Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in München:Beschränkter Ausgang

Die Münchner wollen raus in die Frühlingssonne. Sie versuchen zwar, Abstand zu halten, aber auf den Radwegen herrscht Stau. Und an der Isar schickt die Polizei die Menschen per Lautsprecher-Durchsage nach Hause.

Reportage von Thomas Hummel

Ein grün-weißer Einsatzwagen parkt auf dem Feldweg zwischen Reichenbach- und Wittelsbacherbrücke, zwei Polizisten eines "Kommunikationsteams" steigen aus und diskutieren mit einem jungen Paar, das direkt neben der Isar im Gras liegt. Sie müssen den schönen Sonnenplatz verlassen. Die Beamten gehen rüber zu einem Fußballplatz, auf dem ein Vater mit seinen zwei Söhnen bolzt - und erklären ihnen, dass sie sich bitteschön nicht länger hier aufhalten dürfen.

Später Samstagnachmittag in München. Die Polizisten sind, wie die Kollegen von der Parkaufsicht und Mitarbeiter des Kreisverwaltungsreferats, seit Stunden damit beschäftigt, den Münchnern die Regeln der sogenannten Ausgangsbeschränkung nahe zu bringen. Keine leichte Aufgabe: Der Isar-Abschnitt ist ein Zentrum des Münchner Freizeitbetriebs, er liegt mitten in der Stadt, grenzt an die hippen Gärtnerplatz- und Glockenbachviertel, an die Au, das Lehel. Und ist der Tag nicht zu schön, um daheim zu sitzen, bei mehr als 20 Grad in der Sonne, die von einem wolkenlosen Himmel strahlt? Nicht einmal die üblichen Kondensstreifen der Flugzeuge sind zu sehen, weil ja keine Flugzeuge mehr fliegen.

Wer den vorgeschriebenen Mindestabstand nicht einhält, muss mit 150 Euro Strafe rechnen

Es macht hier fast den Eindruck, als wäre es ein ganz normaler Samstag, so viele Menschen sind unterwegs. Eine Polizeistreife fährt auf der Isar-Promenade entlang und fordert die Leute per Durchsage auf, nach Hause zu gehen. Ein Beamter erklärt der SZ: "Das Infektionsrisiko ist einfach zu groß, wenn Gruppen herumsitzen. Die Leute sagen zwar, sie halten 1,50 Meter Abstand, aber dann reicht man sich doch die Flasche Bier aus dem Kasten oder gerät sonstwie näher aneinander, und wenn einer infiziert ist, hat am Ende die ganze Gruppe das Virus." Eine Strafe - es drohen satte 150 Euro - hat der Beamte zu dem Zeitpunkt aber noch nicht aussprechen müssen. Gutes Zureden reiche.

Es ist das zweite Wochenende in einem ausgangsbeschränkten München. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, hat die bayerische Staatsregierung angeordnet, zu Hause zu bleiben. Nur mit triftigem Grund darf man noch vor die Tür, zur Arbeit etwa oder zum Einkaufen. Zudem sind Sport, Spazierengehen und Bewegung an der frischen Luft gestattet, "allerdings nur alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung", wie es in der Anordnung heißt. Die Regierung bittet darum, Abstand zu fremden Personen zu halten. Ein längerer Aufenthalt im Park? "Nein. Das ist nicht erlaubt. Bitte gehen Sie zügig wieder nach Hause."

Nach Einschätzung der Virologen ist die Gefahr, sich an der frischen Luft mit einem Virus anzustecken, ziemlich gering. Zwar atmen Infizierte Viren aus, sie können dann in Aerosolen kurz in der Luft schweben. Doch sie fallen schnell zu Boden, Wind und UV-Strahlung vertreiben sie. Auch deshalb will die Staatsregierung den Menschen nicht das Rausgehen verbieten.

Nach einer Woche mit einem eisigen Ostwind hatten Meteorologen für München einen herrlichen Frühlings-Samstag vorhergesagt. Sie hatten recht. Und damit bewahrheitet sich auch die Befürchtung der Behörden: Das schöne Wetter treibt die Menschen in der 1,5-Millionen-Stadt aus ihren Wohnungen. Kann das gut gehen? Werden sich alle an die Regeln halten? Um 16.48 Uhr twittert die Polizei: "Aktuell stellen wir fest, dass es in den Münchner Parks und an der Isar ziemlich zugeht. Aus diesem Grund nochmals die dringende Bitte an Euch. #Bleibtzuhause Achtet auf den Mindestabstand von 1,5 Meter." Bis Sonntagmorgen um 6 Uhr führten die Einsatzkräfte der Polizei im Stadtgebiet sowie dem Landkreis München mehr als 7000 Kontrollen durch. Dabei haben sie 344 Verstöße angezeigt, von denen allein 324 die Ausgangsbeschränkungen betreffen.

Der Wochenendstau herrscht nun auf den Radwegen

Die üblichen Ausflüge in Richtung Süden an die Seen bleiben weitgehend aus. Wo sich sonst am Samstagnachmittag der Rückreiseverkehr staut, sind die Autobahnen fast leer. Es ist so viel Platz auf den Straßen, dass die Autofahrer Sicherheitsabstand einhalten. Der Wochenendstau herrscht dafür woanders: auf den Fahrradwegen. Zu viele Radfahrer sind in der Stadt unterwegs, die Infrastruktur ist teilweise überlastet. Vorne fährt der Vater mit dem Kinderanhänger, dahinter drängeln sich ein Dutzend Radfahrer, weil niemand überholen kann. 1,50 Meter Abstand? Vielleicht.

Auf der beliebten Radfahrer-Strecke im Perlacher Forst zur "Kugler Alm" tummeln sich Hunderte, wenn nicht Tausende Radfahrer. Der Weg führt schnurgerade und asphaltiert durch den Wald. Vom kleinen Laufradler bis zum Rennradfahrer ist alles dabei, die Strecke wirkt wie eine Autobahn der Radler. Bei einigen Überholmanövern ist die Unfallgefahr vermutlich höher als die Ansteckungsgefahr. Der Biergarten ist leer, dafür sitzen die Menschen auf umgefallen Baumstämmen oder im Gras.

Trotz der Menge an Fußgängern, Joggern oder Radfahrern gehen die Menschen behutsam miteinander um. Es scheint, als würden die Münchner das übliche Gemotze und Gestänkere im Verkehr vorübergehend einstellen. Es gibt jetzt Wichtigeres. Die allermeisten bemühen sich, den Abstand zu anderen einzuhalten, auch wenn das im allgemeinen Gewusel nicht immer leicht ist. Fast so, als wollen sie so diszipliniert sein wie nötig, aber so viel Freiheit genießen wie möglich.

Freiheit genug gäbe es in der Innenstadt. Die Fußgängerzone in der Neuhauser Straße ist menschenleer, nur wenige schlendern durch die verwaiste Einkaufsmeile. Die Geschäfte sind zu, die Wirtshäuser auch, kein Straßenmusikant weit und breit. Die Tauben stürzen sich auf die wenigen Brösel. Am Stachus sitzen vereinzelt Leute auf den Steinen um den Brunnen, ein Mann mit zerzaustem Bart und zerfledderter Hose sucht in den Mülleimern nach Pfandflaschen, findet aber nur eine. Es ist so still, dass es in den Ohren dröhnt. Dabei ist dieser Platz für die Münchner ein Symbol für Überfüllung, wenn sich irgendwo auf der Welt zu viele Leute tummeln, sagen sie: "Hier geht's zu wie am Stachus!"

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