Corona-Infektion:Dem Terror entflohen, dem Virus erlegen

Corona-Infektion: Von Tag zu Tag verschlechterte sich in der Unterkunft an der Aschauer Straße Mirkan K.s Zustand.

Von Tag zu Tag verschlechterte sich in der Unterkunft an der Aschauer Straße Mirkan K.s Zustand.

(Foto: Robert Haas)

In einer staatlichen Unterkunft erkrankt ein Mann schwer an Covid-19, ins Krankenhaus kommt er aber erst nach Tagen - und stirbt. Der Fall aus München wirft Fragen auf.

Von Thomas Anlauf

Er ist der Mörderbande entkommen, die ihn töten wollte. Zwei Mal entging Mirkan K. Anschlägen der Terrormiliz des IS, dann floh er aus Afghanistan. Er schaffte es nach München, baute sich ein neues Leben auf, lernte deutsch und war angestellt in einer Konditorei. Seiner Familie schickte Mirkan K. monatlich alles Ersparte; sechs Kinder hatte er in seiner alten Heimat. Dann erstachen Terroristen einen seiner Brüder und dessen Familie, das Haus wurde angezündet. Fast wäre K. daran zerbrochen. Doch abermals kämpfte er sich zurück ins Leben.

Vor einer Woche ist der 35-Jährige im Klinikum rechts der Isar an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben. Seither fragen sich Bekannte des Mannes und der Münchner Flüchtlingsrat: Hätte sein Tod verhindert werden können, wenn ihm rechtzeitig geholfen worden wäre? Angesteckt hat sich Mirkan K., der eigentlich anders heißt, wohl in der Giesinger Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete, in der er seit Herbst 2015 lebte. Als er am 3. April plötzlich Kopfschmerzen, Halsweh und Fieber bekam, telefonierte er mit einer ehrenamtlichen Helferin, die ihn seit fünf Jahren kannte, und erzählte ihr davon.

Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Zwei Tage später rief ein Neffe K.s bei der Betreuerin an, er lebt in einer Unterkunft für junge Geflüchtete, und bat um Hilfe. Seinem Onkel gehe es sehr schlecht. Ein Arzt, den Mirkan K. angerufen habe, habe nur nach Alter und Vorerkrankungen gefragt. Auf den Hinweis, in der Unterkunft gebe es bereits einen an Covid-19 erkrankten Mitbewohner, habe der Mediziner nicht reagiert. Andere Hilfe vor Ort habe K. nicht bekommen.

Die Caritas, die in der staatlichen Unterkunft an der Aschauer Straße Asylsozialberatung anbietet, hat ihre Mitarbeiter Ende März wegen der Corona-Krise abgezogen - was vom Innenministerium grundsätzlich so vorgesehen ist. Andere Wohlfahrtsverbände wie die Innere Mission hatten jedoch umgehend Ausnahmegenehmigungen beantragt und erhalten, um Geflüchtete weiter eng betreuen zu können.

Die Caritas betont, die Mitarbeiterin habe K. "sehr eng betreut", allerdings telefonisch. Sie habe, so heißt es auf SZ-Anfrage, "umgehend Kontakt mit dem Bewohner aufgenommen, als sie erfuhr, dass es ihm nicht so gut geht und er Symptome zeigt". Der Bereitschaftsdienst sei Anfang April informiert worden und der Erkrankte zum Test angemeldet worden. Getestet wurde Mirkan K. dann am 7. April, das Ergebnis lag am 10. April vor - positiv. Doch bis dahin hatte sich sein Gesundheitszustand so verschlechtert, dass er mit dem Notarzt in die Klinik gebracht werden musste. Dort verloren die Ärzte den Kampf gegen das Virus. Am 26. April starb der 35-Jährige.

Der Fall wirft Fragen auf. In den Flüchtlingsunterkünften der Stadt etwa existiert nach wie vor eine persönliche Asylsozialberatung, auch die Caritas schickt ihre Mitarbeiter dort noch zu den Bewohnern. Sozialreferentin Dorothee Schiwy hatte sich bereits am 1. April an die Regierung von Oberbayern gewandt und sie schriftlich aufgefordert, den Zugang für die Betreuer auch in staatlichen Unterkünften wieder zu ermöglichen. Deren Anwesenheit habe "gerade in der vorherrschenden Krisensituation eine sehr hohe Priorität", teilt das Sozialreferat mit. Die Mitarbeiter der städtischen Unterkünfte sowie der Wachdienst seien "aufmerksam, um mögliche Covid-19-Verdachtsfälle schnell zu erkennen und ärztliche Unterstützung zu organisieren". Die Stadt habe seit Ausbruch der Pandemie in München alle Einrichtungen 24 Stunden durch Verwaltung und Wachdienst besetzt. Infizierte würden in geschützte Bereiche oder andere Gebäude verlegt. Die staatliche Funkkaserne wurde ausschließlich mit bereits infizierten Menschen belegt.

Eine solche Isolation hat es in der von der Regierung geführten Unterkunft an der Aschauer Straße offenbar nicht gegeben. Der Mitbewohner von Mirkan K. soll bis zum Zeitpunkt, als K. mit dem Notarzt ins Krankenhaus kam, mit ihm in einem Zimmer gewesen sein. Auch er habe Symptome gezeigt, berichtet die Helferin und beruft sich auf ein Telefonat mit K.

Das bayerische Innenministerium verweist darauf, dass die für die staatlichen Unterkünfte zuständigen Regierungen Maßnahmen getroffen hätten, "um die Belegung in den Unterkünften zu entzerren. Dies gilt sowohl für die Unterkunftsgebäude als auch für einzelne Zimmer". Zudem würden seit 27. Februar alle Neuzugänge und Asylbewerber, die am 30. Januar oder danach angekommen sind, verdachtsunabhängig getestet, ebenso Bewohner sowie Personal mit typischen Symptomen. Stand Ende April gab es 704 Geflüchtete, die in einer Asylunterkunft positiv getestet wurden, 186 von ihnen sind laut Ministerium wieder genesen. Zwei Menschen starben, Mirkan K. ist einer von ihnen.

Ob er eine Vorerkrankung hatte, soll eine Obduktion ergeben, am Dienstag soll Mirkan K. in kleinem Kreis unter Hygieneschutzmaßnahmen bestattet werden. Für die Beerdigung haben Mitbewohner und Bekannte aus der afghanischen Gemeinschaft Geld gesammelt, das Erzbischöfliche Ordinariat hat angeblich eine größere Summe zur Verfügung gestellt, auch Mitarbeiter der Caritas sollen gespendet haben. In einer Mitteilung heißt es: "Die Caritas bedauert den Tod dieses Asylbewerbers zutiefst."

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