Süddeutsche Zeitung

Corona-Regeln:"Gerade zur richtigen Zeit"

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Von "Lockerungs-Frühlingsgefühlen" zeigt sich die Bratscherin Veronika Stross unbeeindruckt. Sie organisiert die Demo "Aufstehen für die Kultur" und richtet sich gegen Ungleichbehandlung der Kunst

Von Michael Zirnstein

Es gibt Gegenwind, wenn man sich öffentlich auf einen zugigen Platz stellt. Das hat Veronika Stross schon einmal erlebt, als sie "Aufstehen für die Kultur" organisierte, den ersten Massenprotest der Künstler gegen die Kulturpolitik in der Corona-Krise. Mehrere Monate lang hatte die Bratscherin, die zum Orga-Chefposten gekommen war wie ein Geigen-Neuling zur Stradivari, eine Allianz geschmiedet. Kurz vor der Demonstration Ende Oktober stiegen dann die Infektionszahlen heftig, und einige kritisierten, es sei ja nun wohl kontraproduktiv, auf das Auftrittsrecht von Künstlern zu pochen.

Veronika Stross, ihr Team, eine beachtliche Rednerschar vom Kunstminister Bernd Sibler bis zu dessen Vorgängern wie Hans Maier, sowie gut 1000 Teilnehmer standen trotzdem auf für die Kultur. Wenige Tage darauf wurden mit dem zweiten Lockdown alle Spielstätten wieder fürs Publikum geschlossen. Die Aktion wertet Stross dennoch als Erfolg: "Unser Anliegen bekam in den Wochen danach viel mehr Aufmerksamkeit." Sie und Orga-Partner Michael Rupprecht wurden zudem in den Begleitausschuss des Kunstministeriums gebeten, in dem das Künstler-Soloselbstständigen-Paket geschnürt wurde, das Sibler auf dem Podium versprochen hatte.

Nun ist deswegen noch lange nichts gut. Das sieht man an Veronika Stross selbst: Sie hat ihr letztes, selbstorganisiertes Kammermusik-Konzert Ende Oktober in Gräfelfing vor den maximal erlaubten 50 Zuschauern gespielt, danach noch "ein paar ganz wenige" Gottesdienste und arbeitet jetzt nebenbei in einer Kinderarztpraxis. Das mache ihr Spaß, aber wegen des Zuverdienstes drohte der Rauswurf aus der Künstlersozialkasse - und das ging vielen Kollegen so. Auch wenn die Nebenverdienst-Klausel nun während der Krise ausgesetzt werden soll - es zeigt, dass die unter Auftragsarmut leidenden Künstler immer selbst schauen müssen, wo sie bleiben. Wenn sie überhaupt noch den Elan dazu aufbrächten, sagt Stross, viele Kollegen, wie sie selbst, seien regelrecht antriebslos geworden. Die Verordnungslage ist zudem unübersichtlich, und Stross hat "nicht den Eindruck, dass wir in den nächsten vier Wochen wieder normal spielen können". Das Verhältnis von dem, was die Politik verspreche, und dem, was gehalten wird, sei eine "Katastrophe", findet sie. Trotz der Lockerungs-Frühlingsgefühle komme die zweite Demonstration "Aufstehen für die Kultur" gerade zur richtigen Zeit.

Am Donnerstag, Christi-Himmelfahrt, bittet die Initiative "Aufstehen für die Kultur" von 15 bis 17 Uhr also wieder zum Protest auf den Königsplatz. An der Liste der Forderungen hat sich nicht viel geändert: Die Kultur müsse endlich mit allen anderen Branchen gleich behandelt werden; der Stellenwert von Kunst und Kultur müsse als ein kollektives gesellschaftliches Interesse grundrechtlich geschützt werden; die Unterstützung in der Krise müsse aufgestockt werden, bis zum Ende der Krise solle ein Künstlergeld nach Vorbild des Kurzarbeitergeldes gezahlt werden, Coronabedingte Defizite bei Veranstaltungen sollen ausgeglichen werden; nach wissenschaftlichen Erkenntnissen seien die Kultursäle infektionssicher und sollten "endlich gescheit aufgemacht werden dürfen", so Stross, "wir wollen keine Almosen auf Dauer, wir wollen wieder arbeiten". Dafür stellen sich Aktive aus allen Sparten zum Reden oder Musizieren aufs Podium: wie Thomas Goppel, der einstige Staatsminister für Wissenschaft, Matthias Helwig, der Macher der Breitwand-Kinos und des Fünfseenfestivals, Martin Lacey aus der Direktion des Circus Krone, der Kabarettist Ecco Meinecke als Moderator, Musiker aus vielen Orchestern. Ebenfalls dabei sind der Sänger Christian Gerhaher und der Dirigent Hansjörg Albrecht (siehe Interview) von der Initiative "Aufstehen für die Kunst", die nicht nur einen ähnlichen Titel für ihre Initiative gewählt haben, sondern - in ihrem Fall vor Gericht - auch um ähnliche Anliegen streiten.

Dass von den Künstlerverbänden bis auf wenige Ausnahmen wie der Deutschen Orchestervereinigung wieder kaum einer mitzieht, nimmt Veronika Stross schulterzuckend hin. Und sie sieht es auch gelassen, dass sie schon wieder angegriffen wurde, diesmal weil sie eine Videobotschaft der Sängerin Julia Neigel zeigen will. Die Sängerin eckte neulich an mit Äußerungen zur Urheberrechts-Novelle. "Sie ist eine tolle, mutige Frau, die sagt, was sie denkt", findet Stross, "gut, da bekamen wir halt wieder Wind. Aber die vielen positiven Reaktionen machen uns Mut und zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen."

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SZ vom 11.05.2021
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