Der Titel "Gestrandet und verwurzelt" sagt schon einiges über das Projekt. Er verrät die Skepsis und betont zugleich die Hoffnung. Gestrandet in München, einer Stadt, die man nicht übers Meer erreichen kann. Es ist eine Stadt, die seit Jahren wächst , die reich ist, aber auch die Armut kennt. Die Zeichnerin Barbara Yelin ist hier aufgewachsen, hat in Hamburg und Berlin gelebt, und ist nach 15 Jahren zurückgezogen. Zufällig gestrandet ist sie nicht, sondern bewusst wiedergekommen. Als Zeichnerin kann sie überall arbeiten. Dennoch ist es für die 37-Jährige nicht unwesentlich, wo sie zeichnet. Sie brauche ein Netzwerk, sagt sie. Und: "Ich habe das Bedürfnis, mich mit einem Ort auseinanderzusetzen." Das waren ihre wesentlichen Gründe, einen Workshop mit anderen Berufszeichnern zu initiieren.
Fünf Tage arbeiteten sie an Ostern im Literaturhaus zusammen. Die Ergebnisse dieses Treffens sind nun ihm Rahmen des Comicfestivals im Kösk an der Schrenkstraße 8 zu sehen. Um es vorweg zu nehmen: Die Arbeiten der zwölf Teilnehmer sind eindrucksvoll, auch wie sie in dem Kulturraum im Westend präsentiert sind, ist sehenswert. Sie zeigen eindrücklich: Die Comicszene in München ist lebendig, zeitgemäß, differenziert und selbstkritisch.
Auch Nicht-Münchner machen beim Festival mit
Nicht alle Zeichner stammen aus München. Aber gerade der Blick von außen tut gut. Ludmilla Bartscht etwa kommt aus Freiburg. Auf der Suche nach einem Thema stieß sie auf den Promenadeplatz und dort auf die Orlando-di-Lasso-Statue, Pilgerstätte für Michael-Jackson-Fans. Der Kontrast zwischen superreich und skurril ist hier immens. Bartscht lässt Bubbles, den Affen des Sängers, zum Sprecher der Underdogs werden. Bubbles lebt heute in einem Tierheim. Interessant ist die Technik der 34-Jährigen: Sie druckt auf gebrauchten Risographie-Folien.
Der Münchner Uli Oesterle setzt sich mit dem Leben seines alkoholkranken Vaters auseinander. Seine detailgetreuen Schwarz-Weiß-Arbeiten führen in die Siebzigerjahre und unter die Brücken Münchens, die damals wie heute Menschen ein Dach bieten. Vergleichbar ist sein Ansatz mit dem von Frank Schmolke, der wie Oesterle Biografisches mit Fiktivem verwebt. Seine Blätter führen in die Münchner Taxifahrerszene, in der Schmolke bis heute gelegentlich arbeitet. Für beide Zeichner war der Workshop ein Abstecher weg vom eigenen Ateliertisch in eine inspirierende Gemeinschaft. "Weg vom Tunnelblick", wie Yelin sagt, die ja München von früher kennt. Längst verbaute Lücken, die geliebte Spielplätze der Kindheit waren, sind ihr Thema.
Überall zeigt das Medium Comic sein Potenzial
Juno Pilgram, Bine Mayer und Katharina Netolitzky beschäftigt die Situation von Ausländern. Bei Pilgram ist es eine Begegnung eines Afrikaners mit einem Münchner auf einer Berghütte; Mayer lässt einen vom Krieg traumatisierten Jungen träumen; Netolitzky erzählt von zwei kroatischen Geschwistern, die in ihre Klasse kamen. Bei allen zeigt das Medium Comic sein Potenzial: Die Sprachlosigkeit der Protagonisten löst sich zwischen den Bildern in der Fantasie des Betrachters auf. Nicht immer braucht es erklärende Worte, das beweist auch die Chinesin Yi Luo, seit 2007 in Deutschland. Sie verarbeitet etwa in einem Organigramm mit sich selbst als Mittelpunkt ihren Job in einem Sushi-Restaurant. "Diese Zeit war der Anfang meiner Verwurzelung", sagt sie.
Frei, assoziativ und mit vielen Einzelbildern arbeitet Isabelle Krötsch an einem philosophischen Thema: "Wir sind der Wandel". Claudia Lieb zeichnet das Vermächtnis des Fotografen Georg Pettendorfer nach. Wie einst er, hat Ronja Pfaffrath das Treiben in der Stadt festgehalten. Paul Rietzl beschäftigt das Ankommen in einer fremden Stadt und was unter ihrer Oberfläche passiert: kleine Begebenheiten. Zu sehen bis 14. Juni.