Einiges ist anders als gewohnt, dieses Jahr bei der Verleihung des Dieter-Hildebrandt-Preises im Festsaal des Alten Rathauses. So sind weder Bürgermeister noch Kulturreferent zugegen. Aber halt: Alt-OB Christian Ude, einst bekanntlich selbst Kabarettist, der nebenbei eine Großstadt regierte, und seit einiger Zeit mit der Rettung der Lach- und Schießgesellschaft beschäftigt, ist natürlich wie immer dabei. Wie auch die neue Lach-und-Schieß-Führungsriege mit Ulrich Spandau und André Hartmann. Während Kleinkunst-Oberimpresario Till Hofmann, zumeist örtlicher Veranstalter des Preisträgers Till Reiners, ebenfalls vermisst wird.
Jedenfalls lässt sich Dieter Reiter von Stadtdirektor Marek Wiechers vertreten. Was rein rhetorisch kein Nachteil ist: Wiechers trägt die vom OB hinterlassene Rede gewandter vor, als es wohl der Chef selbst hätte machen können. Darin wird dann ein – eher schwacher – Vergleich zu Till Eulenspiegel angestellt und der Fleiß des Preisträgers ebenso gelobt wie seine Aufrufe zum politischen Engagement.
Etwas konziser schließt nach der Preisübergabe Laudatorin Eva Schulz daran an. Sie hebt den „enormen Output“ von Till Reiners in seiner 15-jährigen Karriere hervor, „so viele Programme, Podcasts, Bücher – und alles davon ist gut“. Den Elefanten im Raum weiß sie auch zu benennen: Comedy oder Kabarett, die Labels seien supernervig. „Reiners lässt sich nicht in eine der beiden Schubladen stecken.“
Seine wichtigste Erfolgsregel sei: „Alles fliegt raus, was nach unten tritt. Dafür nimmt er sich alle vor, die es vertragen können.“ Zum Beispiel Christian Lindner. Ausgerechnet der ließ dann einmal beleidigt verlauten: „Was Reiners macht, ist eben Kommerz.“ So sei es, jedenfalls erreiche Reiners so ein breites Publikum von den Tik-Tok-Kids bis zu den ZDF-Zuschauern, wie Schulz betonte.
Schließlich weist sie noch darauf hin, dass Reiners der jüngste der bisherigen Dieter-Hildebrandt-Preisträger ist. Wobei dem aufmerksamen Beobachter auffällt, dass sie selbst mit Abstand die jüngste aller bisherigen Laudatorinnen ist. Was zusammengenommen eine andere Auffälligkeit erklärt: Erstmals wird der Namensgeber des Preises nur am Rande erwähnt. Reiners bemerkt in seiner Dankesrede kurz, dass er Dieter Hildebrandt nur aus dem Fernsehen kennt und nicht mehr persönlich erlebt hat. Er hoffe aber, Hildebrandt wäre mit ihm, dem Comedian, einverstanden gewesen: „Den Intelligentesten waren die Etiketten immer egal.“
Nun hat Hildebrandt seinerzeit sehr wohl eine Brandmauer zwischen Comedy und Kabarett gezogen: Haltung in der Unterhaltung war sein Kriterium. So gesehen wäre er wohl sehr amüsiert und einverstanden gewesen mit dem, was Reiners anschließend hinlegte. Eingeleitet von einer Warnung an alle anwesenden CSU-Angehörigen: „Ihr seid hier beim Dieter-Hildebrandt-Preis. Was habt ihr denn gedacht, was hier passiert? Ich mache jetzt sieben Minuten lang nur Merz. Wenn euch das zu viel ist, geht einfach.“
Kassenwart im Schützenverein – da sieht er Friedrich Merz
Wie er dann Friedrich Merz als uncoolen Provinz-Heini vorführt („Kanzler ist doch wohl zu hoch gegriffen. Kassenwart im Schützenverein, da sehe ich ihn total“), den selbst die eigene Partei nicht wollte; wenn er Merz’ linkische Tanzbewegungen („der ist genauso schlecht wie ich“) oder sein „an Mr. Burns erinnerndes Gesicht“ verspottet („ab 50 ist man für sein Gesicht verantwortlich“), dann ergibt sich mit den Mitteln der Comedy feines, böses Kabarett: „Das war jetzt zu gemein? Dann googelt mal, was er alles gesagt hat, dann ist man wieder auf Spur.“
Mit dem Hamburger Musik-Comedian Hinnerk Köhn hat Reiners auch für eine zu ihm passende musikalische Umrahmung gesorgt. Den meisten im Saal wohl unbekannt erweist sich Köhn mit seinen schrägen Songs etwa über „fragile Männlichkeit“ ebenso als humoristischer Erkenntnisgewinn wie vor zwei Jahren der von Severin Groebner mitgebrachte Hesse Elis C. Bihn.
So lernt man aus dieser Dieter-Hildebrandt-Preisverleihung: Im sogenannten Kabarett ist endgültig eine neue, Schubladen ignorierende Generation am Ruder. Wenn sie noch mehr solche wachen Geister wie Till Reiners hervorbringt, muss einem um die Szene nicht bange sein.