Süddeutsche Zeitung

Sexarbeit unter Corona-Bedingungen:"Sex mit Mundschutz, warum nicht?"

Lesezeit: 5 min

Auch in München sind Bordelle wegen der Corona-Krise weiterhin geschlossen, doch das Geschäft geht andernorts weiter - zu Lasten der Frauen.

Von Roland Preuß

Aus Sicht von Jürgen G. haben sie alles Nötige vorbereitet. Schon an der Eingangstür des "Caesar's World" in Trudering empfangen den Gast mehrere Hinweisschilder: Abstand halten, Maskenpflicht, Anweisungen Folge leisten! Gleich hinter der Tür stehen ein Desinfektionsspender und ein Fiebermessgerät. Man blickt einmal kurz in die Kamera, binnen zwei Sekunden zeigt der Apparat die Körpertemperatur an. Darüber, auf dem mächtigen Spiegel mit Goldrahmen, schwingen 50 durchnummerierte Einmal-Masken im Wind. "Der Kunde holt sich einen Mundschutz, geht zur Dame, und wenn er fertig ist, gibt er die Maske wieder ab. So haben wir immer unter Kontrolle, wie viele im Haus sind - maximal 50 Leute", sagt Jürgen G. Zusammen mit Wolfgang K. betreibt er das Caesar's World und den Leierkasten in Freimann. Beide Bordelle mussten Mitte März wegen Corona zusperren, bis heute warten die Geschäftsführer darauf, wieder aufmachen zu dürfen.

Für sie bedeute das einen riesigen wirtschaftlichen Schaden, sagt G., alle seine Leute seien in Kurzarbeit, an die 60 000 Euro an Mieten und Nebenkosten liefen pro Monat auf, die KfW-Bank hat ihm Hilfskredite bewilligt. G. weiß, dass sich das Mitgefühl mit Bordellbetreibern derzeit in Grenzen hält, an der Branche klebt noch immer das Image der Aussätzigen, auch deshalb wollen Jürgen G. und Wolfgang K. nicht, dass ihre vollen Namen in der Zeitung stehen. Auch Politiker drängt es nicht danach, nun ausgerechnet für Bordelle das Wort zu ergreifen, während Fußballfans und Opernfreunde weiter ausharren müssen. Da gibt es nichts zu gewinnen.

Doch die lange Schließung der Bordelle hat auch für viele Prostituierte Folgen und dürfte mit darüber entscheiden, wie sexuelle Dienstleistungen in München künftig angeboten werden. "Jetzt verschwindet und verschwimmt das Geschäft in einer Vielzahl von Privatwohnungen und Hotels - wir hätten die Prostituierten gerne zurück in den Bordellen", sagt Bernhard Feiner, der Leiter des zuständigen Kommissariats der Münchner Polizei. Und Michaela Fröhlich, Leiterin der Beratungsstelle Mimikry, sagt: "Außerhalb der regulierten Betriebe sind Sexarbeiterinnen oft schutzlos und gefährdet. Ich befürchte da Rückschritte."

Hintergrund sind die bayerischen Corona-Auflagen. Bordelle müssen demnach zwar zu bleiben, Prostitution aber darf grundsätzlich stattfinden, "zwischen einer dienstleistenden Person und einem Freier", wie das Kreisverwaltungsreferat präzisiert. Das ergibt sich aus der Lockerung der allgemeinen Kontaktverbote. Der Sex muss nur außerhalb der Sperrbezirke stattfinden, die einen Großteil der Stadt abdecken. Das Coronavirus hat den Freiern nach Einschätzung von Feiner nicht die Lust verdorben und es gibt auch weiterhin Frauen, die so Geld verdienen wollen oder müssen. Ein großer Teil ist in die Heimat zurückgekehrt, nach Rumänien, Bulgarien oder Polen. Aber wie viele weg sind, können weder Polizei noch Bordellbetreiber sagen. Sicher ist nur: Es sind noch viele da.

Das Caesar's World ist ein Laufhaus, die Freier können an den 35 Zimmern vorbeigehen, in denen die Frauen warten. Ebru steht am Hauseingang, sie ist 37 und stammt aus Rumänien. Sie ist eine von zwei Sexarbeiterinnen, die in ihrem Zimmer geblieben sind, obwohl das Haus gesperrt wurde. G. hat ihr die Miete erlassen. Dennoch: "Die Situation ist eine Katastrophe", sagt sie. "Keine Arbeit, kein Geld - muss der Familie helfen." Sie wartet darauf, dass wieder Kundschaft kommt und vertreibt sich die Zeit. "Sitzen, Warten, Spazierengehen." Nicht alle sind so geduldig wie Ebru. Viele bieten ihre Dienste laut Polizei nun in Hotels, angemieteten Zimmern oder Wohnungen an, illegal in Sperrbezirken, aber auch außerhalb, also legal. Die Treffen werden im Internet angebahnt.

Einmal links um die Ecke herum sitzen Jürgen G. und Wolfgang K. im Büro des Laufhauses. Ein Totenkopf dient als Türklopfer, dazu grüßt das Schild "Ficken macht schön", unter der Glasplatte des Couchtisches rekelt sich eine Bronzefrau, die sich an den Schritt fasst. Massagen seien inzwischen erlaubt, Saunen geöffnet, Prostituierte dürften außerhalb arbeiten, "nur wir müssen zu bleiben", schimpft Wolfgang K. Um endlich wieder aufsperren zu dürfen plant der Geschäftsführer sogar eine Corona-App-Pflicht. "Einlass nur mit Download", steht auf dem Schild an der Eingangstür. Es ist der Albtraum aller Datenschützer und Netzpolitiker, die zum Start davor gewarnt haben, die App dürfe keinesfalls zum Zwang werden, auch nicht auf Umwegen. "Ich denke schon, dass man die App im Rahmen eines Hygienekonzepts zur Voraussetzung machen kann", sagt G's Anwalt Christian Finke. Jürgen G. aber klingt nicht so, als wolle er sich mit einer Streitmacht von Datenschützern anlegen, sondern eher nach jemandem, der jetzt eben alles versucht. Das Schild halte ihm ja eigentlich Kunden fern, sagt er. "Aber wir wären bereit, das zu machen, wir haben es jetzt jedenfalls mal hingehängt." Über dem Schreibtisch von G. hängen zwei große Flachbildschirme, oben läuft Pro 7, unten ein Zusammenschnitt der Videobilder von Eingang, Fluren, Treppenhaus. G. hat hier alles gut im Blick.

In den Bordellen arbeiteten die Frauen in einem "geschützten Bereich", sagt Kommissar Bernhard Feiner. Dort ist die Prostitution legal, aber reglementiert. Nach dem Prostituiertenschutzgesetz, das seit drei Jahren gilt, müssen in den Zimmern beispielsweise Alarmknöpfe installiert sein. Die Polizei kommt regelmäßig zu Besuch, ebenso Beraterinnen, die mit den Sexarbeiterinnen sprechen, Mimikry-Mitarbeiter etwa besuchen jede Woche alle Betriebe eines Stadtviertels. Es gehe nicht nur um Kontrolle, sondern auch um Gespräche, sagt Feiner. "Wie geht es ihnen? Warum haben sie den Betrieb gewechselt? Aus solchen Gesprächen heraus sind immer wieder Straftaten angezeigt worden." Man habe aber auch Möglichkeiten, auf die Bordellbetreiber einzuwirken, damit diese den Frauen "dubiose Männer" vom Hals halten, also Zuhälter, die ihnen das Geld abnehmen und sie unter Druck setzen.

All das gehe nicht mehr, wenn die Frauen nun außerhalb arbeiteten, sagt Feiner. Die Polizei hat seit März bereits mehr Fälle von Prostitution im Sperrbezirk angezeigt als üblich, aber außerhalb der Verbotszonen seien die Treffen "nicht zu beanstanden". Und bei dubiosen Männern, die man im Hotelzimmer der Frauen antreffe, "ist schwer was zu sagen", so Feiner. Er fürchtet, dass die Frauen das als Modell entdecken, dass sich Sexarbeit auch in Zukunft öfter außerhalb der Bordelle abspielt. "Sich zu zweit ein Hotelzimmer zu nehmen oder eine Wohnung, ist billiger als im Bordell - und der Einfluss der Zuhälter würde damit wachsen", sagt Feiner.

Michaela Fröhlich, die Leiterin der Beratungsstelle Mimikry, beurteilt die Lage ähnlich. Mimikry gehört zur Inneren Mission der evangelischen Kirche und steht nicht im Verdacht, mit Bordellbetreibern zu sympathisieren. Viele Frauen litten nach den Corona-Schließungen unter massiven Einkommenseinbußen und Existenzängsten, sagt Fröhlich. In den Betrieben seien sie wenigstens in einem legalen Bereich. "Nun werden sie in die Illegalität gedrängt, kommen da in Abhängigkeiten und sind für Beratungsangebote nicht mehr erreichbar."

Staatliche Hilfe gebe es kaum für die Sexarbeiterinnen, die Anträge für "Soloselbstständige" seien kompliziert. Fröhlich und ihre Kolleginnen helfen beim Weg durch die Bürokratie. Doch das entsprechende Soforthilfeprogramm sei Ende Mai ausgelaufen, sagt Fröhlich. "Bis heute ist unklar, was folgt." Umso größer ist der Druck, weiter mit Sexarbeit Geld zu verdienen, selbst wenn es illegal ist.

Bleibt trotz allem die Ansteckungsgefahr durch Corona. Im Bordell treffen viele Menschen aufeinander. Sex ohne Körperkontakt wurde noch nicht entwickelt - und normalerweise findet er selbst im Sommer in geschlossenen Räumen statt. Müssen nicht schon deshalb Bordelle zugesperrt bleiben? Iwo, sagt Jürgen G. "Wir haben Kondompflicht - und Sex mit Mundschutz, warum denn nicht?" Vor jedes Zimmer haben sie jetzt einen Desinfektionsspender geschraubt. "Und man kann eine Stellung wählen, bei der man sich nicht ins Gesicht sieht." Das sei doch leichter einzuhalten als bei jeder Kosmetikerin.

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SZ vom 11.07.2020
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