Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel und Coronavirus:"Für die Mitarbeiter ist das neu, für uns Chefs ist das neu"

  • Der Münchner Einzelhandel wird von der Corona-Krise hart getroffen. Fast alle Läden in der Fußgängerzone haben geschlossen, der Umsatzrückgang ist dramatisch.
  • Die Chefs von fünf großen Traditionshäusern haben nun über das weitere Vorgehen beraten.
  • Die meisten ihrer Beschäftigten sind in Kurzarbeit - und die Unterstützung durch die Politik zwingend notwendig.

Von Ingrid Fuchs

Etwa 750 Jahre Erfahrung kommen zusammen, wenn sich die Chefs von fünf großen Münchner Traditionshäusern treffen. Sie tun das regelmäßig. In normalen Zeiten tauschen sie sich darüber aus, wie sie zum Beispiel mehr Menschen, mehr potenzielle Kunden in die Innenstadt locken können oder wie es in der gemeinsamen Akademie für Auszubildende läuft.

Aber die Zeiten sind ja nicht normal. Die Stadt meldet erste Auszahlungen der "Soforthilfe Corona" an kleine und mittelständische Unternehmen. Die bayerische Staatsregierung verdoppelt ihr Corona-Hilfspaket für die Wirtschaft und das Gesundheitswesen auf 20 Milliarden Euro. Der Bundesrat schnürt weitere Milliarden-Pakete und diskutiert, wie das Geld so schnell wie möglich zu denen kommt, die es brauchen - bevor sie Insolvenz anmelden müssen.

Im fast menschenleeren Kustermann-Haus am ebenso verwaisten Viktualienmarkt sitzen am späten Nachmittag Flori Schuster von Sport Schuster, Nina Hugendubel, Frank Troch von Hirmer und Caspar-Friedrich Brauckmann von Kustermann beisammen; normalerweise ist auch Robert Waloßek von Bettenrid dabei. Fünf Geschäftsführer, die ihre eigenen Unternehmen leiten, teils in fünfter Generation. Und jetzt? Corona-Krisentagung?

Alle fünf Häuser haben ihre Mitarbeiter - mehr als 1000 haben sie zusammen in München - überwiegend in Kurzarbeit geschickt. Nur Abteilungen, die Grundfunktionen erfüllen, sind noch im Einsatz. Bei Kustermann sind das Personalabteilung, Buchhaltung, Marketing und Menschen, die beispielsweise den Laden umbauen - auf die Post-Corona-Zeit will man natürlich vorbereitet sein.

"Wir wollen mit allen unseren Mitarbeitern durch diese Krise gehen und auch mit allen unseren Mitarbeitern wieder rauskommen", sagt Kustermann-Geschäftsführer Brauckmann. Etwa zehn Prozent der 180 Beschäftigten seien noch im Einsatz, soweit es geht im Home-Office. Die Stimmung in der Belegschaft sei ausgesprochen gut, sagt Brauckmann, es gebe tägliche Lageberichte, viele würden anbieten zu helfen, wo es nur geht.

Das bestätigen auch die anderen Geschäftsführer. "Bei uns im Haus herrscht ein extrem hohes Maß an Solidarität", sagt Flori Schuster, der zwei Tische von Brauckmann entfernt sitzt. Sie haben einen großen Raum für das Treffen gewählt, um Distanz zu wahren, obwohl sie doch mehr denn je zusammenstehen wollen.

Man habe zwei Weltkriege überstanden, sagt der Kustermann-Chef, da würde man auch Corona schaffen

Sport Schuster hat auf seiner Homepage auf die aktuelle Lage reagiert, dort erfahren Kunden, dass sie in nächster Zeit kostenlos bestellen können und das Rückgaberecht auf 100 Tage verlängert wurde. Der Telefon-Beratungsdienst wurde aufgestockt, Abteilungsleiter stehen täglich zur Verfügung. Ein Ausgleich für "echte" Kundschaft ist das nicht. An normalen Samstagen laufen Tausende Menschen durch die Fußgängerzone und streifen durch die Geschäfte.

Manches immerhin entwickle sich nun schneller: Binnen weniger Tage sei bei Hirmer eine Videoberatung für Kunden zum Laufen gebracht worden, erzählt Frank Troch. Man arbeite viel über Telefon- oder Videokonferenzen, probiere Neues aus. Strukturen würden angepasst, die Lohnbuchhaltung etwa musste sich erst das Programm besorgen, mit dem Kurzarbeit verwaltet werden kann. "Für die Mitarbeiter ist das neu, für uns Chefs ist das neu", sagt Troch. Bei Hugendubel gab es schon vor Corona einen Online-Shop, das Geschäft im Internet macht aber nur einen Bruchteil aus. Der Umsatz sei "eher wie bei einer großen Filiale, und jetzt ist sie gerade ein bisschen größer", sagt Nina Hugendubel, "aber es ist eine von deutschlandweit 250 Filialen". Der Bereich sei voll ausgelastet, alle arbeiteten im Home-Office - mehr Sorgen machen ihr Lieferketten und Logistik, auch da stünden alle unter Druck.

Hugendubel bringt als einzige in der Runde Krisenerfahrung für eine solche Situation mit. Im Jahr 2002, bevor sie selbst Geschäftsführerin war, meldete das Unternehmen schon einmal Kurzarbeit an. Und zwölf Jahre später fürchtete man, in den Insolvenzstrudel des Weltbild-Verlags zu geraten, mit dem Hugendubel über eine Holding verbunden war. Jetzt profitieren die anderen davon, können ein paar Fragen loswerden.

"Wir haben ab Tag eins Kurzarbeit eingereicht und sind schon länger mit den Hausbanken in Gesprächen, die noch gezwungen sind, in ihren bisherigen Strukturen und Rahmenbedingungen zu arbeiten", sagt Hugendubel. Wer einen Kredit bei der bundeseigenen Förderbank KfW oder den Landesförderbanken will, muss das über die eigene Bank tun, "Hausbankprinzip" nennt sich das. Was dabei schieflaufen kann, davon gibt es viele Beispiele. Anträge, die zu früh gestellt und abgelehnt werden. Unterlagen, die auf Papier zugestellt werden und den Bank-Mitarbeiter im Home-Office nicht erreichen. Verzögerungen, die kleine Unternehmen die Existenz kosten können. Davor haben die fünf Familienunternehmer keine Angst, sie geben sich zuversichtlich und ein bisschen trotzig.

"In unseren Genen steckt nicht drin, dass wir uns zurücklehnen und eine bedauernswerte Beschreibung der Situation machen", sagt Kustermann-Geschäftsführer Brauckmann. Unterstützung brauche es in dieser besonderen Lage allerdings schon. In einem offenen Brief haben sie sich an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gewandt. Weniger Bürokratie und mehr Flexibilität fordern sie von Staat und Stadt, das würden sicher auch andere Unternehmer unterschreiben.

Was sie derzeit zwischen Stachus und Marienplatz erleben, ist für Einzelhändler ein Horrorszenario: Die Fußgängerzone ist leer. Man kann gar keinen Abstand halten - zu wem denn? Vor den Läden sind Gitter heruntergelassen, die Kirche St. Michael in der Neuhauser Straße hat zwar noch offen, in Scharen sollten die Menschen da aber bitteschön nicht hinein. Das Jagd- und Fischereimuseum verkündet die vorübergehende Schließung in vier Sprachen, Touristen sind allerdings sowieso keine mehr unterwegs. Auch das Rathaus hat für Besucher dichtgemacht.

Nicht ganz so schlimm, aber ähnlich stellen sich die Geschäftsführer die Fußgängerzone vor, sollte nur noch im Internet eingekauft werden. Aber das können die Münchnerinnen und Münchner nach Ausgangsbeschränkung und Corona-Krise ja beeinflussen. Für kleine Händler ist das überlebensnotwendig, sofern es sie da noch gibt. Und für die Platzhirsche? "Wir haben schon zwei Weltkriege überstanden, wir überstehen auch die Corona-Krise", sagt Brauckmann.

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SZ vom 28.03.2020/lfr
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