Coronavirus in München:Der große Ladenschluss

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Um die Ausbreitung des Coronavirus abzuschwächen ist das öffentliche Leben in München eingeschränkt. Ab dem 18.03.2020 müssen in Bayern viele Läden geschlossen bleiben, Gaststätten haben nur einen eingeschränkten Betrieb. (Foto: dpa)

Am Dienstag kann man der Altstadt förmlich dabei zusehen, wie sie sich leert. Arbeitnehmer fürchten um ihren Job, kleine Läden um ihre Existenz. Wie es weitergeht, wagt keiner vorherzusagen.

Von Franz Kotteder und Christian Rost, München

"Home-Office, ich kann's nicht mehr hören!" Marion Richtsfeld sagt das und lacht ein bisschen. "Dabei bin ich jetzt dann auch daheim, wie meine Geschäftspartnerin. Da produzieren wir dann, weil Nähen und Stricken können wir ja, für die Zeit danach." Richtsfeld und Marion Marr gehört das Obacht. Hier in der Ledererstraße, unweit des Hofbräuhauses, findet man die etwas anspruchsvolleren Souvenirs: viele handgefertigte München-Erinnerungen, vom gestrickten Dackel bis zum Breznanstecker und Biergartenset. Sie kommen gut an. Normalerweise.

"Momentan sind die Leute mit den Gedanken ganz woanders", sagt Richtsfeld, "ist ja klar. Es kommt kaum noch jemand, und ab Mittwoch haben wir sowieso ganz zu." Insofern trifft sie die Verfügung der Staatsregierung zur zwangsweisen Schließung gar nicht mehr so sehr. Ist halt die Frage, wie lange das alles dauert. Mit einem schnellen Ende rechnet Marion Richtsfeld nicht: "Ich glaube eher, dass nächste Woche die Ausgangssperre ausgerufen wird." Das sagen viele, mit denen man ins Gespräch kommt.

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Man kann der Altstadt am Dienstagmittag förmlich dabei zusehen, wie sie sich leert. Dabei könnte man sich ja eigentlich vorstellen, dass die Leute die letzte Gelegenheit nutzen wollen, um einzukaufen, wie bei Galeria Kaufhof am Rotkreuzplatz. Das Geschäft mit Osterartikeln zog dort zuletzt sogar richtig an, sagt Filialgeschäftsführer Christian Lüttin. Doch von Mittwoch an haben im Wesentlichen nur noch Lebensmittelläden und Geschäfte des täglichen Bedarfs offen.

Die meisten Münchner bleiben der Innenstadt schon am Dienstag fern. Auf dem Viktualienmarkt laufen Grüppchen herum, komische Heilige mit selbst gebasteltem Mundschutz und ein paar Kunden der Gemüsestandl. Die Nordsee-Fischhalle ist nahezu leer, letzte Bestände an Matjes in Sahnesoße und irischen Felsenaustern gehen günstig über den Ladentisch. An den Schaufenstern hängen handgeschriebene Plakate, die 60 Prozent Preisnachlass versprechen, bis alles weg ist. Wann die Nordsee wieder aufmacht, ist ungewiss. Die Pressestelle antwortet nicht.

Unterwegs begegnet man Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der war "den ganzen Vormittag bei der Kabinettssitzung in der Staatskanzlei", sagt er und flachst, "so etwas wünscht man sich als Sozi eigentlich ja seit mehr als 50 Jahren". Aber dann wird er doch wieder ernst. Er sei inzwischen fast den ganzen Tag mit Corona beschäftigt. Seit Montag gibt es 99 neue Fälle in der Stadt, 359 sind es damit am Dienstag, Stand 13 Uhr, insgesamt.

An den Gastronomen soll es jedenfalls nicht liegen, wenn sich das Virus weiterverbreitet. Die meisten halten es mit Charles Schumann, der sein Bar-Restaurant am Odeonsplatz und die Tagesbar in der Maffeistraße von Mittwoch an zusperrt: "Nicht nur wegen der Gäste, auch wegen des Personals." Gregor Lemke vom Augustiner-Klosterwirt und Sprecher von fast 40 Innenstadtwirten, sagt: "Es hätte ja auch gar keinen Sinn. Unsere Mitgliedsbetriebe haben zwischen 200 und 2000 Plätze. Die für 30 Leute bis 15 Uhr aufzumachen, das rentiert sich natürlich nicht." 80 Prozent der Gaststätten in der Altstadt werden dicht machen, sagt Lemke. Er weiß nur von vier Lokalen, die mittags offen bleiben.

Die Lage sei eine "dramatisch, nie dagewesene Situation".

Unwillkürlich denkt man da an die Bilder von Geisterstädten in schlechten Kino-Western, in denen der Wind vertrocknetes Gestrüpp durch die Straßen treibt. Am Odeonsplatz ist schon am Dienstag kaum noch etwas los, die beliebte Terrasse des Tambosi fast völlig verwaist, ein einsamer Bettler spielt Klarinette. "Besame mucho", ausgerechnet, "küss' mich viel". Ganz schlechter Titel in diesen Tagen. Vielleicht wäre es besser, stattdessen zu Franz Fürst zu gehen, dem Wachszieher am Dom, und eine Kerze zu kaufen. Ging aber nur noch am Dienstag. "Natürlich, wir müssen auch zumachen", sagt Fürst, "meine drei Angestellten werden halt jetzt abarbeiten, was an Bestellungen da ist." Wie es nach 14 Tagen aussieht? Er glaubt nicht daran, dass danach alles wieder so ist wie zuvor.

Bei Claudia Slanzi im Wachszieher am Dom ließ sich kaum Kundschaft blicken. (Foto: Robert Haas)

Das befürchtet auch Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern. Spätestens Anfang April drohten die ersten Insolvenzen, sagt er. In München seien die Umsätze zuletzt um 30, 40 Prozent und mehr zurückgegangen. 30 Millionen Euro Umsatz würden täglich wegbrechen. Für den Non-Food-Bereich sei das eine "dramatische, nie dagewesene Situation". Gerade Textilhändler, die eben noch Frühjahrsware geliefert bekommen hätten und nun ohne Kunden dastünden, wüssten nicht, wie es weitergehe. Sie könnten die Rechnungen der Lieferanten nicht zahlen, die Mieten müssten beglichen werden. Ohlmann sagt: "Wenn da nicht irgendeine Form von finanzieller Soforthilfe kommt, gehen die Lichter aus."

Beim Handelsverband rufen in diesen Tagen weinende Geschäftsleute an, die um ihre Existenz fürchten. Über die Zeit retten will sich der Großteil des Handels mit Kurzarbeit. Beim Buchhändler Hugendubel wurden die Anträge für die Beschäftigten in den neun Münchner Filialen gestellt, bestätigt das Unternehmen. In ganz Bayern schließen die Filialen, 31 insgesamt, der Onlinehandel soll weiter laufen. "Wir stehen hinter dem Krisenmanagement der Regierung und respektieren die Anordnung", so Gesellschafter Maximilian Hugendubel zu den erzwungenen Maßnahmen.

"Alle betroffenen Branchen setzen auf Kurzarbeit", beobachtet Wolfgang Fischer vom Zusammenschluss der Innenstadtgeschäftsleute, City-Partner. Die Unternehmer versuchten alles, "um sich über die Zeit zu retten und ihre Mitarbeiter zu halten". Fischer bemerkt dabei, dass die Menschen zusammenrückten in der Krise. Danach müsse es schließlich weitergehen, da werde wieder in allen Bereichen händeringend Personal gesucht.

So umsichtig und vorausschauend handelt nicht jede Firma, gerade im Niedriglohnbereich ist auch von Kündigungen zu hören - etwa bei Reinigungskräften in der Hotellerie. Tanja Bublitz, die Inhaberin der Parfümerie Brückner, kritisiert das: "Ein gesundes Unternehmen gerät nicht gleich aus den Fugen." Wer jahrelang gutes Geld verdiene, müsse auch in schlechten Zeiten zu seinem Personal stehen können.

In ihrer Münchner Traditionsfirma, die immerhin 126 Jahre alt sei und 17 Mitarbeiterinnen beschäftige, müsse sich niemand Sorgen um seinen Job machen. Im Notbetrieb sollen Kunden auch weiterhin online oder telefonisch Bestellungen abgeben können, die dann verschickt werden. "Wir lassen uns nicht unterkriegen", sagt Bublitz, die allgemein zu mehr Gelassenheit rät. Die Krise zeige, dass es nicht weitergehen könne mit "immer mehr" und "immer schneller", sagt die Geschäftsfrau: "Wir müssen wieder demütiger werden."

Wie es in den großen Kaufhäusern weitergeht, wurde am Dienstag den ganzen Tag über ausgelotet. Beim Kaufhof am Rotkreuzplatz bleibt zumindest die Lebensmittelabteilung mit etwa 50 Mitarbeitern geöffnet. Skurril dabei ist, dass dieser Bereich vom übrigen Warenhausangebot mit Absperrbändern separiert werden muss, weil nur der Lebensmittelhandel von der Schließungsanordnung ausgenommen ist. Hinein kommt man durch einen Eingang in der Parkgarage.

© SZ vom 18.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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