Politik in der Pandemie:Vorstandswahl im heimischen Garten

Patric Wolf

Der CSU-Ortsverband Alte Heide-Nordschwabing will dem Coronavirus auf seine Weise ein Stück politischen Alltag abtrotzen. Der Vorsitzende Patric Wolf hält die Sitzung deshalb in seinem Garten ab.

(Foto: Catherina Hess)

Die Corona-Beschränkungen verhindern und verzögern viele wichtige Personalentscheidungen in den Parteien - vom Grünen-Bundestagskandidaten bis zum CSU-Chef. Doch die Suche nach kreativen Lösungen läuft.

Von Heiner Effern

Patric Wolf überlegt noch, ob er für die Vorstandswahl ein paar Stühle in seinem Garten aufstellen soll. Schließlich soll am Samstagvormittag jeder seiner CSU-Freunde einen sicheren Platz mit ausreichend Abstand finden, wie es in der Pandemie geboten ist. Einem Mitglied, das nicht gut zu Fuß ist, hat er sogar angeboten, mit dem Auto ganz nah an sein Grundstück heranzufahren. Vom Fahrersitz aus könnte es die Versammlung verfolgen und auch abstimmen. "Fast wie im Autokino", sagt Wolf. Die anderen müssen sich selbst kümmern, wie sie trotz möglichen Regens trocken bleiben. Das Treffen findet "bei jedem Wetter statt". Auf elf Uhr hat er seinen Ortsverband zu sich nach Hause eingeladen, er erwartet etwa zehn bis zwölf Gäste. Auf dem Programm steht neben der Vorstandswahl auch die Wahl der Delegierten, die ihren regionalen Kandidaten für die Bundestagswahl mitbestimmen sollen. Dauern soll es etwa eine halbe Stunde, alles ist digital vorbereitet worden. "Man ist ja anpassungsfähig", sagt Wolf.

Der CSU-Ortsverband Alte Heide-Nordschwabing will dem Coronavirus auf seine Weise ein Stück politischen Alltag abtrotzen. "Die Situation ist skurril, man macht das Beste daraus", sagt der Vorsitzende Wolf. Das gilt für die gesamte Münchner Parteipolitik. Das Virus hat vieles gestoppt, verhindert oder verzögert. CSU und SPD verschieben seit Monaten die Wahl einer beziehungsweise eines neuen Stadtvorsitzenden. Die Aufstellung der Bundestagskandidaten ist überall zerfasert, ein paar sind im Herbst nominiert worden, viele müssen noch warten. Bei der CSU stehen zudem turnusgemäß Vorstandswahlen in allen Orts- und Kreisverbänden an. Trotz einer neuen Verordnung des Bundes, die mehr digitale Abstimmungen zulässt, sollen viele dieser Entscheidungen in Präsenzversammlungen fallen.

Die CSU jedenfalls will dabei nun Gas geben und setzt dafür Turbo-Abstimmungstage an, schließlich ist nicht jeder Ortsverband so klein, dass er in einen Garten passt wie in der Alten Heide. Die Partei miete dafür nun große Säle an, zum Beispiel in der Schützenliesl in Englschalking oder im Augustiner-Keller, sagt München-Geschäftsführer Frank Gübner. Dort können Ortsverbände Zeit-Slots buchen, um ihre vorbereiteten Wahlen einer nach dem anderen rechtskonform abzuhalten. "Dazwischen wird gelüftet und alles nach den Hygienevorschriften hergerichtet", sagte Gübner.

Zudem will die Münchner CSU möglichst schnell einen neuen Vorsitzenden wählen. Georg Eisenreich soll Ludwig Spaenle nachfolgen, der bereits im September erklärt hatte, dass er das Amt vorzeitig abgeben will. Wegen Corona ist er aber immer noch Münchner CSU-Chef. "Eine zweite AKK werde ich aber nicht", sagt Spaenle, in Anspielung auf die frühere CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die wegen Corona auch viel länger im Amt blieb als geplant. Die CSU plant nun einen digitalen Parteitag Mitte Februar, dem eine Briefwahl der Mitglieder folgen soll. Auf eine ohnehin rechtlich nicht gültige Online-Abstimmung, wie sie etwa die CDU praktiziert hat, will die Münchner CSU verzichten. "Zu aufwendig, zu teuer."

Ihre vier Kandidaten für die Bundestagswahl in München will die CSU dann im März oder April aufstellen. Sie ist da traditionell eher spät dran, und die Spannung hält sich diesmal in Grenzen: Alle vier amtierenden Abgeordneten wollen wieder antreten, Bernhard Loos im Norden, Wolfgang Stefinger (Osten), Michael Kuffer (Süden) und Stephan Pilsinger (Westen). Gegenkandidaten sind in der Zentrale bisher nicht bekannt.

Auch die Münchner SPD ist im Vergleich zu den Parteifreunden in ganz Bayern schon weit fortgeschritten bei der Aufstellung ihrer Bewerber. Florian Post wird im Norden wieder antreten, die zweite amtierende Münchner Abgeordnete der SPD und deren Stadtchefin, Claudia Tausend, hat sich im Osten wieder durchgesetzt. Im Süden ist Sebastian Roloff bereits nominiert, ausstehend ist nur noch die Kandidatin im Westen. Seija Knorr-Köning tritt dort ohne Konkurrenz an und wartet seit Monaten auf ihre Nominierung. Am 4. Februar sollen sie die Delegierten in Präsenz wählen mit einer Ausnahmegenehmigung, wie sie die Stadt für solche politischen Veranstaltungen erteilen kann.

Weiter warten muss die Münchner Partei-Chefin Claudia Tausend auf ihre Wiederwahl, ebenso der übrige Vorstand. Seit letztem Herbst verhindert die Pandemie einen Termin, und das wird auch noch länger so gehen. "Da warten wir ab, bis wir wieder einen Parteitag machen können", sagt Tausend. So viele Wahlgänge, die da in der Regel für alle Posten nötig seien, wolle die SPD in Präsenz durchführen. Tausend ist aber nicht etwa kommissarisch im Amt, sondern darf laut Beschluss der Bundespartei offiziell Stadtvorsitzende sein bis eine geordnete Neuwahl möglich ist. Ihre Münchner SPD habe sich mit den Einschränkungen der Pandemie arrangiert, das Parteileben sei keineswegs eingeschlafen, sondern finde nun digital statt, sagte sie.

Die Ortsvereine treffen sich online, am 1. Februar tagt der Parteirat und am 27. Februar wird es einen digitalen Parteitag geben, auf dem die Münchner Themen für den Bundestagswahlkampf debattiert werden sollen. Auch wenn der Alltag läuft und Tausend damit rechnet, dass so manches digitale Format dauerhaft bleiben wird, fehlt ihr und den Sozialdemokraten der direkte Austausch. "Man mag sich einfach mal an einem Tisch zusammensetzen und ratschen", sagt sie.

Auch die Grünen als dritte große Partei in München halten den Betrieb digital aufrecht. Alle Sitzungen der Ortsverbände fänden online statt, sagte der Stadtvorsitzende Joel Keilhauer. Trotz der Corona-Krise trieben die Grünen auch ihre interne Strukturreform konsequent voran. "Wir hatten schon ein erstes digitales Treffen mit den Ortsvorsitzenden, bis Mitte Februar sind fünf weitere Veranstaltungen geplant." Zwei wichtige Termine schieben die Grünen allerdings seit dem Herbst, nämlich die Aufstellung von zwei ihrer vier Bundestagskandidaten. Diese werden sie nun nach der neuen Verordnung des Bundes mit einem digitalen Treffen und anschließender Briefwahl am 13. März (Süden) und am 14. März (Osten) bestimmen. Fix nominiert sind bereits Dieter Janecek (Westen) und Doris Wagner (Norden).

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