Coronakrise:Was man jetzt von Klostergemeinschaften lernen kann

Kloster des Heiligen Hiob von Potschajew in München, 2018

Ein Ort der Kontemplation: die Kapelle des russisch-orthodoxen Männerklosters im Stadtteil Obermenzing.

(Foto: Florian Peljak)

Rückzug, Klausur: Was die Gesellschaft in Zeiten von Corona vor große Herausforderungen stellt, gehört für die Menschen im Kloster zum Lebensalltag.

Von Jutta Czeguhn, Nicole Graner und Anita Naujokat

Das Kloster unweit der Blutenburg liegt versteckt hinter Bäumen. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges führen dort die Mönche der russisch-orthodoxen Auslandskirche ein Leben in Kontemplation. Wer die Bruderschaft vom Kloster des heiligen Hiob zum ersten Mal besucht, wähnt sich in einer anderen Welt, fernab von der Hektik des Millionenstadt-Alltags. Nun, da einer ganzen Gesellschaft - über die Osterfeiertage hinaus - eine Art Klausur verordnet ist: Wie gehen die Menschen in Münchens Klostergemeinschaften mit der schwierigen Situation um und was kann man von ihnen lernen?

"Tatsächlich ist die vom Staat verordnete Ausgangssperre nicht so verschieden von unserer Mönchs-Klausur", sagt der junge Priestermönch Hiob. "Bei uns hat jeder seine eigene Zelle, in der Kirche seinen eigenen Platz, und unsere Arbeiten verrichten wir höchstens zu zweit in einem Raum. Neu ist für uns nur, dass wir bei den Mahlzeiten größere Abstände zwischen den Stühlen halten, dass wir die Ikonen und die Hand unseres Abtes nicht mehr küssen und dass wir zu den Gottesdiensten niemanden mehr von außen hereinlassen können." Auch die russisch-orthodoxen Mönche haben also begonnen, alle ihre langen Gottesdienste live auf YouTube zu streamen. "Eine technische Herausforderung, aber nach anfänglichen Problemen läuft das ganz ordentlich", sagt Hiob.

Fragt man ihn nach dem psychologischen Aspekt der Selbstisolation, dann verweist er auf das Wort "Mönch", griechisch "monachos", das von "monas", allein, einzeln kommt. Die ersten Mönche seien Einsiedler und Asketen gewesen, die sich aus den bewohnten Gebieten in die Einöde zurückzogen. Auch in den etwas später entstandenen Gemeinschaftsklöstern sei die Ausrichtung jedes einzelnen Mönches direkt auf Gott und die beständige Annäherung zu Gott. "Soviel aber kann ich sagen, dass man als Mönch nicht allein ist, auf sich gestellt, sondern mit Gott", sagt er. Das heiße aber nicht, dass die Mönche Anfechtungen der Trägheit, Mutlosigkeit bis hin zur Depression nicht kennen. Die asketische Literatur sei voll davon, sie, aber auch der von den Vätern überlieferte Klosterrhythmus könnten dabei helfen, diese Versuchungen zu umschiffen und zu besiegen. Doch ist auch für Priestermönch Hiob klar: "Der Mensch ist ein Beziehungswesen, er braucht immer ein Gegenüber, eine Gemeinschaft, eine Ergänzung, um selbst komplett zu sein."

Kloster zum Heiligen Hiob Obermenzing

Priestermönch Hiob.

(Foto: Florian Peljak)

Konkret könne man in der gegenwärtigen Situation als Mönch den Menschen in der Welt empfehlen, der Stille, der Selbst-Reflexion, dem Gespräch mit Gott nicht aus dem Weg zu gehen, indem man sich mit Büchern, Nachrichten im Minutentakt oder sonstigem Zeitvertreib ablenkt. "Filtern Sie bewusst, was Sie für Sinneseindrücke und Informationen in welchem Maß an sich heranlassen möchten. Wir empfehlen einen geordneten Tagesablauf einzuhalten", sagt er. Die Isolation - auf Zeit - eröffne viele Möglichkeiten. "Und am Ende werden wir die sozialen und familiären Beziehungen wieder ganz neu erleben und schätzen lernen, aber vielleicht auch bewusster auswählen."

"Wir sind ein Seelsorger-Kloster. Da vermissen wir die sozialen Kontakte"

Geburtstag wird auch im Kloster gefeiert. Dieses Miteinander tut gut. Gerade jetzt. "Sehr intensiv" sei das Zusammenleben derzeit im Kloster, sagt Abt Johannes Eckert von der Benediktinerabtei St. Bonifaz in der Maxvorstadt. Wie in einer Familie. Und wenn man enger aufeinandersitze, dann nehme man die Eigenarten des anderen auch anders wahr. Aber jetzt habe man die Zeit, auch mal intensiver über so etwas zu sprechen wie auch die Sorgen. Das habe etwas Positives. Genau wie Geburtstag feiern und in Kindheitserinnerungen zu schwelgen. "Wir haben uns ausgetauscht", sagt Abt Johannes und man merkt es seiner Stimme am Telefon an, dass er schmunzeln muss, "wer welche Kinderserien angesehen hat. Und es kam uns die Idee, die vielleicht an verschiedenen Abenden zusammen anzusehen." Dabei verrät er, dass "Flipper" bei ihm ganz hoch im Kurs gestanden hat.

Und noch etwas hat der Abt seinen neun Mitbrüdern in München geraten: Das Fasten nicht mehr ganz so ernst zu nehmen. Ein Bierchen am Abend, ein Gläschen Rotwein, das tue doch gut. "Wir sind jetzt so reduziert in allem, da braucht es nicht noch mehr Reduktion."

Kloster Sankt Bonifaz in München, 2016

Abt Johannes Eckert in der Bibliothek der Benediktinerabtei St. Bonifaz, einer der größten wissenschaftlichen Privatbibliotheken in Bayern.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Stille. Eigentlich gehört sie zum Leben im Kloster dazu. Aber in letzter Zeit fehlt den Brüdern die Begegnung mit den Menschen sehr. Keine Gottesdienste, keine Begegnungen mit den Obdachlosen, keine Besucher im Biergarten des Klosters in Andechs. "Das ist einfach ein komisches Gefühl. Wir sind ein Seelsorger-Kloster. Da vermissen wir die sozialen Kontakte", sagt Abt Johannes Eckert. Die Struktur im Kloster, die Gebets- und Essenszeiten, seien aber sehr hilfreich. Und weil nach der Regel des heiligen Benedikt Nichtstun auf die Seele drücke, arbeite man bei Vielem zusammen oder schmiere eben jetzt gemeinsam die Butterbrote für die kleinen Lunch-Pakete für Bedürftige. "Das ist eine sehr schöne Erfahrung." Ein großer Schatz ist der Garten in der Münchner Abtei an der Karlstraße, für Auszeiten in der Sonne. Auch Spaziergänge zu zweit im Viertel helfen. Auch wird gerade überlegt, wie die Liturgie an den Ostertagen aussehen könnte, wie man an die Menschen zuhause herankäme. Angedacht sind Agapen mit Segensgebeten, live übertragen aus der Chorkapelle.

Bei den "Weißen Vätern" leben auch die betagten Afrikamissionare nicht abgeschottet hinter Klostermauern. Schon im aktiven Dienst waren sie selbstbestimmt mit eigenem Aufgabenbereich in vielen Ländern auf allen Kontinenten unterwegs. Diese Unabhängigkeit haben sie sich, sofern sie noch können, auch im Alter bewahrt. Der eine geht gerne spazieren, zum Sport, fotografiert oder hat andere Interessen außerhalb. Einige, wie Pater Karl Hartl, bis vor ein paar Jahren noch als Geistlicher in St. Peter aktiv, oder Pater Josef Moser, zuständig für die Seelsorge arabisch sprechender Christen, haben aus ihrem Arbeitsbereich noch einiges mitgenommen. "Das ist jetzt natürlich sehr eingeschränkt", sagt der Hausobere der Dependance in Moosach, Pater Hans Bernhard Schering.

14 Priester und zwei Laienbrüder im Alter von 76 bis 91 Jahren wohnen in dem Haus an der Feldmochinger Straße in Moosach, Pater Schering ist mit 76 der Jüngste. Landläufig sind sie als Orden bekannt, rechtlich eine religiöse Gemeinschaft. "Wir sind eher eine selbstverwaltete Seniorengemeinschaft, auch wenn wir wie in jedem Kloster eine Struktur haben, die vieles aufrecht hält", sagt Pater Schering. Moosach ist einer von drei Alterssitzen in Deutschland. Jeder habe sein eigenes Zimmer. Morgens beten sie gemeinsam Laudes, nehmen zusammen die Mahlzeiten ein, halten abends Andachten. Ihr Mittagessen erhalten sie von der Münchenstift, Frühstück und Vesper bereite zu, wer gerade könne. Das Putzen und die Wäsche besorgten zwei Frauen. "Jeder schaut nach jedem, und wenn einer Hilfe braucht, erhält er sie", sagt Pater Schering.

Was ihnen allen in der derzeitigen Situation fehle, sei der Besucherkontakt. Die ärztliche Versorgung leidet aber nicht darunter. "Wir besuchen unseren Hausarzt selbst, und wer das nicht mehr kann, wird gefahren", sagt Schering. Er selbst stammt aus dem Münsterland, war vorher 20 Jahre in Köln, bevor er vor eineinviertel Jahren nach Moosach kam. Er arbeitet immer noch als Redakteur für die Zeitschrift Kontinente, die das katholische Missionswerk Missio zusammen mit 24 weltweit tätigen katholischen Ordensgemeinschaften herausgibt. 20 Länder in Afrika hat er dafür besucht.

Weitgereiste Männer also, mit viel Lebenserfahrung, die nie mit Deutschen zusammenlebten, Jahrzehnte unterwegs einzig in englischer oder französischer Sprache. Bei der Frage nach einer Handreiche für nicht an Klausur gewöhnte Menschen ist Pater Hans Schering eher zurückhaltend. "Ratschläge sind auch immer Schläge", meint er zögernd. Vielleicht sollte man sich einmal auf das besinnen, was man sonst eher links liegenlasse, sagt er dann. "Doch auch das verlangt Übung."

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