Corona-Krise in Bayern:Stille Stadt

Coronavirus - In München herrscht nun eine Ausgangsbeschränkung - der Odeonsplatz ist menschenleer

Der Odeonsplatz mit der beleuchteten Theatinerkirche ist wie ausgestorben - schon eine Stunde vor Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkung.

(Foto: dpa)

Wegen des Coronavirus sollen die Münchner daheim bleiben, daran erinnern Lautsprecherwagen das ganze Wochenende über. Sonst beliebte Plätze wirken gespenstisch leer. Als die Sonne sich zeigt, streben doch viele nach draußen.

Von Philipp Crone

Auf den ersten Blick ist alles wie immer, auf den zweiten vieles anders. Ob am Freitagnacht um Mitternacht, am verregneten Samstag in der Innenstadt oder am Sonntag im sonnigen Englischen Garten oder an der Isar.

Es ist ein Wochenende, an dem zu spüren ist, wie alle nach der richtigen Einstellung zu dieser Zeit suchen, nach dem richtigen Umgang. Es ist ein Wochenende irgendwo zwischen Abenteuer, Angst, Argwohn und Annäherung.

Die gute Nachricht klingt am Anfang wie ein zartes Knistern. Am Freitagabend um 22.29 Uhr fallen in der Innenstadt die ersten Hagelkörnchen auf Dächer, Dachrinnen und Markisen. Das Knistern wird ein Knattern, als ob nun auch mit einem akustischen Signal noch einmal an alle die Botschaft rausgeht: reingehen. Am Nachmittag war noch richtig was los, wurden noch aus Kofferräumen eilig Monitore geborgen, um das Home-Office einzurichten. Menschen mit Einkaufstüten sahen sich um, als hätten sie eine geklaute Meisterschale unter dem Arm. Wer eine Packung Klopapier dabei hatte, lief oft im Stechschritt. Klopapier bleibt ein Thema an diesem Wochenende. Kurz vor Mitternacht dann: Leere in den Straßen, zu hören ist nur der Regen. Ob in Dachrinnen, auf Dächern oder von ein paar wenigen Autos aufgeschwappt. Trambahnen fahren leer, die Busse auch. Ein paar Einsatzwagen der Polizei rollen leise herum.

Am Marienplatz um kurz vor Mitternacht steht ein Polizeiwagen und fährt weiter, weil nichts los ist. Nur ein Korrespondent einer TV-Station steht mit dem Handy in Selfie-Stellung auf dem Platz und sagt: "Die Leute hier haben keine Angst vor der Krankheit, sondern vor den wirtschaftlichen Folgen." Die Leute sind aber gar nicht da. Im Moment haben sie höchstens Angst, nass zu werden. Die Frauenkirche schlägt zwölf, der Regen wird wieder stärker, nirgendwo ein Mensch. Wenn es nicht Mitternacht im März wäre, könnte man meinen, es spielt Sechzig gegen Bayern im Champions-League-Finale und alle hocken vor dem Fernseher.

Samstagmorgen, Edeka, Hans-Sachs-Straße. Am Ausgang steht ein Mann kurz unschlüssig in der Tür. Eine Frau kommt auf ihn zu, hält an, lacht und sagt: "Ach, was weiß ich, wie viel zwei Meter Abstand sind." Beide lächeln, machen sich Platz. Es sind Tage, an denen die Menschen sich aufmerksamer wahrnehmen auf der Straße, manchmal skeptischer, aber oft auch mit viel mehr Lächeln als noch vor zwei Wochen. Es sind aber keine Tage, an denen alle in die Supermärkte hetzen und alles leerkaufen. Der Samstag ist im Prinzip wie ein verregneter Sonntag: Keiner geht raus, und die Läden haben fast alle zu. Und noch keiner denkt schon daran, dass jetzt mindestens für die nächsten zwei Wochen immer Sonntag sein wird.

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Um die Ecke im Norma haben sie am Samstag 1064 Rollen Klopapier reinbekommen. Laut der Webseite howmuchtoiletpaper.com kann damit ein Mensch etwa 16 Jahre überleben. Ein Feuerwehrfahrzeug rollt langsam vorbei, aus dessen Lautsprechern ist die Ansage in Dauerschleife zu hören: "Derzeit gelten strenge Ausgangsbeschränkungen. Bitte bleiben Sie zu Hause. Der Gang zur Arbeit, zum Arzt oder zum Einkaufen ist weiter möglich." Die Leute hören konzentriert zu. Am Marienplatz hat nur die Apotheke geöffnet, die Besitzerin sagt: "Was für ein Segen, dass es so regnet."

Am Sonntag scheint dann aber die Sonne. Und deshalb sieht dieser Tag in München auf einen flüchtigen Blick dann auch ganz so aus wie ein normaler Sonntag: mit vielen Spaziergängern, Sportlern und Radlern.

Wer an der Isar entlanggeht, ist schnell irritiert. Egal, welchen Gesprächsfetzen man hört, man weiß, worüber geredet wird. Man hört, wer welchen Virologen wo gehört oder gelesen hat, wer jemanden aus Italien kennt und dessen Bericht, wessen Firma bedroht ist. Die Leute spazieren zu Tausenden durch die Stadt, aber sie halten sich an die Regeln, bleiben auf Abstand. Familien, Paare, Einzelne, auf dem Rad, mit Hund oder im Laufschritt. Nur klingt dieser Sonntag nicht wie ein normaler Sonntag. Es ist viel stiller. Kein Geschrei beim Basketballkorb, kein Gebrüll aus einer irrlichternden Teenie-Truppe. Viele laufen mit unbewegten Gesichtern durch die Straßen, als ob sie sich konzentrieren würden. Darauf, sich einen Reim auf diese Zeit zu machen. Kann ich über Corona-Witze lachen? Muss ich immer ernst sein? Um wen muss ich mir Sorgen machen? Darf ich auch Angst um meinen Job haben oder nur um meine Großeltern?

An diesem Sonntag fällt auf, wie viele Jogger, Hundebesitzer und Fotografen es in dieser Stadt gibt. Manch einer geht auf Nummer sicher und führt seinen Hund joggend Gassi. Das ist doppelt erlaubt. Vater, Mutter und Sohn stehen auf dem Jakobsplatz und kicken. Der Sohn knallt den Plastikball mit Wassermelonenaufdruck volley gegen die Wand. In normalen Zeiten würde das vielleicht unterbunden, Melone gegen Synagoge, an diesem Tag ist es ein Moment der Normalität. Am Marienplatz rast ein Mann im Hipsterkostüm (Cap, Vollbart, Sonnenbrille, Rennrad) einhändig vorbei, die Handykamera zeichnet auf. Zunächst müssen manche offenbar die Situation dokumentieren und posten, ehe sie sich damit auseinandersetzen. Ein Mann mit dem rechten Arm in Gips steht daneben und wartet auf den richtigen Moment, um rüber zum Donisl zu gehen. Es wirkt beinahe, als sei der Platz gestopft voll und er käme nicht durch. Dabei achtet er nur darauf, eine Route zu finden, bei der er niemandem zu nahe kommt. "Ich wundere mich schon ein bisschen", sagt der 74-Jährige, "dass so viele unterwegs sind."

Im Englischen Garten ist die Wiese unter dem Monopteros gut besucht, aber die Menschen sind verteilt. Zwei Frauen stehen sich in drei Meter Abstand gegenüber, als würden sie sich gleich duellieren. Sie ratschen. Ansonsten: Paare, so weit man schauen kann. Wenn manche schon befürchten, dass viele Beziehungen nach dem vielwöchigen Aufeinanderhocken in die Brüche gehen, muss man vielleicht auch bedenken: So viele beziehungsfördernde Spaziergänge wie derzeit wird es so schnell nicht mehr geben.

Am Müllerschen Volksbad sagt ein Mann zu seiner Freundin: "Auf der anderen Seite war es nicht so eng." In den nächsten Tagen werden sich auch neue Spazierrouten etablieren. Und am Reichenbachkiosk ist untypischerweise keine Schlange, was nur auf den ersten Blick stimmt, denn der nächste in der Reihe hält nur großen Abstand.

Bei Sonne raus, daran hat sich nichts geändert. Vielleicht ist es die Münchner Leichtigkeit, die immer im Frühling ausbricht und die man sich nicht nehmen lassen will. Der antrainierte Biergarten-Reflex ist schwer abzustellen. Diese Stadt ist eben total verwöhnt, Einschränkungen kennt hier keiner.

Noch muss sich jeder den Ernst der Lage selbst erklären, man kann ihn nicht sehen. Was man sieht, ist Frühling, kein Grauen. Das kennen erst wenige. Ein 42-jähriger Münchner zum Beispiel, der seit ein paar Tagen mit hohem Fieber und Husten auf der Schwabinger Corona-Station liegt. Ab und an tippt er seine Eindrücke ins Handy und schickt diese seinen Freunden in die jetzt so still gewordene Stadt hinaus: "Ich kann euch nur sagen, nehmt es ernst. Bis man es selbst erlebt hat oder die Patienten hier röcheln hört, hat man keine Vorstellung."

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