stücke als Stream und Museen konzipieren virtuelle Rundgänge. Auch in München.

Da hatte schon vorige Woche der Veranstalter Wunderland Media um Oliver Rothstein "One München" aus dem Boden gestampft. Was mit heißer Feder als neuartige Online-Kulturplattform konzipiert ist, sollte Antwort sein auf die derzeit völlig brachliegende Kulturlandschaft - und Beschäftigungstherapie für kurzfristig arbeitslos gewordene Künstler und Medienschaffende. Zum Start trommelte man ein 35-köpfiges Team zusammen, fand mit dem Nachtclub "Call me Drella" ein Studio - und ging auf Sendung.

Es sprachen Autoren, Gastronomen und Sportler über die Auswirkungen der Corona-Krise auf ihr Metier, Sänger gaben Konzerte, ein Tanzlehrer lehrte Hip-Hop. Vor allem aber wurden Lösungsansätze zur Krise besprochen. Es gelte, mit dem eigenen Konsum "Solidarität zu beweisen" - auch finanziell. So wollen die Macher neuer Online-Plattformen vor allem auch neue Finanzierungsmodelle für die Kulturszene entwickeln und testen. Warum nicht groß angelegt und damit über die Grenzen der städtischen Kulturszene hinaus?

Genau diesen Weg wollen Fabian Rauecker und Stefan Schröder, Betreiber der Agentur "Unterhaltungsreederei", nun gehen. Aus dem Epizentrum der Münchner Kulturbranche haben sie die Plattform "#kulturretter" ins Rennen gebracht. Von diesem Donnerstag an will man täglich mindestens ein Konzert, eine Lesung, ein Theaterstück streamen. In weiser Voraussicht der nahenden Ausgangsbeschränkungen haben die Kulturretter alle beteiligten Künstler dazu angehalten, ihre Beiträge von zu Hause aus zu übermitteln. Nicht zwingend live, auch Vorproduktionen sind denkbar.

Es gehe den Kulturrettern um ein qualitatives, abwechslungsreiches Format, betont Rauecker. Alle Streams sollen kostenlos zugänglich sein, Einnahmen über Spenden generiert werden. Das Gesamtziel des vorerst bis zum 19. April geplanten Projektes sind 100 000 Euro. Aus diesem "Kulturretter-Topf" sollen nicht nur die beteiligten Künstler ihren fairen Anteil erhalten, sondern auch die Maschinerie, die hinter jedem Künstler steht: freiberufliche Techniker, Merchandiser, Tourmanager. Mit etwaigen Einnahmeüberschüssen soll ein deutschlandweiter Hilfsfond für Künstler geschaffen werden. Es gibt "keinen mehr, der für sich alleine kämpft", sagt Rauecker, "das Boot, in dem wir alle gemeinsam sitzen, wird immer größer".

Die ersten Acts, die man mit ins Kulturretter-Boot holen konnte, kamen zwar alle aus Bayern - etwa die Mundart-Rapper Dicht und Ergreifend, das Singer-Songwriterinnen-Duo Songs from her(e) oder Konstantin Wecker. Immer mehr Anfragen von Künstlern aus anderen Städten kamen hinzu. Der Frankfurter Rapper Capitano wird am 9. April beispielsweise ausschließlich für den Geldbeutel seines Tontechnikers performen. In dieser Solidarität, nicht nur von Künstler zu Tontechniker, sondern auch von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, sieht Rauecker die große Chance dieser Krise. "Das ist doch was Tolles, dass wir alle wieder mehr aufeinander gucken", sagt er. So kann auch in einer Krise etwas Gutes stecken.

One München, täglich unter www.one-muc.de, "#kulturretter", täglich eine Veranstaltung unter www.kulturretter.de

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