Süddeutsche Zeitung

Flughafen als Corona-Klinik:"Ich glaube, dass die Umrüstung sehr schnell geht"

Der Münchner Architekt Benedikt Hartl wollte Buckingham Palace in Sozialwohnungen verwandeln. Seine neue Idee: Den Berliner Flughafen als Corona-Klinik nutzen.

Interview von Korbinian Eisenberger

Im Frühjahr 2019 erregte Benedikt Hartl in England Aufsehen. Bei einem Ideenwettbewerb über bezahlbaren Wohnraum in London reichte der Münchner Architekt ein Modell ein, den Buckingham Palace zu Sozialwohnungen umzubauen. So mancher Brite fasste allein die Idee als Majestätsbeleidigung auf. Nun, ein gutes Jahr später, hat der 33-Jährige einen neuen Ansatz, diesmal für den Berliner Flughafen BER: Hartl hat ein Konzept erarbeitet, wie man diesen als Krankenhaus für Corona-Patienten umfunktionieren könnte.

SZ: Herr Hartl, erst Wohnungen im Buckingham Palace. Nun ein Krankenhaus im Berliner Flughafen. Wie kommen Sie auf solche Ideen?

Benedikt Hartl: Ich finde beide Konzepte sehr naheliegend. Also etwas Großes, das leer steht, zu nutzen. Erst recht jetzt in Krisenzeiten. In Zeiten, in denen Kinder gegen den Klimawandel demonstrieren, ist es vielleicht nicht unbedingt die innovativste Entscheidung, einen Flughafen zu bauen.

Was müsste getan werden, um das Flughafen-Hospital noch in der Krise in Betrieb zu nehmen - und nicht erst in einem Jahr?

Ich glaube, dass die Umrüstung sehr schnell geht. In China wurde in Wuhan in zehn Tagen eine Klinik aus dem Nichts geschaffen.

Wir sind in Deutschland.

Natürlich haben wir das generelle Problem, dass die Planungs- und Genehmigungsprozesse hier viel zu lange dauern und am Ende alles viel zu viel kostet. Der Berliner Flughafen ist ein Symbol dafür. Ich bin aber überzeugt, dass man dort schnell handeln könnte. Ein Thema wären die Vorschriften beim Brandschutz. Da könnte man in der Krise Ausnahmen machen. Evakuierungspläne lassen sich relativ kurzfristig einrichten.

Was macht Sie so zuversichtlich, dass sich dieser Plan umsetzen lässt?

Ich bin Architekt, kein Brandschutzexperte. Aber dieses Problem hat man ja nun überall anders auch zu lösen, wo Notfallkliniken eingerichtet werden. Und es klappt. Man muss es natürlich diskutieren - sollte die Dinge aber anders bewerten als sonst. Nicht nur nach Vorschriften gehen, sondern Risiko und Nutzen abwägen.

Warum der Berliner Flughafen?

Er steht leer und bietet sehr viel überdachten Platz, allein das Hauptgebäude umfasst 220 000 Quadratmeter. Für die Isolation ist das ideal. Auch, dass es nicht mitten in der Stadt liegt. Trotzdem ist die Verkehrsanbindung gut.

Aktuelles zum Coronavirus - zweimal täglich per Mail oder Push-Nachricht

Alle Meldungen zur aktuellen Lage in Deutschland und weltweit sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages - zweimal täglich im SZ am Morgen und SZ am Abend. Unser Newsletter bringt Sie auf den neuesten Stand. Kostenlose Anmeldung: sz.de/morgenabend. In unserer Nachrichten-App (hier herunterladen) können Sie den Nachrichten-Newsletter oder Eilmeldungen auch als Push-Nachricht abonnieren.

Ihr Konzept sieht kreisrunde Behandlungskabinen vor. Warum diese Form?

Mit den runden Formen steht immer eine offene neben einer geschlossenen Kabine. Das soll den Ärzten und Pflegern die Arbeit erleichtern und räumliche Distanz schaffen. Es ist also funktional praktisch. Hinzu kommt, dass die Anlage durch die Rundungen visuell freundlicher wirkt. Die meisten Notlager, die man derzeit zu sehen bekommt, erinnern eher an Lazarette und verstärken das drückende und beklemmende Gefühl. Hier soll das anders sein.

Sie sagen, Ihr Konzept sei generell auf Flughäfen anwendbar. Wäre es also auch für den Münchner Flughafen denkbar?

Die Übertragbarkeit ist mir wichtig. Ich denke dabei aber vor allem an andere Länder. In Deutschland haben wir mit 30 000 bis 40 000 Intensivbetten im europäischen Vergleich noch eine relativ gute Situation. Dennoch ziehe ich auch München in Erwägung. Zum Beispiel, um Patienten aus Frankreich, Italien oder Spanien aufzunehmen. Es wäre ein guter Zeitpunkt, um in Europa Solidarität zu zeigen.

Wie sieht es mit anderen Anlagen aus, die derzeit ungenutzt sind. Der Gasteig zum Beispiel? Oder die Olympiahalle?

Vieles ist denkbar, im Prinzip erst einmal alles. In China haben sie sogar Fußballstadien umgenutzt und tausend Betten auf den Platz gestellt. Das hat aber einen ziemlich düsteren Charakter. Man sollte vorher genau prüfen, ob ein Standort geeignet ist.

Zum Beispiel der Palast der Queen als Wohnraum für Bedürftige. Was hat sich aus dieser Idee entwickelt?

Kürzlich habe ich mitbekommen, dass meine Idee in Frankreich in den Acht-Uhr-Nachrichten auf France Deux gebracht wurde. Die Idee wurde relativ ernsthaft diskutiert und mit aktuellen Themen um das Königshaus verknüpft. Der Beitrag stellte gar die britische Monarchie in Frage. Das war jetzt nicht meine Hauptintention.

Es war eine Provokation, für die es aus England nicht gerade amüsierte Reaktionen gab. Was wollen Sie mit ihrem jetzigen Konzept in Berlin erreichen?

London war provokant, aber trotzdem ernst gemeint. Wenn man sich anschaut, was auf dem Wohnungsmarkt abgeht, sind viele Mietpreise auch eine Provokation. So gesehen muss man die beiden Projekte natürlich unterscheiden. In der Corona-Krise geht es jetzt um schnelle und gut umsetzbare Lösungen.

Bei einem Wettbewerb für ein Meeresmuseum in Portugal haben Sie mal eine Plastik-Recycling-Anlage eingereicht, mitten auf dem Meer. Dann der Buckingham Palace, nun der BER. Worum geht es Ihnen?

Grundlegendes in Frage stellen. Als Architekt ist man Dienstleister, man sollte aber stets auch die Aufgabenstellung hinterfragen. Oft ist der Auftraggeber sehr festgefahren in seinen Ansichten.

Wie meinen Sie das?

Man kann es zum Beispiel auf ein Einfamilienhaus herunterbrechen, wo man viel Energie und Geld sparen könnte. Brauche ich wirklich überall Holzboden? Muss ich Fliesen aus China einfliegen lassen, weil die im Quadratmeterpreis einen Euro billiger sind? Muss jedes Zimmer eine eigene Heizung haben? Ich sage nein. Es gibt architektonische Lösungen, etwa Pufferräume ohne Heizung, die nur von der Sonne erwärmt werden. Vielleicht ist die Coronakrise auch aus architektonischer Sicht eine Chance: zu hinterfragen, was wirklich wichtig ist.

Und Sie meinen Ihr BER-Projekt wirklich ernst?

Ich habe das Konzept vor einer Woche per E-Mail bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eingereicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4870154
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.04.2020/vewo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.