Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie und Nachtclubs:Die Tanzfläche bleibt leer

Lesezeit: 3 min

Im Harry Klein stehen die DJs am Plattenteller und legen auf - obwohl der Elektroclub wegen der Corona-Krise gerade geschlossen ist. Die Beats gehen stattdessen per Livestream in die Wohnzimmer.

Von Laura Kaufmann

Normalerweise legen Benni Zimmer und Carl Sturm als "Sturm & Zimmer" nebeneinander auf. Heute nicht. Carl Sturm zuerst, dann Benni Zimmer. Dann der Rest des Bushbash-DJ-Kollektivs. Nur so können sie den vorgeschriebenen Mindestabstand einhalten. Es ist nicht das einzige, was anders ist an diesem Abend im Harry Klein, einem etablierten Club für elektronische Musik.

Vor der DJ-Kanzel ist ein kleines Aufnahmestudio aufgebaut. Auf den Monitoren wird das Bild produziert und kontrolliert, das rausgeht als Livestream auf verschiedenen Plattformen. An einem normalen Donnerstag würden sich hier später Körper im Beat wiegen, heute bleibt die Tanzfläche leer. So wie gestern und vorgestern, morgen und übermorgen. Dafür sollen die Leute zumindest auf ihre Bildschirme ein wenig Harry-Klein-Gefühl transportiert bekommen.

"Wir machen das, weil wir es können", sagt Inhaber Peter Süß. "Wir bieten nicht nur was für die Ohren, sondern auch für die Augen." Peter Süß sitzt mit Peter Fleming vor dem Rechner im Keller, an dem sie normalerweise Warenbestellungen und anderes Organisatorisches erledigen, arbeiten Mails ab und richten die Livestreams auf verschiedenen Plattformen ein. Es gibt allerhand zu tun für die Betreiber. Die Mitarbeiter sind auf Kurzarbeit, damit der Club überleben kann.

Mal schauen bei den Livestreams um die 100 Leute zu, bei einem sehr bekannten Act auch mal an die 1000. Das Harry Klein fasst normalerweise gut 250 Gäste. Und normalerweise zahlen diese Gäste Eintritt und kaufen Drinks. Die Livestreams sind umsonst. Die Künstler treten kostenlos auf, und auch sonst nimmt niemand Geld. Peter Fleming postet zwischendurch den "Soli-Shop", wie er es nennt, wo die Leute ein Harry-Klein-Shirt kaufen können oder auch ein "Stream-Soli-Ticket" - man kann sich das vorstellen wie einen virtuellen Hut, der während der Performance diskret durchgeht.

Das, was da reinkommt, überlassen die Harry-Klein-Betreiber den beiden Technikern, die den Livestream mit Equipment und Know-how möglich machen. Heute ist Ferdinand Olszesky da, der unter anderem den Server zur Verfügung gestellt hat. Fünf verschiedene Kameras fangen die DJ-Kanzel ein, an deren einem Ende der DJ und am anderen der VJ stehen. Der VJ, heute ist das "Vital Electronica", spielt die Videos passend zum Sound ein.

"Das Schöne ist, dass wir jetzt mit den Künstlern ganz anders ins Gespräch kommen"

Die Bilder klettern hinter den beiden über die hohen Wände, geometrische Figuren, abstrakte Schmetterlingsflügel, aufsteigende Quallen. Das VJ-Konzept ist im Harry Klein schon lange etabliert und bringt jetzt für die Livestreams eine visuelle Komponente. Olszesky kann über sein Mischpult die Perspektiven ändern, etwa beim DJ-Wechsel nur Visuals einblenden. Ansonsten läuft das ausgeklügelte System vollautomatisch und wechselt die Perspektiven mit den Beats.

Benni Zimmer ist froh um den Livestream, auch wenn er kein Geld damit verdient. "Wir können die Videos gut für uns verwenden", sagt der 22-Jährige. Für das DJ-Kollektiv Bushbash ist es wie für den Club eine Möglichkeit, mit den Fans in Verbindung zu bleiben. "Das Schöne ist, dass wir jetzt mit den Künstlern ganz anders ins Gespräch kommen", sagt Peter Süß. "Nachts ist selten Zeit dafür. Man tauscht sich aus. Ich höre mich supergern reden darüber, wie die Technoszene in den 90ern war, und manche Künstler interessiert das auch."

Es ist neun Uhr abends, seit zwei Stunden läuft der Stream. Kurzer Schockmoment zu Beginn, als das Internet zickt, aber die Premiumkundschaft beim Provider zahlt sich aus. Bricht ein Stream ab, stellt Fleming ihn sofort wieder online. Äxolotl alias Anna Do, DJane aus dem Bushbash-Kollektiv mit Retro-Fliegerbrille im Haar, wird gerade von ihm gebrieft: "Stell dir einfach vor es ist eine Clubnacht. Die Leute wollen genau das haben, was sie sonst auch kriegen." Benni Zimmer ist gleich fertig mit seinem Set. Für Äxolotl ist es der erste Livestream-Auftritt. Sie beobachtet täglich, wie mehr und mehr Streams dieser Art in ihren Newsfeeds aufploppen. "Von einem Tag auf den anderen ist da eine ganz neue Kultur aus dem Boden gesprossen", sagt die DJane.

Normalerweise geht ein guter DJ ein auf die Atmosphäre im Raum. Aber ohne Menschen ist das schwierig. Benni Zimmer ist nach seinem Auftritt trotzdem euphorisiert. Normalerweise teilt und multipliziert sich diese Euphorie mit einem mitschwingenden Publikum, doch das ist nun irgendwo da draußen hinter Bildschirmen. Aber immerhin: "Man weiß, dass Leute zuhören. Alleine deswegen macht es viel mehr Spaß".

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SZ vom 04.04.2020
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