Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Hungerkünstler

Trotz erster Lockerungen für das öffentliche Leben im Freistaat bleiben die Aussichten für Kulturschaffende düster. Nicht nur das fortgesetzte Verbot von Veranstaltungen raubt ihnen jede Existenzgrundlage. Es fehlt auch ein Zeichen von seiten der Politik

Von SZ-Autoren

Enttäuschung und Verzweiflung - das sind die vorherrschenden Gefühle der Kulturschaffenden im Freistaat nach den jüngsten Verlautbarungen der Staatsregierung zur Corona-Krise. Denn während von 27. April an bereits manche Auflage für das öffentliche Leben gelockert wird - kleine Geschäfte wieder öffnen dürfen und Friseure ihre Terminbücher für Anfang Mai jetzt schon füllen können - haben sie weiterhin keinerlei Perspektive im sonst so stolzen Kulturstaat Bayern. Ein ersehntes Zeichen, das viele soloselbstständige Musiker, Künstler, Schauspieler sich erhofft hatten, blieb aus. Nicht einmal zu einer symbolischen Geste konnte man sich von Seiten des Söderschen Kabinetts durchringen. So bleiben etwa auch die Museen geschlossen, die Kunst- und Wissenschaftsminister Bernd Sibler in seinem Verantwortungsbereich hat.

Einer seiner Vorgänger in diesem Amt, Wolfgang Heubisch (FDP) kritisiert das offen: "Jeder, der schon einmal die Pinakotheken besucht hat, weiß wie gut man sich in deren weitläufigen Räumen aus dem Weg gehen kann. Mit einer klaren Regelung, die jedem Besucher einen Mundschutz vorschreibt, und Einlasskontrollen, die sicherstellen, dass sich nicht zu viele Menschen im selben Raum aufhalten, wäre das leicht zu bewerkstelligen", sagt Heubisch. Sanne Kurz, kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, zeigt sich "erschüttert und wütend" darüber, "dass es bis heute nicht einmal ein Nachdenken über eine Entschädigung für das faktische Tätigkeitsverbot einer ganzen Branche gibt". Durch die Veranstaltungs- und Drehverbote seien die meisten Künstler jeder Grundlage beraubt, und noch dazu stelle jedes Exit-Szenario Veranstaltungen ganz hinten an. Das macht die Prognosen für die Branche verheerend. HER

Kunst

Die Museen müssen weiterhin geschlossen bleiben. Doch was ist mit den Galerien? Nach der Ankündigung des bayerischen Ministerpräsidenten, Markus Söder, dass Geschäfte bis 800 Quadratmeter Verkaufsfläche vom 27. April an wieder öffnen dürfen, ging am Donnerstagnachmittag ein Aufatmen durch die Galeristenszene Münchens. Doch schon wenige Stunden später schien es, als ob man sich zu früh gefreut hätte. Denn in einem Schreiben des Bundes und der Länder, in dem aufgelistet ist, was weiterhin für den Publikumsverkehr geschlossen bleiben soll, werden auch Galerien ausdrücklich erwähnt. Sollte es also den privaten Galerien verboten sein zu öffnen? Doch wer auch immer den Begriff hineingeschrieben hat in das Papier, hat wohl eher an die Kunstgalerie gedacht, die im 16. und 18. Jahrhundert zur Präsentation von Gemälden in Museen entstand. Und die in Namen wie der Städtischen Galerie im Lenbachhaus oder der Nationalgalerie Berlin fortlebt.

Für die Initiative Münchner Galerien für Zeitgenössische Kunst wie auch für den Bundesverband deutscher Galerien (BVdG) steht jedoch fest, dass Galerie nicht gleich Galerie ist. Und dass die vielen privat betriebenen Galerien zwar einerseits sehr wohl auch einen kulturellen Vermittlungsauftrag erfüllen und das kulturelle Leben bereichern, darüber hinaus jedoch ein Wirtschaftsunternehmen sind - und steuerlich auch so behandelt werden.

Die privaten Galerien in Bayern werden also nach dem 27. April unter Einhaltung der gebotenen Schutzmaßnahmen wieder öffnen. Und das ist auch dringend notwendig. "Die Stimmung unter den Kollegen ist auf einem Tiefpunkt", erzählt Galerist Andreas Binder. Und sein Vorstandskollege von der Initiative Münchner Galerien für Zeitgenössische Kunst, Markus Braun-Falco, schreibt in einer Stellungnahme: "Auch wenn dem Vorstand keine konkreten Zahlen vorliegen, so wird doch unter Kollegen/innen kommuniziert, dass die Umsätze in den letzten 4 Wochen sich annähernd bei null bewegt haben." Zahlreiche Galeristen haben Soforthilfe beantragt, manche haben sie sogar schon erhalten, und viele haben mit ihren Vermietern über aufschiebende Zahlungsvereinbarungen gesprochen. Alle haben irgendwie versucht, ihre Präsenz ins Digitale zu verlegen oder vorhandene Online-Auftritte zu intensivieren. Das alles reiche aber nicht, klagen viele Galeristen, um auch nur einen Teil der Verluste aufzufangen. Denn zum Stillstand in den Galerien kommt hinzu, dass Messen, über die oft an die 40 Prozent der Jahresumsätze gemacht werden, abgesagt oder verschoben wurden. Und die Unsicherheit bleibt, ob es mit den Messeterminen im Herbst klappen wird. LYN

Bibliotheken, Archive, VHS

Bayerns Kunstminister Bernd Sibler hat bestätigt, dass staatliche Bibliotheken und Archive im Freistaat nach dem 27. April wieder öffnen. Allerdings erst "nach der Sicherstellung strengster Auflagen", wie er betont. "Die Ausleihe der Literatur ist für die wissenschaftliche Arbeit wichtig, aber auch für die Menschen, die zu Hause bleiben müssen und sich mit Literatur versorgen wollen", so Sibler. Die Münchner Stadtbibliothek sowie die Volkshochschulen - Arbeitgeber auch für viele Kreative, die sich dort sonst ein Zubrot verdienen - bleiben nach Auskunft des Kulturreferats geschlossen. Mindestens bis 3. Mai. LYN

Pop-Festivals

Die neuen Abstandsregeln hat Sting bereits 1980 mit Police formuliert: "Don't Stand So Close To Me". Was in diesem Song, den er gerade mit Jimmy Fallon und The Roots neu aufgenommen hat, so simpel erscheint, lässt sich im Gedränge von Pop-Konzerten nicht einhalten. Stings Auftritt in der Tollwood-Arena wurde daher auf 6. Juli 2021 verschoben. Dass das komplette Tollwood-Festival aufgrund des Verbots von Großveranstaltungen bis 31. August heuer ausfallen wird, ist höchst wahrscheinlich, die Veranstalter warten allerdings noch "die Umsetzung der Ankündigung in eine rechtlich verbindliche Allgemeinverfügung ab". So heißt es derzeit bei vielen Festivals wie der "Brass Wiesn" oder dem "Puls Open Air" des BR auf Schloss Kaltenberg (die Ritterspiele sind schon abgesagt). Offizielle Absagen vermelden bereits die Veranstalter des Festivals "25 Jahre Rock im Park" in Nürnberg sowie das Elektro-Open-Air "Echelon" bei Bad Aibling. Das 32. "Afrika Festival Würzburg" ist um ein Jahr auf 2. bis 6. Mai 2021 verschoben worden, die Veranstalter bitten die Gäste, gekaufte Tickets zu behalten oder - gegen Spendenquittung - auf eine Rückerstattung zu verzichten. ZIR

Oper und Ballett

Die Bayerische Staatsoper macht den Anfang vom Ende. Am Freitag Vormittag erklärte das Haus auf Anordnung des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst die laufende Spielzeit für beendet. Die Opernfestspiele sowie alle bis Ende Juli geplanten Vorstellungen sind abgesagt. Das betrifft auch die Vorstellungen des Staatsballetts und die Ballettfestwoche. "In den letzten Wochen haben wir mehrere Szenarien für die Durchführung der Festspiele durchgespielt, die vor allem die Sicherheit und Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Kunstschaffenden und Publikum sicherstellen sollten", sagt Intendant Nikolaus Bachler, doch keine der Optionen habe sich als praktikabel herausgestellt. Deshalb prüfe man jetzt, welche der Premieren zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden können und in welcher Form digitale Projekte in absehbarer Zeit realisiert werden können. Bachler betont dazu, dass die Kunst und die Kultur durchaus ein "systemrelevantes Gut" sei: "Unser aller Gesundheit ist wichtig, zu ihr gehört aber auch unser soziales wie kulturelles Wohlbefinden. Die Freiheit der Kunst und unsere Geistesbildung sind dafür grundlegend", sagt er weiter und wünsche sich, von Politik und Gesellschaft eine Diskussion, die Kultur als "unverzichtbar" anerkennt. ARGA

Theater

Die Theater dröseln noch auf, unter welchen Bedingungen ein sicherer, sinnvoller Spielbetrieb möglich wäre und wie der aussehen könnte - live oder im Netz. So rechnete das Residenztheater etwa aus, dass unter Einbeziehung der Sicherheitsabstände im Zuschauerraum von knapp 900 Plätzen nur 163 besetzt werden könnten. Ob das den Aufwand lohnt, ist fraglich. In bayerischen Theatern dürfen aktuell bis einschließlich 3. Mai keine Vorstellungen und keine Proben stattfinden. Die Staatstheater - Residenztheater, Gärtnerplatztheater, Nürnberg und Augsburg wollen Ende April über das Vorgehen danach entscheiden. Auch die städtischen Theater überlegen, welche Szenarien möglich wären. Etwa, wann der Probenbetrieb wieder aufgenommen werden könnte. Wenn bis Ende August nicht im Theater gespielt werden dürfte, gilt es doch auch, die neue Spielzeit für Herbst vorzubereiten. Das ETA Hoffmann Theater Bamberg hingegen legte diese Woche vor und stellte in Absprache mit der Stadt den ganzen Spielbetrieb für die laufende Spielzeit ein. Ein schwieriger, aber "der einzig richtige" Schritt, hieß es. Jedes Theater wird eigene Probleme zu lösen haben, ein Rezept für alle gibt es nicht. An den Kammerspielen etwa steht ein Intendantenwechsel bevor. Stücke, die schon vorbereitet wurden, können also nicht so einfach geschoben werden. Matthias Lilienthal steht mit Nachfolgerin Barbara Mundel im Gespräch, ob und welche der noch ausstehenden Produktionen möglicherweise nachgeholt werden könnten. "Wir hoffen sehr, dass wir die vier Produktion noch zu Ende proben können", sagt Lilienthal. CLU

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Quelle:
SZ vom 18.04.2020
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