SZ-Aktion "München bringt's":So erfinderisch reagieren Münchner Händler auf die Corona-Krise

Ob Lieferdienste oder kontaktlose Warenübergabe: Viele Händler kommen in der Krise auf gute Ideen - die SZ stellt sie vor.

Von SZ-Autoren

Der Wirt

Mit dem Lastenfahrrad zu den Gästen

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(Foto: Stephan Rumpf)

SZ: Herr Heisler, Sie betreiben zwei Kneipen, die Geyerwally und mit Tilman Ludwig das "Frisches Bier". Maximilian Heisler: Die Geyerwally haben wir vorerst eingemottet. Dort sind die Betriebskosten recht niedrig, das ist in Ordnung. Wenn es eng wird, drucken wir T-Shirts oder so. Mit dem Klingelbeutel mag ich nicht rumgehen. Im "Frisches Bier" wollten wir den vollen Kühlschrank abverkaufen, ein Trost für unsere Stammgäste, aber es lief erstaunlicherweise ziemlich gut. So entstand der Lieferservice auf dem Lastenradl. Bei den Craft-Beer-Brauereien, mit denen wir zusammenarbeiten, können wir nachbestellen. Und fünf der 15 Mitarbeiter weiterbeschäftigen, immerhin. Wir bringen den Tresen jetzt zu den Leuten. Wie haben Sie das zum Laufen gebracht? Wir sind stark in den sozialen Medien, das hilft uns sehr. Und wir geben uns Mühe, packen zu den Kisten lustige Gimmicks dazu. Mal ne Klo-Rolle, mal Comic-Plakate von einem Münchner Künstler, der jetzt wegen einer abgesagten Messe drauf sitzen geblieben ist - solche Dinge. Hat es auch Vorteile, jetzt viel an der frischen Luft unterwegs zu sein? Ehrlicherweise würde ich lieber wieder am Tresen stehen, Bier aus dem Zapfhahn trinken und mit den Leuten ratschen. Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

Die Restaurantbesitzerin

Co-Dining vom Bildschirm

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(Foto: oh)

Alleine Abendessen, das kann sehr einsam sein. Deshalb lädt Sarah Hillebrand in ihr Restaurant "togather" zum Co-Dining ein - ein gemeinsames Abendessen mit Fremden. Doch auch das togather hat vorerst geschlossen. Damit man im Münchner Single-Haushalt trotzdem nicht alleine dinieren muss, hat Hillebrand das Co-Dining ins Internet verlagert. Mittwochs um 19 Uhr kann sich jeder über einen Link zum virtuellen Esstisch hinzuschalten. Zu Beginn der kulinarischen Konferenz zeigen alle, was sie gekocht haben. So kamen vergangenen Mittwoch Bauch- und Zahlenmenschen digital zusammen, berichtet Hillebrand. Ein Dachdecker präsentierte sein Reisgericht, eine Portugiesin aß ihren Hackauflauf und vor einer weiteren Kamera schlürfte eine Wahrsagerin Kakao. "Allerdings wird ein Gespräch vor dem Bildschirm nie dasselbe sein, wie eines bei dem man jemandem in die Augen schauen kann." Deshalb hofft Sarah Hillebrand, bald wieder im togather statt vor dem Laptop Gastgeberin zu sein. Das Restaurant hatte erst im Januar eröffnet, im März musste die Gastronomin ihr Restaurant schon wieder schließen. Die 5000 Euro Soforthilfe der Regierung wären in dieser Phase ein Tropfen auf den heißen Stein. Sarah Hillebrand kann ihren Koch nur noch freitags während des Lieferservice beschäftigen. Die Gerichte fährt die Unternehmerin dann in Thermoboxen auf ihrem Fahrrad zu Kunden in der Schwanthalerhöhe und im Westend. Ob Sarah Hillebrand das togather noch mal öffnen kann, weiß sie noch nicht. Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

Der Surf Shop

Boards vom Haifisch

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(Foto: Jens Scheibe)

Wer im Santo Loco Surf Café an der Eisenmannstraße etwas bestellt, hat keinen Kontakt mehr mit den Mitarbeitern - sondern mit einem Hai. Normalerweise kommen die Kunden vorbei, um Surfbretter, Skateboards und Zubehör zu kaufen. Und normalerweise kann Inhaber Ricardo Friesen dannbeim Kauf beraten, bei der Auswahl helfen, seine Kunden kennenlernen. Manchmal trinkt er zusammen mit ihnen noch einen Cappuccino im shopeigenen Café. Nun aber ist der Ladenverkauf eingestellt, trotzdem kann man weiterhin Skateboard-Achsen und Surf-Pads bestellen - online oder telefonisch. Zur vorher vereinbarten Uhrzeit werden die bestellten Artikel dann zur Abholung vor die Ladentüre gestellt oder dem Hai, der dem Surfshop als Maskottchen dient und in Plastikform vor dem Eingang steht, in das furchteinflößendweit aufgerissene Maul gelegt. Mit der Nachfrage ist Friesen bisher zufrieden, auch wenn der durch die Online-Verkäufe erzielte Umsatz längst nicht die Verluste aus dem weggebrochenen Ladenverkauf kompensieren. Und wenn nun jemand versucht, eine Bestellung mitzunehmen, die er nicht bezahlt hat? Oder zwei Kunden gleichzeitig zum Abholen vorbeikommen und einer aus Versehen zum falschen Paket greift? Muss man dann die Rache des Raubfischs fürchten? Ricardo Friesen kann einen beruhigen. "Der Hai beißt nur die Bösen", sagt er. Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

Die Töpferin

"Mir fehlt es, dass Menschen in meinen Laden kommen"

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(Foto: Catherina Hess)

"Ich versuche, das Beste draus zu machen", sagt Petra Fischer. 1260 Grad heißt ihr Laden an der Sedanstraße, in dem es sonst handgemachtes Porzellan und Steingut zu kaufen gibt. Vergangenen Samstag haben sie Geschenktüten mit Ton vor die Türe gestellt, damit die Leute zu Hause etwas daraus formen können. "Wir brennen das gratis, wenn wir den Laden wieder öffnen dürfen. Innerhalb von zwanzig Minuten waren die 40 Tüten weg", sagt sie. Einige hätten sogar auch Gutscheine gekauft. "Davon kann ich natürlich keine Mitarbeiter bezahlen, aber immerhin." Die Rücklagen reichen für zwei, drei Monate, Soforthilfe ist bereits beantragt. "Ich habe Aufträge und darf weiter in der Werkstatt arbeiten, so bin ich abgelenkt." Es sind Aufträge von Privatpersonen und aus der Gastronomie. Aber: "Mir fehlt es, dass Menschen in meinen Laden kommen, das Feedback, die Gespräche", sagt Fischer. "Porzellan und Steingut sind Dinge, die muss man sehen und anfassen. Einen Onlineshop hatte ich nie." Natürlich kann man jetzt alles auf einer Website anschauen und bestellen. In die nähere Umgebung liefert Fischer selbst, zusammen mit Hund Lotti. "Wir sind hier sehr verwurzelt, letztes Jahr haben wir mit dem Laden 20-jähriges Jubiläum gefeiert." Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

Der Rikschafahrer

Patienten statt Touristen

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(Foto: N/A)

Schnaufend radelt Maximilian Zwez in der Frühlingssonne am Bayerischen Hof vorbei. Hinter ihm sitzt eine junge Frau mit Krücken in seiner Rikscha. Der Geschäftsführer des Lederhosen-Express fährt die Münchnerin umsonst zu ihrem Arzttermin. "Wir versuchen aus dieser Krise das Beste zu machen. Da ist Kreativität und Erfindergeist gefragt," sagt Zwez. Vor der Corona-Krise fuhren die Rikschas des Lederhosen-Express Touristen und Einheimische durch die Stadt. Seit letzter Woche unterstützt der Dienstleister Menschen bei Arztbesuchen und Einkäufen für Nachbarn. Rund 50 solcher Fahrten haben die Rikschafahrer in dieser Woche absolviert. In den meisten Fällen durften sich die Radltaxis über ein Trinkgeld freuen.An den Osterfeiertagen wird der Lederhosen-Express zum Spendenradl, Lebensmittel von der Großmarkthalle zur Münchner Tafel. Doch nicht nur Zusammenhalten, auch Flexibilität ist derzeit gefragt. Mitte März begannen die Zwillingsbrüder Maximilian und Alexander einen Lieferservice aufzubauen. Seitdem holen die Rikschafahrer Speisen bei Restaurants für Privatpersonen ab oder liefern Waren der Hofpfisterei aus. Denn statt drei Touristen passen auch locker 40 Brote in die Rikscha. Trotz allem rechnen die Brüder mit mindestens 60 Prozent Gewinneinbußen durch die Krise. Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

Der Friseur

Rettung fürs Haupthaar

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(Foto: Stephan Rumpf)

Manche mögen sagen, so lange man außer zum Einkaufen nicht mehr aus dem Haus muss, ist der Zustand auf dem eigenen Kopf relativ egal. Seit zwei Wochen ruhen deshalb auch im Friseursalon Louise & Fred am Oberanger die Scheren. Friseurgeschäfte gehören laut Bundesregierung nicht zu den Läden des täglichen Bedarfs, weshalb auch die Mitarbeiter des Münchner Salons im Moment keine Kundschaft empfangen dürfen. Doch wer im eigenen zu Hause akute Haarprobleme hat, kann sich trotzdem an das Team von Louise & Fred wenden. Über ihre Social-Media-Kanäle bewerben die Friseure ihre "Rettungspakete", die man per Whatsapp bestellen kann und die die Mitarbeiter dann persönlich vorbeibringen, natürlich per Ablage im gebührenden Sicherheitsabstand. Welche Haarnöte kann man eigenhändig lindern? Zum Beispiel das Herausnehmen einer Haarverlängerung, auf die das Team von Louise & Fred unter anderem spezialisiert ist. Anleitung und Lösemittel kommen per Paket, dann darf der Kunde selber ran, bevor die Strähnen auf dem Kopf verfilzen. Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

Der Schnitzelverkäufer

Hilfe von Freunden und Gästen

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(Foto: Stephan Rumpf)

Martin Süß, Inhaber des Süßmund an der Westermühlstraße im Glockenbachviertel: "Durch glückliche Umstände haben wir schnell reagieren können, als die Ausgangsbeschränkungen in Kraft getreten sind. Ein Gast von uns arbeitet eigentlich als Flugbegleiter und hatte deshalb nun viel freie Zeit, um für uns die Internetseite bleibdahoam.de zu basteln. Hier können unsere Kunden bestellen und das Essen dann abholen oder sich liefern lassen. Freunde von uns kümmern sich zusätzlich um Werbung bei Instagram. Seit sechs Jahren sind wir mit dem Süßmund mittlerweile im Glockenbachviertel. Es gibt hier eine sehr rührende Solidaritätswelle, viele Nachbarn wollen uns helfen. Das ist schon ein Wahnsinnsgefühl. Unsere Gäste nehmen unser neues Angebot bisher gut an. Wir haben immer schon eine kleine Speisekarte gehabt, weil wir alles frisch kochen. Jetzt bieten wir vier Hauptgänge an. So können wir eine gute Qualität halten, auch wenn die Leute unsere Mahlzeiten aus einer Pappschachtel essen müssen. Wir sind ein kleiner Laden mit normal 30 Sitzplätzen. Ich denke, wir tun uns gerade leichter als die großen Restaurants, bei denen immer gleich eine riesige Maschinerie anlaufen muss." Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

Der Buchhändler

Bücher per Bote

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(Foto: Catherina Hess)

Seit mehr als 100 Jahren gibt es die Buchhandlung Rau, schon Werner Raus Großvater verkaufte Bücher. Irgendwann wurde die Firma umbenannt, seitdem heißt der Laden an der Theresienstraße, hinter der Technischen Universität, nach Raus Vater: Buchhandlung Karl Rau. Sie haben das Geschäft durch allerhand schwierige Zeiten manövriert, aber das, womit Werner Rau, 67, jetzt zu kämpfen hat, ist dann doch noch einmal etwas ganz anderes: Corona. Buchhandlungen gehören nicht zu den "systemrelevanten" Geschäften, und so musste Werner Rau den Laden schließen, der sich als Fachbuchhandlung auf Architektur und Technik spezialisiert hat. Zum Glück hat er einen Onlineshop, der "zunehmend gern genutzt wird", wie er sagt, und in dem sich auch alle anderen Bücher bestellen lassen: Belletristik, Sachbücher, Kinderbücher - Bastelbücher seien gerade zum Beispiel ziemlich gefragt. Geliefert wird per Versand, es gibt auch einen Botendienst. Der ruft vorher an und fragt, wann er die Bestellung am besten vor der Wohnungstür ablegen kann. Das Hauptgeschäft ist schon länger der Versand, die aktuelle Situation sei deshalb nicht existenzdrohend für ihn, sagt Rau. Den Verlust könnten aber auch die 9000 Euro Soforthilfe freilich nicht auffangen. Zum Projekt "München bringt's": sz.de/muenchen-bringts

© SZ vom 4.4.2020/mest/lka/cku/radin/lfr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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