Süddeutsche Zeitung

Krankenpastoral:Zeit für ein Gebet

Thomas Hagen baut in der Erzdiözese München und Freising eine Einsatzgruppe für Covid-19-Erkrankte auf. Die Seelsorger gehen in Altenheime, aber auch in Privatwohnungen, wenn jemand lebensbedrohlich krank ist.

Von Bernd Kastner

Wenn einer aus dem Team von Thomas Hagen gerufen wird, dann ist es ernst. Dann ist es Zeit für tröstende Worte und meist auch für den Abschied. Wer ans Bett des Patienten kommt, trägt einen gelblichen Overall und blaue Handschuhe, eine große, durchsichtige Plastikbrille und einen weißen Mund- und Nasenschutz. Es ist Zeit für ein Gebet, denn der Mensch im Bett ist am Coronavirus erkrankt.

Thomas Hagen ist in der Erzdiözese München und Freising verantwortlich für die Krankenpastoral und baut mit Andreas Müller-Cyran, dem Leiter der Krisenpastoral, die "pastorale Einsatzgruppe für Covid-19-Erkrankte" auf. 30 Seelsorgende arbeiten bereits in diesem Team. Während sich in den Kliniken die regulären Krankenhausseelsorger um die Patienten kümmern, gehen die Mitglieder der Einsatzgruppe oft in Altenheime, aber auch in Privatwohnungen, wenn jemand lebensbedrohlich krank ist.

Bald werden 30 weitere Seelsorgende hinzukommen, sie befinden sich noch in Ausbildung. So geübt sie alle sind, Krankenkommunion oder -salbung zu spenden und mit Angehörigen zu sprechen, so neu ist die aktuelle Situation. Ungefährlich ist sie auch nicht. Deshalb hat es Wochen der Vorbereitung gebraucht, ehe das Team Mitte April einsatzbereit war.

Sie mussten Hygienevorschriften lernen und darüber eine Prüfung absolvieren, berichtet Hagen. Sie müssen die Schutzausrüstung anlegen können. Und sie versuchen sich daran zu gewöhnen, ein Gebet unter einer Maske zu sprechen und überhaupt die christlichen Rituale so vorzunehmen, dass die Botschaft ankommt. Wichtig ist auch, die Kleidung nach dem Besuch richtig abzulegen: Sie könnte kontaminiert sein und muss fachgerecht entsorgt werden.

Die 60 Mitglieder der Gruppe, erzählt Thomas Hagen, haben sich freiwillig gemeldet. Sie kommen aus dem gesamten Bistum, und sie fahren in jede Stadt, jede Gemeinde. Dem Team gehören Pfarrer ebenso an wie Pastoral- und Gemeindereferenten oder Diakone, Frauen wie Männer, Junge und Ältere. Sie haben aber darauf geachtet, dass niemand mit Vorerkrankung mitmacht.

Jeder kann das Team bitten zu kommen, seien es Angehörige, Pfleger oder Ärzte. Hagens Leute fahren aber nicht sofort los, sie erkundigen sich erst am Telefon über den Patienten. Auch wenn alle im Team über professionelle Schutzkleidung verfügen, zunächst prüfen sie, ob sie telefonisch beistehen können. Wenn jemand lebensbedrohlich krank ist, dann bleiben sie natürlich nicht im Homeoffice sitzen, sagt Hagen, dann fahren sie los.

In den vielen Trockenübungen der vergangenen Wochen und den ersten Einsätzen haben sie gemerkt, dass die Schutzausrüstung das eine ist. Das Entscheidende aber sei die Haltung des Menschen unterm Plastik. Welche Worte sie oder er findet, wie es ihr und ihm gelingt, eine Verbindung zu dem sterbenden Menschen herzustellen, trotz Plastikhülle. Dem Kranken zuzuhören, eine letzte Beichte abzunehmen, die anderen im Raum oder in der Wohnung einzubeziehen, seien es Angehörige oder Mitpatienten, Pflegende oder auch Ärzte. So anders alles wirkt, der Kranke soll sich an die Hand genommen fühlen, selbst dann, wenn kein Berühren möglich ist. "Wir müssen bei den Menschen sein, die uns um sich haben wollen", sagt Thomas Hagen.

So wie neulich, es war einer der ersten Einsätze. Es hatte eine Frau angerufen, weil ihre Mutter im Altenheim lag. Die Tochter wusste, dass sie nicht mehr zur Mutter darf, es wäre zu riskant für sie gewesen. Also hat die Frau das Team der Kirche gebeten, an ihrer statt die Mutter zu besuchen, noch einmal mit ihr zu sprechen, die letzten Sakramente zu spenden und sie beim Sterben zu begleiten.

Die Einsatzgruppe ist in Notfällen rund um die Uhr erreichbar: 0151/42 40 25 12; ansonsten per E-Mail unter: einsatzgruppeseelsorge@eomuc.de.

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SZ vom 24.04.2020/vewo
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